literatur

11. Oktober 2013

Isserley Lektüre: Under the Skin, ein Roman von Michel Faber

Von Bert Rebhandl

© BFI / Film4

 

Jonathan Glazers Under the Skin, den ich in Toronto gesehen habe, ist einer jener Filme, auf die man besser unvorbereitet trifft. Ich war jedenfalls ein bisschen durch den Wind nach diesem wilden Trip durch ein finsteres Schottland, mit Scarlett Johannson in der Hauptrolle eines männerversenkenden Aliens mit stark ausgeprägten sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmalen. Dass im Abspann ein Buch als Vorlage genannt wurde, fand ich fast ein wenig enttäuschend – als Adaption ist Under the Skin gleich ein bisschen mehr von dieser Welt, ein bisschen weniger «spaced out», und das war doch eine vorherrschende Empfindung während des Sehens: irgendwo weit draußen zu sein.

Nun habe ich den Roman von Michel Faber gelesen und festgestellt, dass Glazer sich darum inhaltlich nur am Rande gekümmert hat. Ein entscheidender Unterschied betrifft die Protagonistin selbst (was nun folgt, verrät viel vom Inhalt des Buches, also nur weiterlesen, wenn keine eigene Lektüre beabsichtigt ist): Scarlett Johannson spielt im Film ein außerirdisches Wesen, bei dem Glazer vieles von dem unterschlägt (oder ich habe es übersehen), worauf es Faber ankommt.

Bei ihm heißt das Mädchen Isserley, das Buch beginnt mit diesem fremdartigen Namen. Isserley stammt von einem unbekannt bleibenden Planeten und ist im Grunde ein operativ notdürftig anthropomorph gemachtes Tier, Vertreterin einer Spezies, die am ehesten als hundeartig zu vermuten ist – ihr Schwanz wurde operativ entfernt, die Hinterbeine für schmerzhaften aufrechten Gang zurechtgemacht, üppige falsche Brüste sind der Blickfang, der von ihrer Fremdartigkeit ablenken soll. Isserley ist von ihrem Planeten, auf dem Sauerstoff in einer grauslichen Kompostierungsprozedur hergestellt werden muss und insgesamt keine besonders lebenswerten Umstände herrschen, entsandt worden, damit sie hier Menschen fängt.

Allerdings sind die Menschen in diesem stark auf dem Prinzip der verkehrten Welt basierenden Roman keine Menschen, sondern «vodsels», während Isserleys Artgenossen als «humans» bezeichnet werden, die sich wiederum aufgrund der Vierbeinigkeit spontan den Schafen näher fühlen als den «vodsels». Auf einer abgelegenen Farm in Schottland haben die Aliens eine unterirdische Fabrik eingerichtet, in der die entführten Autostopper für den Fleischkonsum in der anderen Welt vorbereitet werden – sie werden kastriert, gemästet und als kommen als «monthlings» auf das Schiff, das sie in die andere Welt bringt.

Unschwer ist das alles auch als Kritik an der industrialisierten Fleischerzeugung zu lesen, oder grundsätzlicher gedacht: für eine heutige Tierethik könnte Under the Skin ein Buch von ähnlicher Bedeutung sein wie seinerzeit Animal Farm für die Totalitarismuskritik. Weitere populärhistorische Assoziationen drängen sich auf: Ich musste an Cordwainer Smith denken, wegen der Art und Weise, wie Faber die Gattungen durcheinanderbringt (Herren im All ist eines meiner SF-Lieblingsbücher); der SF-Klassiker Soylent Green aus dem Bereich des Kinos spielt auch hinein.

Faber war mir als Autor davor unbekannt, nun habe ich sogar Lust, seinen großen Roman The Crimson Petal and the White zu lesen, von dem es auch eine Fernsehminiserie gibt. Er lebt in Schottland und schreibt zwischendurch auch immer wieder Rezensionen für den Guardian, zum Beispiel zu Marlen Haushofer, was mir sehr passend erschien.