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Cité Lumière Der taiwanesische Regisseur Hou Hsiao-hsien hat seinen ersten Film in Europa gedreht: Le voyage du ballon rouge

Von Lukas Foerster

Le Voyage du ballon rouge

© BAC Films

 

Le voyage du ballon rouge ist nach dem in Tokio situierten Café Lumière der zweite Film, den Hou Hsiao-hsien außerhalb seiner taiwanesischen Heimat verwirklichte. Sicherlich ist es kein Zufall, dass es den Regisseur wie vor ihm seinen Landsmann Tsai Ming-liang (What Time Is It ­There?, 2001) und jüngst auch zwei andere ostasiatische Filmemacher (Jia ­Zhangke: ­Useless, 2007; Hong Sang-soo: Night and Day, 2008) nach Paris verschlagen hat. Auch jenseits der scheinbar natürlichen Affinität der französischen Hauptstadt zum Kino haben world-cinema-Regisseure gute Gründe, dieser erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, schließlich werden ihre Filme zu weiten Teilen mit französischen Mitteln finanziert. Im Grunde folgen sie nur der Spur des Geldes rückwärts. Im Fall von Le ­voyage du ballon rouge wird das besonders konsequent durchexerziert: Das Werk entstand als eine Auftragsarbeit für das Musée d’Orsay und genau dort endet der Film.

Noch weit weniger als What Time Is It There? oder Night and Day freilich fügt sich Le voyage du ballon rouge zum ­Paris-Bilderbuch. Sehr zurückhaltend, dezidiert von außen, nämlich aus der Perspektive der chinesischen Filmstudentin Song (Fang Song), nähert sich Hou ­Europa. Der größte Teil des Films spielt in Innenräumen, die Stadt selbst scheint in den manchmal minutenlangen, in ständigem Fluss begriffenen Sequenzeinstellungen oft nur hinter Glasspiegelungen in Fensterscheiben auf. Lediglich einige wenige Beobachtungen – beispielsweise die eines Kinderkarussells – gehorchen einem dokumentarischen Impetus, ansonsten bleibt das Housche Paris ganz Konstruktion.

Song jobbt in Paris als Babysitterin und kümmert sich um den kleinen Simon (­Simon Iteanu), dessen Mutter Suzanne (verkörpert von Juliette Binoche, die den Film mit ihrem exaltierten Spiel manchmal etwas zu sehr an sich zu reißen droht) im gesamten Film kaum zwei Sätze zu ihrem Sohn spricht. In einer frühen Szene läuft Song mit Simon durch Paris und erzählt ihrem Schützling von ­Albert Lamorisses Kurzfilm Le ballon rouge. Plötzlich stoppt sie und schaut nach oben. Die Kamera folgt langsam ihrem Blick auf eine Hauswand, die mit dem Bild eines roten Luftballons geschmückt ist. Zeit zur Kontemplation bleibt Song nicht, Simon drängt sie, weiter zu laufen. Exemplarisch verschränken sich in dieser Sequenz Lebenswelt, künstlerische Praxis und ästhetische Selbstreflexivität in einer Art, die den gesamten Film prägt.

Immer wieder aufs Neue verkettet Hou Kunstproduktion und Alltag. Wenn Suzanne mit ihren Nachbarn über die Essenszubereitung verhandelt, wird dieses Streitgespräch mit Simons Klavierübungen unterlegt. In einer schönen Rückblende ertönt ein Chanson aus der Musicbox zum Pinballspiel Simons und seiner Schwester Louise, die aufgrund der Scheidung der Eltern nur noch im Sommer bei ihrem Bruder wohnt. Später synchronisiert Suzanne, die ihr Geld damit verdient, Puppentheatervorstellungen mit Gesängen in einem französisch-asiatischen Stilhybrid zu begleiten, ein Super-8 home-movie nach, in dem sich die junge Louise mit einer Handpuppe unterhält.

Das Paris von Le voyage du ballon rouge ist in erster Linie ein Container für diverse, nichthierarchisch nebeneinander angeordnete Motivketten, die alle in Beziehung zu künstlerischer Produktivität stehen. Jedes einzelne Motiv taucht dabei auf mehreren Ebenen auf. So wird Suzannes Puppenspiel in einem mittelalterlichen Relief präfiguriert, das Simon in einem Park ausfindig macht. Der rote Ballon des Titels schließlich erlebt gleich eine ganze Reihe von Inkarnationen: zunächst ist er unmittelbar da, beziehungsweise so unmittelbar, wie er in einem Film da sein kann, über den Straßen und Dächern von Paris. Dann im Gespräch über Le ballon rouge und gemalt auf der oben erwähnten Mauer, später außerdem in einem dritten – fiktiven – Film, einem Lamorisse-Remake, das Song mit Simon dreht und zuletzt noch in Félix Vallottons Gemälde Le ballon.

Die historiografisch-politischen Elemente der Houschen Ästhetik, die beispielsweise seinen anderen Puppenspielerfilm The Puppet Master (1993) zutiefst prägten, scheinen an den Rand gedrängt zugunsten eines privatistischen Settings einerseits und von klassisch selbstreflexiven Gesten andererseits. Beispielhaft mag eine herzzerreißende innerfamiliäre Erinnerungs­sequenz stehen, in der Suzanne ihre beiden damals noch glücklich vereinten Kinder fotografiert, wie diese mit einer ­Camera-Obscura-ähnlichen Schattenmaschine ihrerseits spielerisch die Grundlagen der filmischen Repräsentation erkunden. Freilich gehen die Mediendiskurse nie ganz in einem streng modernistischen Programm auf. Verunreinigt werden sie durch die komplexe Rauminszenierung, die das Verhältnis von Vorder- zu Hintergrund immer wieder in Frage stellt und das profilmische Material dabei stets neu perspektiviert und um zusätzliche Elemente erweitert.

Auch der Übergang von Leben zur Kunst und umgekehrt ist in Le voyage du ballon rouge nie ein unproblematischer. Letztere geht nicht organisch aus ersterem hervor, sondern kollidiert mit zwischenmenschlichen Problemen, ökonomischen Zwängen – Suzanne ist den gesamten Film vergeblich damit beschäftigt, die Mietschulden ihres Untermieters einzutreiben – und manchmal auch einfach mit der Architektur, etwa wenn ein klobiges Klavier durch das enge Treppenhaus vor Suzannes Appartement gezwängt werden muss. Außerdem betont der Film in allen Bereichen den handwerklichen Aspekt der Kunstproduktion. Das Klavier muss gestimmt werden, die Puppenspieler dürfen für das Publikum nicht sichtbar sein, der Mann in Grün, der den roten Ballon auf seinem nur scheinbar willkürlichen Weg durch Paris lenkt, wird für Songs Film digital retouchiert. Nicht um Desavouierung oder Zerstörung ästhetischer Illusion geht es in solchen Sequenzen, sondern um die vielfältigen, oft hoffnungslos ineinander verknoteten Fäden, die diese mit profaner Lebenswelt verbinden.