11. Dezember 2014
Platform Zealot Zu einer Veranstaltung im ÖFM
Sein zehnjähriges Jubiläum hatte das Österreichische Filmmuseum, das lese ich im dieses Jahr erschienenen, von Eszter Kondor verfassten Band Aufbrechen. Die Gründung des Österreichischen Filmmuseums noch mit einem 24-stündigen «Vorführmarathon» gefeiert. Am 16. und 17.2.1974 «wurden 35 Filme (...) fast durchgängig präsentiert. Konlechner und Kubelka spendierten (...) Würstel und Wein.» Die zugehörige Bildstrecke zeigt einen überfüllten Kinosaal; vorwiegend langhaarige junge Männer stehen bei der Würstelausgabe an oder sitzen im Zuschauerraum, die nächste Vorstellung erwartend. (Und zwar sitzen sie noch auf vorlesungssaalartigen Holzstühlen; erst 2003 wurden die jetzigen schwarzen Ledersessel montiert.)
Gute 40 Jahre später und also 50 Jahre nach Gründung der Institution listet die Website des ÖFM ganze 21 «Projekte zum Jubiläum» auf. Kondors Buch ist eines davon, beziehungsweise eigentlich nur ein Drittel von einem: Gemeinsam mit zwei anderen Bänden steckt es in einem Schuber namens Fünfzig Jahre Filmmuseum, der die bislang massivste Buchveröffentlichung im beeindruckenden und immer schneller anwachsenden hauseigenen Verlagsprogramm darstellt. Daneben: DVD-Veröffentlichungen, diverse Filmreihen sowohl im ÖFM selbst als auch auf befreundeten Festivals, ein «Förderprogramm Filmpatenschaft», ein eigenes Filmprojekt (realisiert von Michael Palm). Und schließlich, dafür reise ich für ein paar Tage nach Wien, eine Vortrags- und Gesprächsreihe mit dem angesichts dieser selbstrepräsentativen Großanstrengung sicherlich zumindest auch ironisch gemeinten Titel «Das unsichtbare Kino». Einen Vorführmarathon aber gibt es nicht mehr, und auch an die Würstel kommt man nur noch an der sonderbar aufgebrezelten Imbissbude nebenan, vor der Anzugträger und Hipster anstehen, um auf mir eher unangenehme Art kurzfristig Proletarier zu spielen und der aus dem Weg zu gehen ich mir deshalb jedesmal vornehme, wenn ich nach Wien reise (diesmal hätte es beinahe geklappt).
Um darzustellen, was das ÖFM war, ist und sein wird, reichen 2014 ein Würstel und 35 Filme offensichtlich nicht mehr aus. Zeigt dieser Unterschied mehr an als den Wachstum und das mehr oder weniger natürliche Älterwerden einer Institution? Vielleicht gibt er außerdem einen Hinweis auf die ambivalente Natur (oder vielleicht eher: ambivalente Praxis) jenes puristischen Konzepts von Kino, für das das ÖFM fast schon paradigmatisch einsteht. Denn einerseits hat der fortgesetzte Erfolg und die internationale Anziehungskraft des ÖFM zweifellos viel damit zu tun, dass Alexander Horwath und seine Mitarbeiter gewisse dispositivische und (film-)materielle Aspekte dessen, was Kino einmal gewesen ist, dezidiert nicht zur Disposition stellen; andererseits scheint diese Position nur (durch-)haltbar zu sein mithilfe eines ständig anwachsenden Vermittlungsapparats.
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Die Zusammenstellung der Vorträge zum Jubiläumsabschluss lässt insgesamt ein Bestreben erkennen, den Purismus mit seinen diversen Alternativen und Gefährdungen zu konfrontieren und dadurch Nostalgievorwürfe gar nicht erst zuzulassen. Die ersten beiden Beiträge, die ich mitbekomme, kann man immerhin noch als Geburtstagsgrüße an die Institution verstehen. Daniel Fitzpatrick zeichnet nach, wie die Utopien des Expanded Cinema der 1960er und 1970er vor allem seit den 1990er Jahren in der Aneignung durch die Kunstwelt korrumpiert wurden und sich zum Beispiel in der 2002/2003 von Jeffrey Shaw und Peter Weibel kuratierten Ausstellung «Future Cinema. The Cinematic Imaginary After Film» einem Konzept von «museum as office space» andienten. Als positiver Gegenentwurf nennt er unter anderem das von Horwath für die documenta 12 kuratierte Filmprogramm «Normalfilm» - dass das ÖFM selbst mitgemeint ist, versteht sich von selbst. Großartig ist der Film, den er außerdem mitgebracht hat: Forbidden Symmetries (part 3) von Rouzbeh Rashidi, eine mittellange Arbeit aus der irischen Avantgarde, imaginiert einen maximal entmächtigten Kinozuschauer: halbnackt liegt er rücklings auf dem Boden, den Kopf im Nacken, die Augen weit aufgerissen, von rot pulsierendem Stroboskoplicht überwältigt.
Winfried Pauleits leichtfüßig experimentell angelegter Vortrag «Museum x Film = Zeitmaschine» versammelt anschließend eine Handvoll Lektüren von Science-Fiction-Filmen der 1960er und 1970er. Pauleit liest unter anderem La Jetée und Resnais' Je t’aime, je t’aime als Allegorien auf die damals sich etablierenden Filmmuseen im Allgemeinen und das ÖFM im Besonderen – was natürlich insofern schmeichelhaft ist, als man zum Beispiel auch auf die Idee kommen könnte, Kubelkas «Zwang zur Wahrnehmung» mit Kubricks Clockwork Orange zu illustrieren. Auch Pauleit hat einen schönen Film mitgebracht: Jean Painleves Le vampire, in dem eine Fledermaus den Hitlergruß probt.
Noam M. Elcotts Vortrag «The Phantasmagoric Afterlife of Cinema» hätte eher dazu geeignet sein können, das Selbstverständnis des Filmmuseums herauszufordern: Das Kinodispositiv, so beginnt es gleich, soll – gegen den Widerstand von platform zealots wie Raymond Bellour und wohl auch der ÖFM-Crew – historisiert werden als eine weitgehend kontingente Präsentationsform von Bewegtbildern. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob seine nachfolgenden, kulturhistorisch zweifellos interessanten Ausführungen medientheoretisch tatsächlich so tragfähig sind, wie er das (in brillianter Diktion) zu glauben scheint. (Beziehungsweise etwas genauer: Ob man die von Elcott stark gemachte «phantasmagorische Tradition» von Geisterbildapparaturen, in der sich die Bilder von klar verortbaren Leinwänden und Bildschirmen lösen und plötzlich denselben Raum mit ihren Betrachtern zu teilen scheinen, tatsächlich als eine progressive künstlerische Strategie beschreiben kann. Dient sich die Theorie da nicht eher der Logik einer Industrie an, die längst darauf angewiesen ist, ihre Produkte aktiv zu entorten und sie als cross-platform-content über diverse Plattformen flottieren zu lassen?) Für mich ist es jedenfalls immer ein schlechtes Zeichen, wenn Publikumsgespräche nach Vorträgen nichts öffnen, sondern lediglich auf kleinteilige Subunterscheidungen innerhalb des eigenen Theoriemodells herauslaufen. Kann natürlich auch gut sein, dass das alles nur Mäkeleien eines unverbesserlichen platform zealot sind.
Tags darauf sind Lars-Henrik Gass (Internationale Kurzfilmtage Oberhausen) und Chris Dercon (Tate Modern, London) zu einem öffentlichen Gespräch geladen. Zwar hätte ich mir manchmal etwas konkretere Auskünfte über die altäglichen Erfahrungen von Kinomachern gewünscht (die wenigen Beispiele, die zur Sprache kommen, machen einen etwas windschiefen Eindruck: Peter Nestler funktioniert in London, aber Sam Fuller funktioniert in München nicht); doch die Fronten sind angenehm klar: Gass verteidigt das Wahrnehmungsdispositiv Kino zur Not auch vor leeren Zuschauerrängen, Dercon dagegen bejubelt die Entgrenzung des Kinos in die Kunstwelt – weil: da kommen sie wieder, die Leute – und würde außerdem am liebsten Bela Tarrs Satantango auf Langstreckenflügen zeigen. Meine Sympathien sind ebenso klar verteilt: Wenn der vermeintliche Purismus, der ja in der Praxis meist auf nicht viel mehr hinaus läuft als auf die Einhaltung einiger Mindeststandards, die oft genug schon die Alltagshöflichkeit gebieten sollten, aus einer reinen Marktlogik heraus attackiert wird, werde ich gerne mit Gass und Kubelka zum Kinostalinisten (wohl wissend allerdings, dass ich mir das auch deshalb leisten kann, weil ich mich im immer noch vergleichsweise großzügig mit öffentlichen Geldern unterfütterten deutschen Kulturbetrieb bewege).
Aber es gab doch einen Vortrag, der das Kino als Wahrnehmungsdispositiv, aber auch als institutionelle Logik auf eine interessante Art herausforderte: Nicole Brenez sprach in ihrem inspirierenden Beitrag über «The consulted Cinema and some of its effects». Es geht da um zumeist mehr oder weniger explizit politisch ambitionierte Found-Footage-Filme – und zwar gerade um solche, die das vorgefundene Filmmaterial offensiv zweckentfremden. Die Filme, die Brenez präsentiert, haben ihre natürliche Heimat eher im Internet als im Kino und sie speisen ihre Kraft gerade daraus, dass sie die älteren, historischen Filme, auf die sie sich beziehen, nicht sakralisieren und überhöhen, sondern sie gerade in ihrer jeweiligen korrumpierten, halb verfallenen, schlecht encodierten Aktualität nutzbar machen. (Eine besonders schöne Volte des Vortrags leitet daraus eine rezeptionsästhetische Pointe ab: Das consulted cinema lehrt andere Formen der Wahrnehmung von Filmen; neben das interesselose Ansehen treten die Überprüfung, der Gebrauch, die Manipulation usw.) Die Filmbeispiele, die Brenez mitbringt, bleiben auf wiederum interessante Art und Weise ambivalent: Einerseits ist es unmittelbar einleuchtend, wenn der Videoaktivist Mattlouf in Sarkolonisation eine die französische Vergangenheit als Kolonialmacht dreist zum zivilisatorischen Bildungsroman umlügende Sarkozy-Rede mit Bildern aus Rene Vautiers antikolonialistischem Klassiker Afrique 50 unterlegt; ob man allerdings andererseits den durchaus dumpf völkisch anmutenden Ausschnitt aus Florent Marcies Itchkeri Kenti auch außerhalb von Brenez’ Argumentation verteidigen kann, ist eine ganz andere Frage. Den Abschluss macht doch wieder eine 35mm-Kopie. Ixe von Lionel Soukaz macht vor allem deutlich, wie zeitabhängig Filmvorführungen aller technischen Reproduzierbarkeit zum Trotz stets sind: Was 1980 als frenetische Bestandaufnahme einer schwulen, drogengeschwängerten Subkultur, als eine möglichst vermittlungsfreie Kontaktzone von (Anti-)Kunst und Leben angelegt gewesen sein dürfte, wird 2014 im Filmmuseum instantmonumentalisiert.
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Der Saal füllt sich von Veranstaltung zu Veranstaltung mehr. Als am letzten Abend Jacques Ranciere – in einem Gespräch mit Bert Rebhandl – spricht und unter anderem von seiner Vergangenheit als macmahonistischem Cinephilen, der in den späten 1950ern neben den Cahiers-Leuten in Anthony-Mann-Filmen saß, berichtet, ist das Kino ausverkauft, auch die Seitentreppen sind überfüllt. Vorne links sitzt eine Mitarbeiterin des Filmmuseums neben dem Lautstärkeregler; wenn Rebhandl spricht, dreht sie den Ton auf, sobald Ranciere das Wort ergreift, dreht sie ihn wieder herunter; sie muss dann aber die Hand am Regler lassen, weil die Sprechweise des Philosophen - insbesondere dessen agitierte Körpersprache – sich gegen das Prinzip der Verstärkung selbst zu sträuben scheint.