3. Dezember 2023
Nähe Mehringplatz, eine Schonung Gob Squad und Nachbar*innen vom Mehringplatz laden ein ins Hebbel am Ufer
Der große Tisch, an dem gekocht wird, und am Ende gegessen, steht nicht an der Rampe, sondern ziemlich weit hinten. Im Zuschauerraum sind die Stühle entfernt, man sitzt auf dem Boden, am Rand ein paar Tische, besser sieht man, auch die Leinwand über dem Tisch, wenn man mittiger sitzt. Die Bühne ist verlängert, ein Laufsteg, der weit ins Publikum reicht. Da sitzen zu Anfang schon zwei der Performer, Bastian Trost und Johanna Freiburg, und erklären ein paar Dinge, wie etwa, dass man oben, wo die Sitzplätze sind, anders als unten keine Speisen und Getränke reinbringen darf. Dann geht es los, ein kurzer Film, Ortsbesichtigung, bei der man gleich ein paar Leute von nebenan kennenlernt, den rappenden Efe, der elf ist, und Musik mag und Sport.
Dann Einzug durch den Zuschauerraum, nicht aus den unsichtbaren hinteren Räumen des Theaters, die Gastgeberinnen und Gastgeber des heutigen Abends, in Kochkitteln manche, andere festlich und bunt, aus dem gleich nebenan liegenden Kiez, vom Mehringplatz, der im Krieg völlig zerstört, danach zunäst ein stadtplanerisch ambitioniertes Projekt war, von Hans Scharoun groß gedacht, von dessen Schüler Werner Düttmann aus Finanznot kleiner entworfen, seit Jahrzehnte dann das, was die Privilegierteren, die hier kaum wohnen, “sozialen Brennpunkt” und “Präventionsgebiet” nennen. Vorgestellt wird die Gruppe, die sich regelmäßig trifft, um zu kochen, eine Gemeinschaft, die von Gob Squad nicht gebildet wurde, sondern gefunden. Eine Gemeinschaft, die als Ganze nicht in den Vordergrund gerückt wird, es wird ihr nur eine Bühne gegeben, auf der sie nun vor Publikum gar nicht so viel anderes tut als, ohne Publikum, sonst. Es wird Gemüse geschnippelt, es ist edler als sonst, denn für gewöhnlich werden, weil es an Geld mangelt, nicht mehr verkäufliche Reste verkocht.
Eine ältere Frau, die offenbar Lehrerin war, verliest eine Liste der Regeln, die diese Gruppe sich gegeben hat, die sie, um Gruppe zu sein, sein zu können, für sich akzeptiert. Einfache Dinge, die schwierig sind wie: einander zuhören, einander ausreden lassen und gegenseitiger Respekt. Die Performer fragen, erklären, tun mit, wie man sie kennt: ganz und gar unvirtuos. Auftritte gibt es, auf dem Laufsteg, vier junge Frauen machen das toll, noch einmal sieben Dinge, die wichtig sind, das Helfen, das Dasein, das Beten, das Offen-Sein für den andern, das Sich-Sorgen, taking care, aber es ist alles nur gerade eben so ein wenig theaterhaft, was ja aber nichts heißt in Zeiten, in denen die halbe Welt Versionen von sich für soziale Medien performt. Es werden kaum individuelle Geschichten erzählt, anders als bei Rimini Protokoll agieren hier nicht Experten des Alltags, die auf der Bühne sich und etwas performen, bei dem man was lernt, sondern alltägliche Menschen, bei denen es gerade nicht um eine Besondherheit geht. Schicksale gibt es, Not, Bedürfnisse, Stolz. All das kommt zur Sprache, genauer gesagt: zu den Sprachen, denn Türkisch, Arabisch und später auch Dari (also die afghanische Variante des Persischen) sind neben dem Deutschen präsent, die Beschädigungen, die Einsamkeit, die Nöte werden berührt, aber mit wenigen Ausnahmen nicht in die Performance von Individualität überführt.
Eine Person hat keine Wohnung, man lebt in einem Zimmer zu siebt, bei vielen reicht das Geld nicht hinten, nicht vorne, später werden ein paar weitere Bedingungen der Möglichkeit des Gruppe-Seins aufgezählt, zu denen nicht zuletzt, vielleicht sogar wirklich zuerst, einige fundamentale Ausklammerungen gehören, handle with care, der Titel des Abends, gilt für Konfliktlinien, die man ahnt: Man spricht nicht über die Liebe und nicht über Palästina, also die Politik, vielleicht spricht man ohnehin nicht so wahnsinnig viel, sondern: schnippelt und schält, kocht und isst. Und kümmert sich so.
Es ist eine Gruppe, die Heterogenität aushalten muss; die Konflikte, die nicht die Gruppe als Gruppe betreffen nicht bearbeitet, sondern an anderen Orten belässt. All das wird auch an diesem Abend, auch von den Performern, mit Vorsicht behandelt. Gesagt und gezeigt und vorgeführt wird vor allem das, was die Menschen vom Mehringplatz sagen und zeigen und vorführen wollen. Symptomatisch, exemplarisch eine Frau in einem Einspielfilm, man sieht ihr Gesicht nicht, nur ihre Hände, sie erzählt vom Moment der Ruhe, wenn die Kinder das Haus nach dem Frühstück verlassen, da hat sie fünf Minuten für sich. Man blickt ihren Blick von ihrem Balkon, sie erzählt von der Bedeutung, die die Religion für sie hat, und steuert allen Vorurteilen, die so eben auch gleich anwesend sind, entgegen, indem sie beteuert, wie offen sie für das ist, was andere denken und sind. In einem anderen Einspielfilm berichtet der Betreiber eines Repair-Cafés, was es so alles zu reparieren gibt am Mehringplatz, und es sind meist nicht wirklich die Dinge, sondern die Leben und die Seelen der Menschen. Handzettel sind gedruckt, wer im Publikum technischen (und, ist zu ergänzen: menschlichen) Sachverstand hat, kann sich melden.
Gob Squad führen das, führen die Menschen, die sie am Mehringplatz trafen, nicht vor. Sie bereiten ihnen nur, ganz, aber dann doch nicht nur buchstäblich, eine Bühne, auf der sich alles in allem recht wenig tut. Es ist, in einem solchen Sinn, bescheidenes, wenn nicht armes Theater, aber die Stärke liegt gerade im Eingriffsverzicht. Im Offen-Sein und im Schonen, das ans Vermeiden grenzt, es aber durch Thematisierung dieses Vermeidens, wenn auch nicht der Konflikte, Gewalt, Aggressionen, nicht ganz bei diesem belässt. Das Ausklammern und seine Notwendigkeit fürs Zusammensein dieser Menschen, es ist präsent. Auch ästhetische Abstände werden sanft produziert: Eine Gaze-Schicht als transparenter Vorhang, der einerseits als Träger für die Live-Projektionen (von Gemüse, Snasphots, Details, Tischdekorationen, Schrift in den verschiedenen Sprachen) fungiert, aber eben auch als Membran - die Bewegungen von vorne nach hinten und wieder zurück, vom Tisch in den Saal, von der Bühne auf den Laufsteg, führen durch eine Art Show-Tür, eine Schleuse, die Kochende dann doch zu Performenden macht.
Überdies liegt, kaum aufdringlicher als die Gaze-Membran, eine sphärische Soundscape über allem, die nicht selbst das Wort ergreift und Bedeutungen schafft, eher alles ein wenig entrückt. Die Performance ist als Theaterabend fast durchweg entspannt. Nichts daran verlangt, dass man aufrecht sitzt. Man sitzt dabei, nicht davor und auch nicht darin. Minutenlang passiert auch mal wenig bis nichts. Zwischendurch geht kurz ganz das Licht aus, dann wieder an: freeze frame, Gruppenbild, Licht aus, Licht an und alles geht einfach weiter. Die ästhetischen Strategien, mit denen Gob Squad arbeitet, sind unaufdringlich, aber sie produzieren eine schöne freischwebende Halb-Aufmerksamkeit. Ein Offen-Sein, wenn man so will. Und das ist wohl der Grund dafür, dass einen das Finale mitnimmt, bewegt, noch einmal ganz anders einstimmen lässt. Hier tritt nun der Chor auf, ein Mann am Keyboard, einer an der Gitarre dazu. Singen, Erzählen, Stehen und Sitzen, nun vorn an der Rampe. Öffnung in den Raum, zum Publikum, das jetzt aufsteht. Es wird Suppe gereicht. Es wird gemeinsam gesungen, getanzt. Was der reine Gemeinschaftskitsch sein könnte, ist es nicht. Auf seine eigene Art hat der Abend keines der Probleme, die die Welt hat, geleugnet, urbi et orbi. vom Mehringplatz bis nach Gaza. Er hat nur einen Bezirk der Sorge, eine Schonung, geschaffen. Erst jetzt und hier, im Hebbel am Ufer, im Januar dann in anderer Nachbarschaft, nämlich in Leipzig.