14. März 2015
Araboglobales Gesamtkunstwerk Zur 12. Kunstbiennale von Sharjah
Anspruchsvolles globalisiertes Kunsthandeln beläuft sich in der Gegenwart auf die Planung und Durchführung immer raumgreifenderer Gesamtkunstwerke. Nach dem Vorbild der ältesten Biennale, jener von Venedig, hebt es mit stadtplanerisch-ökonomischen Initiativen an, in denen weitläufige Kunstareale samt Ausstellungsdispositiven und kuratorischen Großeinsätzen, freilich auch mit kritisch-partizipatorischem Anspruch entworfen werden. Ein solches Projekt wird gegenwärtig in Sharjah, einem der kleineren Vereinigten Arabischen Emirate realisiert.
Dessen bereits 1997 errichtetes, vergleichsweise dezentes Kunstmuseum, im Innern moscheeartig ornamentiert, wächst nun mit neuen Galerie- und weiteren Museumsbauten wie jenem der «Islamic Civilization» zu einer großzügig konzipierten «Arts Area» zusammen, die sich darüberhinaus in Parkanlagen, Moscheen, Souks, autogerechte Zugangswege und die Strandpromende samt Hafen am Arabischen Golf verlängert. Für derartige Kunstinitiativen bedarf es freiräumlicher Kapazitäten, über die die europäische Landschaft nicht mehr verfügt. Aber auch Sharjah, eingeklemmt zwischen Dubai und Oman muss an dem schmalen Küstenstreifen des Golfs erst städtischen Freiraum schaffen, selbst wenn es im Osten über endlosen Wüstensand verfügt.
Damit aber nicht genug. Westlich des Kunstareals entsteht zusätzlich eine «Heritage Area», die, wie der Name verrät, ein Hybrid aus traditioneller arabischer Architektur und modernen Anforderungen werden soll. Zwischen den Wolkenkratzerketten und Stadtautobahnen hat man dafür weiteren Stadtraum freigelegt; errichtet wird eine orientalisierende Kleinbautenarchitektur mit Zinnen, Terrassen und Ornamentierungen auf labyrinthartigem Grundriss, eine Mischung aus Lehmbautenanmutung und funktionalem White Cube mit großen Fenstern, engen Gassen und sich dazwischen öffnenden Plätzen in italienischer Manier. Das Areal ist zudem mit einer Korallen-Steinmauer umgeben, die nur wenige Türen hat, so dass sich der geneigte Kunstbesucher nicht nur in den zeichenfreien Gassen weidlich verläuft, sondern sich mangels Entkommens im Wiedersehen der Ausstellungsobjekte übt. Das Imkreislaufen hat Methode und intensiviert die Kunstrezeption der diesjährigen 12. Biennale, die in all den verschiedenen Kunstanlagen und noch darüber hinaus angesiedelt ist.
Zu ihrer Eröffnung am 4. März 2015 gibt sich der Scheich von Sharjah die Ehre und bewirtet mehr als 500 geladene Gäste an weißgedeckten Tischen in einem Innenhof. Er und sein Hofstaat treten im weißem Kaftan auf und nehmen an einer langen Tafel Platz; Damen finden sich keine ein. Allein der Scheichtochter Hoor Al Qasimi, Initiatorin und Schirmherrin der Sharjah-Biennale, gebührt die Ehre eines öffentlichen Auftritts. Im ortsüblichen schwarzen Mantel samt Kopfbedeckung, freilich ohne Gesichtsschleier, wie ihn die meisten Frauen im Außenraum tragen, hält sie an diesem Abend die Eröffnungsrede, begrüßt ihren Vater mit «Your Highness», bevor sie die Biennalepreise zusammen mit weiteren Jurymitgliedern an mehrere KünstlerInnen und Kunstförderer wie die Vertreter des British Council oder der American Embassy übergibt.
Die zeitgenössische Ausgabe der Sharjah-Biennale sucht erneut ihrem Ruf als kritisches und lokalspezifisches Ausstellungsunternehmen gerecht zu werden und sich darin von der zeitgleichen Art Fair in Dubai abzugrenzen. Finanziell ermöglicht wird sie durch lokale Geldgeber ebenso wie verschiedene Arten ausländischen Sponsorings, je nach Künstlerbeteiligung durch europäische und US-amerikanische Kulturinstitutionen, in diesem Fall auch durch die Türkei, die die Kosten für die Schiffstransporte der Kunstwerke übernommen hat. Entsprechend dem ortskompatiblen Titel «The Past, the Present, The Possible» unterstreicht die korea-amerikanische Biennale-Kuratorin Eungie Joo ihrerseits die Notwendigkeit, das kulturelle Erbe mit der sich rasant wandelnden und prekären Zeitgenossenschaft zusammenzuführen und Experimente in kulturtransversaler Kommunikation zu wagen. 51 KünstlerInnen und Gruppen wurden in diesem Sinn eingeladen, die Möglichkeiten des Orts zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu imaginieren: Ortsspezifische Auftragsarbeiten sollen sich mit klassischen Konzeptkunstwerken reiben, Skepsis gegenüber narrativen Sicherheiten signalisieren und unerwartete Begegnungen initiieren.
Da die Sharjah-Biennale seit Beginn ihren Schwerpunkt auf arabische Kunstproduktionen mit afrikanischem Appendix legt, begegnen zunächst zahlreiche Arbeiten aus dem geographischen Raum zwischen Algerien, Kongo und Pakistan. Neben den mittlerweile sattsam bekannten Bildrecherchen der libanesischen KünstlerInnen Walid Raad, Akram Zaatari, Mona Hatoum und Etel Adnan oder der äthiopischstämmigen US-Amerikanerin Julie Mehretu, die mit ihren großformatigen Zeichnungen alleine einen der Galerieräume des Ausstellungslabyrinths bestückt, stechen die kühnen Konzeptkunstarbeiten des Libanesen Rayyane Tabet hervor. Nicht nur inszeniert er mit «Cyprus» ein anspielungsreiches und raumgreifendes Boot-Balance-Spiel im Biennale-Areal. Zudem reiht er eine scheinbar unendliche Serie von «Steel Rings» in den Korridoren des Kunstmuseums aneinander, um an die einstmals staatenverbindende Ölpipeline zwischen Saudiarabien und Syrien und damit an politische Allianzen zu erinnern und zugleich die einnehmendsten visuellen Effekte zu erzeugen. Dass Künstler der Arabischen Emirate durchaus mit Konzeptkunst vertraut sind, weisen auch die Arbeiten von Hassan Sharif aus Dubai nach: Haarlockenartig umgebogene und aufgehängte Kupferrohre wie auf der Straße gefundene und umstilisierte Ölfässer fügen sich zu ortsbezogenen Raumskulpturen. Abdullah Al Saadi, ebenfalls aus den Arabischen Emiraten, lockt mit kuriosen «Vogelscheuchen» aus Alltagsgegenständen die BetrachterInnen in den Ausstellungsraum. Ergänzt werden diese aktuellen Arbeiten durch ältere, vergleichsweise traditionelle Gemälde, die in einem der Flügel des Kunstmuseums zu sehen sind und interessanterweise zeigen, dass es zu den malerischen Strömungen des 20. Jahrhunderts, wenn auch häufig zeitverschoben, immer arabische Pendants gegeben hat, impressionistische nicht weniger als tachistische oder abstrakte Gemälde.
Seltsam klischeehaft wirkt demgegenüber, dass KünstlerInnen aus afrikanisch-südsaharischen Ländern immer durch Tanzperformances, Gesänge und Trommelspiele überzeugen sollen. Einzig die in Ghana geborene Londoner Malerin Lynette Yiadom-Boakye ist mit kleinformatigen Porträts dunkelhäutiger Personen an zwei Orten des Ausstellungsareals präsent. Ein ebenfalls anwesender Kurator aus dem Kongo, Patrick Mudekereza, der in Lubumbashi eine Biennale zu organisieren sucht, verweist immerhin auf moderne installative und partizipative Artikulationsformen auch auf diesem Kontinent.
Zu den künstlerischen Arbeiten aus arabisch-afrikanischen Ländern gesellen sich dann äußerst unterschiedliche aus Südostasien, Lateinamerika und Europa, die die Biennale zu einer Art Querschnitt zeitgenössischer Kunstartikulationen werden lassen. Sie verdeutlichen zugleich, dass das Herkunftsland der KünstlerInnen häufig kaum mehr angebbar ist. So spielt die in Berlin lebende Koreanerin Haegue Yang in ihrer multimedialen Rauminstallation auf die Aufbauarbeit koreanischer Gastarbeiter in den Vereinigten Arabischen Emiraten an, während der ausnahmsweise noch in seinem Heimatland lebende Koreaner Beom Kim mittels heiter-konzeptueller Verweigerung figürlicher Abbildungen die BetrachterInnen zu imaginativen Eigenleistungen aufzufordern sucht. Die in Rotterdam angesiedelten KünstlerInnen Babak Afrassiabi und Nasrin Tabatabai skizzieren in ihrem Video «Plate It With Silver» minoritäre Wasserökonomien zwischen Fischen und Schmuggeln, aber auch verwandte arabisch-afrikanische Besessenheitskulte entlang der Wasserstraße von Hormus. Der argentinische Künstler Eduardo Navarro führt mit «XYZ» ein auf Kooperation basierendes und nicht gewinnorientiertes Spiel mit Kindern auf. Der in Paris lebende US-Amerikaner Eric Baudelaire thematisiert in Briefen und laufenden Bildern die paradoxe Situation der nichtanerkannten autonomen Republik Abchasien. Der Japaner Taro Shinoda inszeniert mit weißem Sand einen bestechend gemäldeartigen Garten, der gleichwohl durch kleine Mulden in Richtung zeitlicher Vergänglichkeit entgründet wird. Die Brasilianerin Jac Leirner entfaltet eine Rauminstallation mit den Readymades von Geldscheinen und Sudokospielen, die sie zu konzeptuellen Bildern und Währungsschlangenskulpturen zusammenfügt. Der in den USA lebende Taiwanese Jawshing Arthur Liou nimmt die BetrachterInnen in seiner Videoarbeit Kora mit auf eine tranceartige Wanderung durch das Himalaya in dem Versuch, den Tod seiner Tochter zu vergessen. Die pakistanische Künstlerin Lala Rukh überzeugt durch minimalistisch- rhythmisierte «Hieroglyphen» auf schwarzem Grund. Schließlich bietet der bekannte Thailand-Berlin-Amerikaner Rirkrit Tiravanija eine besondere sensorische Erfahrung, indem er die im ortseigenen Zivilisationsmuseum angetroffene Technik der Rosenwasserproduktion in einem orientalisch gestalteten Rosengarten wiederbelebt und zudem Rosenhymnen an die Galeriewände kalligraphieren lässt. Schließlich transformiert der Argentinier Adrian Villa Rojas in einem zweimonatigen Einsatz eine ehemalige, am Golf von Oman gelegene Eisfabrik in ein Labor zur ökologischen Wiederaufbereitung örtlicher Ressourcen; in Anspielung auf Landart Skulpturen von Richard Serra formt er den Wüstensand, durchsetzt mit Kompost und gefundenen Materialen, zu langen Hügelketten oder stellt ihn als vertikale Skulpturen in seinem regenerativen Potential aus.
Für Sharjah wie für die anderen Emirate scheint zweifelsfrei zu sein, dass sie auf solch regenerative Potentiale setzen müssen, wozu angesichts der auslaufenden Erdölreserven die Kunst gerechnet wird. Betont wird zwar, dass man neben den Megagesamtkunstwerken der Venedig Biennale mit einem Budget von 18 Millionen Dollar und der documenta mit 14 Millionen Dollar nur ein kleines, wenn auch stolzes Biennale-Schiffchen mit weniger als einer Million Dollar zur Verfügung habe. Gleichwohl: Wie der Wüstensand mit aureichend Zusätzen fruchtbar gemacht werden kann, so möglicherweise auch die günstige Verbindung nach Afrika und Asien auf den zahlreichen Wasserstraßen für einen sich nach den vielen Winden drehenden Kahn. In jedem Fall möchte das wegweisende Biennale-Motto über die geographischen Genzen hinaus signalisieren, dass man zwischen Vergangenheit und Gegenwart noch allerhand Möglichkeitsräume für globalisierte Gesamtkunstveranstaltungen zu eröffnen hofft.