22. November 2008
Filmkritik und Unterhalt des Lebens Zur Tagung Filmkritik und Internet
Auf der Tagung zu Internet und Filmkritik am Donnerstag blieb eine Wortmeldung, als letzte des Vormittags, unwidersprochen. Holger Twele (ein paar Infos hier), der auf dem Foto auf seiner Homepage so fröhlich guckt, war gar nicht fröhlich. Er sprach ein Zentralthema des Tages an, das während der Veranstaltung selbst nicht einmal so sehr im Fokus stand, in den nun erschienenen Berichten zur Tagung (taz, Berliner Zeitung) aber sehr prominent figuriert. Es ging bei Holger Twele, in den Berichten und allerdings auch in manchem Gespräch am Rande um die so leidige wie existenzielle Frage des Überlebens. Twele hat in seiner Wortmeldung «uns Blogger» aufgefordert, nicht ohne Honorar oder für wenig Geld zu schreiben, weil wir die Preise damit drücken. Weil wir uns, das Wort ist, denke ich, gefallen, damit ausbeuten lassen.
Es wird im selben Zusammenhang gerne auch von Selbstausbeutung gesprochen, Bert Rebhandl nennt das etwas struktureller persönliche «Quersubventionierung» – das ist ein Faktum, das kaum einem freien Journalisten im Kulturbereich fremd ist. Ethisch fatal wird es an dem Punkt übrigens immer dann, wenn die Einkommensquellen sich aus PR, also dem geraden Gegenteil von Journalismus und Kritik speisen.
Mein mich selbst keineswegs immer überzeugendes Gegenargument lautet dabei, dass man sich den Zwängen der Ökonomie erst recht unterwirft, wenn man sie sich so weit zu eigen macht, dass man ihnen aus – völlig legitimem–- Eigeninteresse folgt und also den Twele macht. Man muss das gar nicht groß zum heroischen Widerstand gegen Markt und kapitalistische Mechanismen aufbauschen. Kann man aber sehr wohl und Theorien und Manifeste der Verausgabung und Verschwendung, die auf Verweigerungen dieser Art im Hinblick auf den Umsturz gegenwärtiger Verhältnisse zielen, brauchen wir weiterhin auch – ebenso wie Plädoyers dafür, von Bartleby das Schweigen zu lernen.
Nicht zuletzt aber bringt man sich, davon bin ich überzeugt, vor allem und in erster Linie selbst um die Leidenschaft, die man hat, wenn man sie auf diese Weise ausschließlich als Ressource begreift und so als allereigenste Kraft zur Selbstverwertung dem Markt überlässt. Warum und wie der das mit Kusshand nimmt, beschreibt übrigens Diederich Diederichsen in seinem neuesten, absolut brillanten Buch Eigenblutdoping. Er macht darin ein paar – ästhetische, existenzielle, nur indirekt ökonomische – Gegenvorschläge, die umso mutiger sind, als sie auf den ersten Blick recht altmodisch scheinen.
Unter den Rednern der Tagung war vor allem Thierry Chervel vom Perlentaucher aufgetragen, ganz pragmatisch ermutigende ökonomische Modelle für die Finanzierung von Qualitätsjournalismus im Netz zu skizzieren. Leider war auch er da aus eigener Erfahrung sehr pessimistisch. Stiftungen, Mäzene, Subventionen: alles sehr wünschbar und insgesamt nichts davon in die Breite sonderlich realistisch. Natürlich kann und sollte man gesellschaftliche Verantwortung für – und ein massives gesellschaftliches Eigeninteresse an – Qualität in Unterhaltung und Kunst fordern. Und zwar selbstbewusst. Aber kümmert's, nur zum Beispiel, wen, wenn wir streiken?
Von mangelnder Organisation (und Organisierbarkeit) und Solidarität der frei schwebenden Journalistinnen, Kritiker etc. mal ganz abgesehen. Christoph Hochhäusler hat, auf der Tagung schon, und nun auch in seinem Blog einen anderen Vorschlag gemacht, der in Form von Verwertungsgesellschaften oder ähnlichem die Profiteure der von den Netzstrukturen produzierten Ökonomien in die Pflicht nimmt: «Auf lange Sicht aber lässt sich die Vielfalt, die wir heute erleben, nicht mit Idealismus allein erhalten. Ich denke, es wird Zeit für ein realpolitisches Erwachen, das die Hardware- und Kommunikationsindustrie (die ihre Geräte und Verträge mehr und mehr wegen «unserer» Inhalte verkaufen) zwingt, einen fairen Anteil ihrer Gewinne an die Urheber zu verteilen.
Sollen wir Manifeste schreiben, Eingaben machen, uns organisieren? Oder sind wir Kulturproduzenten nicht immer auch die Klasse, die weiß, dass sie besseres zu tun hat als das? Ist diese Klugheit unsere größte Dummheit?