4. September 2012
Sans femmes? Zum Frauen/Kino-Schwerpunkt der Cahiers du cinéma
«Où sont les femmes?» fragen die Cahiers du Cinéma in ihrer aktuellen Ausgabe, und wer die Filmfestspiele von Cannes dieses Jahr verfolgt hat, weiß, dass diese Frage in Reaktion auf den Vorwurf der feministischen Gruppe La Barbe erfolgte, die festgestellt hatte, dass im Wettbewerb nicht ein einziger Film einer Frau vertreten war. Sie hatte daraufhin in Le Monde einen entsprechenden Artikel veröffentlicht. Die Antwort auf die von den Cahiers nun gestellte Frage hatte La Barbe auch gleich mitgeliefert: die Frauen sind als Hostessen auf der Bühne oder auf dem Plakat. Eines zeigte Marilyn Monroe mit einer Geburtstagstorte: «Les hommes aiment la profondeur chez les femmes, mais seulement dans leurs décolletés», sagten dazu die Frauen von La Barbe.
Auf dem Titelbild der Cahiers ist dafür nun eine «weibliche Kamera» zu sehen, erkennbar an den hohen Absätzen, die diese trägt. Es ist eine alte Kamera mit der heute niemand mehr dreht und die im Profil und mit den Schuhen eher an eine Micky Mouse erinnert als an ein Werkzeug zum Filmemachen. Die Kamera geht auch in die richtige Richtung, nach links zur Rückseite, auf der bei den Cahiers normalerweise die Frauen in Form einer L’Oréal-Werbung zu finden waren, bei der aktuellen Ausgabe ist es ein Modelabel – mit weiblichem Modell.
Nun kann man den Cahiers nicht ernsthaft den Vorwurf machen, sie würden den Filmen von Frauen zu wenig Aufmerksamkeit schenken oder die der Männer bevorzugen. Die Filme werden generell ausgewogen und kritisch kommentiert, Rollenklischees weitestgehend vermieden und bei den ausführlicheren Besprechungen findet sich in etwa der Anteil an Filmen von Frauen, den diese auch in der Filmindustrie zu verantworten haben (knapp ein Fünftel der Filme werden von Frauen gemacht). Und dennoch nützt Delorme das Editorial als Verteidigung und Rechtfertigung, ohne dass das nötig wäre. La Barbe haben auf pointierte und auch amüsante Weise, wie es häufig ihr Stil ist, auf einen ernsthaften und besorgniserregenden Sachverhalt hingewiesen. Weder haben sie gesagt, dass Frauen bessere Filme machten oder spekuliert, dass bessere Filme von Frauen zurückgehalten wurden. Trotzdem bezeichnet Delorme ihre Aktion abwertend als kleinen, langweiligen Aufstand (in Anspielung an den Namen des Kollektivs «une petite fronde un peu barbante») und ihre Veröffentlichung eine bedrohliche Forderung («la revendication menaçante»).
Bereits in der Juni-Ausgabe, in der traditionell die ersten Resümees aus Cannes gezogen werden, hatte Delorme die Aktion von La Barbe als naiv bezeichnet und setzte in Klammern hinzu: «Wetten, dass es im nächsten Jahr mehr [Filme von Frauen im Wettbewerb, FK] gibt!» Damit machte er schon mal gleich klar, dass jeder Film einer Regisseurin im Wettbewerb 2013 allein aufgrund dieser Aktion dort zu sehen sein werde und nicht wegen seiner künstlerischen Qualitäten. Sois belle et tais-toi.
Nun also ein Hilferuf: «Au secours!» ruft Delorme auf Bekundungen wie «wir Frauen» von Melissa Silverstein, die den Blog Woman and Hollywood betreibt. Und auf die Gender Studies würden die Franzosen ja «gerechtfertigter Weise allergisch reagieren». Man darf sich also fragen, wie ernsthaft ein Schwerpunkt mit solch einer Einleitung ausfallen wird.
Den Auftakt macht die Statistik: Frankreich ist das Land mit dem höchsten Prozentsatz an Frauen, die als Regisseurinnen arbeiten, ganze 20% sind es. Und in der Tat, aus kaum einem anderen Filmland fallen einem spontan so viele Regisseurinnen ein: Agnès Varda, Catherine Breillat, Claire Denis, Noémie Lvovsky und Mia Hansen-Løve oder die Kamerafrauen Agnès Godard und Caroline Champetier, um nur die aktuell bekanntesten zu nennen.
Der Rest des Schwerpunktes besteht überwiegend aus kurzen Statements von Filmemacherinnen aus verschiedenen Ländern und Regionen der Welt sowie kurzen Berichten zur dortigen Arbeitssituation. Die Fragen, die den einzelnen Regisseurinnen gestellt wurden, bleiben einseitig: ob sie glaubten, dass es Sujets gäbe, die nur von einer Frau behandelt werden könnten, ob «feministisches Kino» ihnen etwas bedeute und ob es eine weibliche Handschrift gäbe. Natürlich verneinen fast alle diese Fragen, möchten sie doch wie ihre männlichen Kollegen in erster Linie als Regisseurin und nicht als Vertreterin einer Minderheit mit politischem Programm gesehen werden. Für Delorme geht damit die Rechnung auf, Feminismus braucht es im Kino nicht, q.e.d. Eindeutig feministische Positionen wie die von Breillat oder Virginie Despentes fehlen in der Zusammenstellung, keine der Befragten hat zudem das Manifest von La Barbe unterzeichnet. (Nicht, dass es dazu keine Gründe gäbe, Chantal Akerman sagt im Interview mit den Cahiers, dass sie keine Lust hatte, bei der Aktion mitzumachen, weil ihr Cannes sowieso zu geradlinig vorkomme, da dort sowieso immer nur dieselben teilnähmen. Céline Sciamma (Tomboy) argumentiert ähnlich, wenn sie sagt, dass die mangelnde Vertretung von Frauen im Wettbewerb von Cannes nur eines von vielen Problemen sei, jüngere Regisseure seien dort ebenfalls kaum vertreten.)
Die Fragen zeigen aber auch, dass die Cahiers das Problem nicht begriffen haben. Ihr Schwerpunkt ist nicht mehr als ein Portrait einiger Ausgewählter, geriert sich aber durch diese Fragen programmatisch. (Von 16 Regisseurinnen wurde übrigens nur eine von einer Frau befragt, alle anderen Interviews führten Männer!) Es geht bei diesem Thema ja nicht um eine Unterdrückung oder Zensur der weiblichen Sicht, viele Regisseurinnen sagten, dass ihnen viele Filme von Männern einfielen, die sich solchen Themen besonders gut näherten. Viel wichtiger wäre eine Ursachenforschung, eine Thematisierung der strukturellen Probleme sowie der Rollenklischees. In den redaktionellen Beiträgen findet sich das kaum, in den Fragen auch nicht, glücklicherweise aber in einigen Antworten.
Maren Ade (Alle Anderen) antwortet, dass sie den Eindruck habe, dass Frauen einen weniger ausgeprägten Hang zum Größenwahn hätten, was aber nötig sei, um Filme zu machen. Clarisse Hahn (ihr Dokumentarfilm Kurdish Lover startet diesen Monat in Frankreich) argumentiert in eine ähnliche Richtung, wenn sie anmerkt, dass es im Bereich des Spielfilms nicht genüge, nur gute Qualität abzuliefern. Sehr wichtig sei auch das Auftreten und Macht, sicher ein Grund, so Hahn, warum Frauen eher im Bereich des Dokumentarfilms zu finden seien, wo «der Künstler eine weniger strahlende Position einnähme, was zur Position der Frauen in der Gesellschaft passe.»
Es sind diese Aspekte, die einer eingehenderen Betrachtung aus der Perspektive der Praxis lohnen würden, und man hätte sich hier mehr Raum für Gedanken dieser Art gewünscht, Raum, der nicht durch die Art der Fragen eingeengt wird. Immerhin, drei Regisseurinnen bekommen ungefähr eine Seite Platz und weigern sich auch, kleinteilig auf die Klischees reproduzierenden Fragen zu antworten. Mia Hansen-Løve (ihr Film Un amour de jeunesse startet diesen Monat in Deutschland, siehe dazu cargo #15) fordert in ihrem Beitrag, dass man genau analysieren müsse, warum es deutlich weniger Frauen schafften, im Filmgeschäft zu reüssieren. Und vielleicht hätten die Cahiers besser daran getan, den Schwerpunkt insgesamt von Frauen selbst verantworten zu lassen, sicher wäre man schneller und ausführlicher auf die wirklich wichtigen Punkte zu sprechen gekommen
Pikantes Detail am Rande: Chantal Akerman erwähnt im Interview, dass sie die einzige Frau in der neuen von Sight & Sound ausgelobten Top–100-Liste sei (Platz 36 mit Jeanne Dielman). Man kann da auch kurz nachschauen, wer wie abgestimmt hat. Die Cahiers-Crew hat in ihrer jeweils abgegebenen Top Ten nicht eine Frau aufgezählt und die beiden in der Redaktion vertretenen Frauen haben keine Top Ten abgegeben. Das Bewerten ist auch in der aktuellen Ausgabe der Cahiers noch fest in männlicher Hand: am Ende eines jeden Heftes findet sich der Conseil des dix, der Rat der zehn. Fünf Kritiker der Cahiers und fünf aus anderen Zeitungen bewerten dort die aktuellen Filme. Unter den zehn des Rates findet sich nicht eine Frau.