21. August 2009
Kopflose Männer Über Shahrnush Parsipurs Roman Women Without Men, demnächst als Film von Shirin Neshat in Venedig.
Frauen ohne Männer ist eine Geschichte in 13 Kapiteln. Eine Geschichte von fünf Frauen. Sie kommen zusammen in einem Garten bei Karadsch in der Provinz Teheran. Die fünf Frauen sind: Mahdokht (1) in ihrem Garten. Sie beobachtet eine junge Frau beim Sex mit dem Gärtner und wird zum Baum. Faizeh (2), die Amir begehrt, den Bruder von Munis (3), mit der sie befreundet ist, wenngleich sie sie ihres runden Gesichts wegen für dumm hält. Munis, die erfahren muss, dass die Jungfräulichkeit nicht in einem Vorhang besteht, sondern in einem Löchlein. Darauf geht sie einen Monat davon, liest ein Buch über die sexuellen Verhältnisse zwischen Männern und Frauen, kehrt zurück, wird von Amir getötet und begraben und ersteht wieder auf. Außerdem Frau Farrokhlaqa Sadraldivan Golchehreh (4), deren Mann sie nur dann nicht verachtet, wenn er ihr nicht direkt ins Gesicht sieht. Zuletzt die Prostituierte Zarrinkolah (5), die mit zwanzig und dreißig Männern Geschlechtsverkehr hat, jeden Tag.
Dies sind die Frauen ohne Männer. Man sieht an der Zusammenfassung: Es geschehen merkwürdige Dinge. Parsipur erzählt das Seltsamste poetisch, in Seelenruhe. Mahdokht wird also zum Baum. Später gebiert Zarrinkolah eine Lilie, die wird in den Garten gepflanzt. Einerseits genaue Verortung, Faizehs Geschichte beginnt: «Um vier Uhr am Nachmittag des 25. August im Jahr 1953 fasste Faizeh nach Tagen des Zögerns einen Entschluss.» Auf den Straßen ist Aufruhr, es sind die Tage nach dem vom Westem gestützten Putsch gegen Mohammad Mossadeq. Andererseits die Allegorie: Der Garten, mit einem Teich und den Mauern und dem Haus und dem schnellen Fluss als Begrenzung auf der anderen Seite ist kein realer Ort.
Mancherlei Dinge geschehen, die sind nicht von dieser Welt. Dabei wird keine Brutalität wegpoetisiert. Die Mischung der Sphären ist kühl und brutal. Blutig und heftig das Messer in Munis' Brust. Gnadenlos die Komplizität von Faizeh, die Amirs Verbrechen auch aus Eigennutz deckt. Mit leichter Hand tötet Farrokhlaqa ihren Mann: ein Treppensturz und er macht nie mehr einen Mucks. «Frauen ohne Männer» erzählt nicht nur von Frauen ohne Männer, sondern auch von Frauen, die Männer loswerden. Deswegen ist der Garten bei Karadsch noch lang keine Utopie. So eindeutig die Entwürdigung der Frauen durch Männer in den oft ganz explizit geschilderten Realitäten (Vergewaltigung, Unterdrückung, Prostitution) ist, so ambivalent sind die Zeichen.
Mahdokhts Baumwerdung ist Befreiung durch Fesselung. Ist auch die Folge des Jungfräulichkeitswahns, den sie internalisiert hat. Am Ende gelingt ihr oder erleidet sie asexuelle Verbreitung als Samen in alle Winde. Farrokhlaqa strebt nach Erfolg und Ruhm in der Welt. Zur Dichterin wird sie nicht. Von Männerhand wird sie gemalt. Sie heiratet wieder. So lautet der letzte Satz, der ihr gilt: «Ihre Beziehung war zufriedenstellend, weder warm noch kalt.» Auch die anderen Geschichten gehen aus. Faizeh wird Amirs Zweitfrau: «Ihr gemeinsames Leben ist weder gut noch schlecht. Es geht einfach weiter.» Lakonisch zergeht das Große ins Kleine. Oder in Rauch. Man findet zusammen. Es bleibt so wenig.
Zwanzig Jahre hat Sharhnush Parsipur an diesem 1989 dann veröffentlichten Buch geschrieben. Erst im Lauf der Zeit hat sie den Garten gefunden als Ort, an dem sie ihre Frauen im Allegorischen erden kann, ohne sie in eine gemeinsame Geschichte zu zwingen. Das Buch wurde veröffentlicht, machte Sensation, wurde verboten. Die Deutlichkeit, mit der sie über Sexualität schrieb und das iranische Patriarchat, war unerhört. Schon unter dem Schah musste Parsipur für Jahre ins Gefängnis. Auch im postrevolutionären islamischen Iran erlebte sie Repressalien, wurde für kurze Zeit erneut eingesperrt. 1994 kehrte sie von einer Reise in die USA nicht mehr zurück. Ihre Werke existieren im Iran heute sämtlich offiziell nicht, sind in Schwarzmarkt-Ausgaben aber weit verbreitet. Die Mehrzahl ihrer Bücher ist nicht übersetzt.
Aus den Geschichten der fünf Frauen macht Shirin Neshat fünf Installationen, die bereits im März 2008 uraufgeführt wurden, und für Venedig einen Film. Ich habe die ersten beiden Teile - Mahdokht, Zarin – im Hamburger Bahnhof gesehen. Parsipurs magischer Realismus ist eines vor allem: trocken. Neshat aber transformiert, was in der Vorlage ein wie nebenbei gesprochener Absatz ist, in Pathos und Schauwert. Wenn Zarin sich im Film minutenlang blutig wäscht, so war das in der Vorlage nur eine halbe Seite. Neshat morpht den Männern/Freiern die Gesichte zur amorphen Masse. Bei Parsipur sind sie etwas anderes: kopflos. Mit großer Selbstverständlichkeit ist im Buch das Reale ins Fantastische geweitet. Ohne dämpfenden Übergang. Das Magische wird real. Ein simpler Schnitt: kopflose Männer. Neshat macht daraus Horrorgesichter. Sie übertreibt und verwandelt kurze Gedanken bildfindungsversessen in Obsessionen. Mahdokht bettet sie pittoresk in ein stilisiertes, leinwandfüllendes gelbes Strickwollemeer.
Wie schneidend und simpel entlässt Parsipur dagegen Munis: «Nach sieben Jahren erreichte sie die Stadt. Sie wusch sich, zog sich ein frisches Kleid an und wurde eine einfache Lehrerin.»