17. Januar 2022
Frauen und Film Gründung einer Zeitschrift
Ich soll darüber reden, wie es zur Gründung von Frauen und Film kam. Damals kam bei mir einiges zusammen. Ich hatte eine Krise. Ich wurde bei den Fernsehanstalten mit meinen Themen abgelehnt und konnte auch nicht bei den ersten Filmförderungen landen. Mich hat das damals vollkommen überrascht, denn persönlich war ich Ablehnungen nicht gewohnt. Ich hatte schon einige Jahre erfolgreich zuerst im finnischen Studententheater, dann beim dortigen Fernsehen und als reisende Regisseurin der finnischen Arbeitertheater gearbeitet, an allerlei Happenings teilgenommen und nie das Gefühl gehabt, dass mir das nicht zustand.
Zurück in Deutschland wurde ich mit seltsamen Dingen konfrontiert. Ich musste mich fast täglich mit der Frage befassen, dass ich eine Frau bin. Das war für mich neu, brachte mich aber zum Nachdenken. Wie Hildegard Knef sang: Von da an ging’s bergab. Das hatte mit den Themen zu tun, die mich zu beschäftigen begannen.
Ich hatte also eine Krise und saß 14 Tage in der fränkischen Dorf-Wohnung einer Freundin, um mir darüber klar zu werden, wie und wodurch ich Geld verdienen könnte, ohne mir das Filmen zu verbauen. Um mir Klarheit zu verschaffen, schrieb ich alles auf, was mich in Wut versetzte, mich irritierte und was die Gründe dafür sein könnten.
Daraus entstand der Text: Nimmt man dir das Schwert, dann greife zum Knüppel. Das war 1974. Der martialische Titel dieses ersten Textes kam vielleicht auch noch aus der Erinnerung an meine Jugend, in der ich regelmäßig italienisch Florett gefochten hatte, was ein eleganter Sport war, der bei den geschilderten Problemen aber keine Hilfe war. Es mussten härtere Bandagen her. Eben der Knüppel.
Als der Text fertig war, merkte ich, dass ich noch endlos hätte weitermachen können und es geradezu danach schrie, all die angeschnittenen Fragen zu vertiefen.
So fasste ich den Plan, eine Zeitschrift zu gründen. Ich fragte Gesine Strempel, ob sie mitmachen wolle, sie stimmte zu. Wir hektografierten den ersten Text auf blauem Papier, weil es gerade kein anderes gab, und machten im Sommer während der Berlinale 1974 eine Pressekonferenz, in der wir das Vorhaben vorstellten. Es kamen etwa zehn Journalistinnen, die uns z.T. mit Leserbriefen in ihren Zeitungen unterstützten und meiner Erinnerung nach zwei Männer, die sich in ihren Zeitungen über das Vorhaben lustig machten; besonders über den damals ziemlich neuen Begriff Sexismus.
Eine Rolle spielte bei der optimistischen Gründung sicherlich, dass viele junge Frauen damals in einer Aufbruch- und Hochstimmung waren. Wir waren gewillt, unseren Ton auch zu singen und uns überall einzumischen. Es gab seit 1968 eine wachsende Frauenbewegung. Wir hatten bis dahin schon gelernt, dass Frauen in allen maßgebenden Gesellschaften seit mindestens 3000 Jahren von der Bildung ausgeschlossen waren. Und wir hatten ein ungefähres Bewusstsein davon, dass sich in den letzten ca. 150 Jahren daran etwas geändert hatte. Aber die sich aus den vergangenen Jahrtausenden daraus ergebenden Konsequenzen konnten nicht einfach in ein paar Jahren ungeschehen gemacht werden.
Wir gehörten außerdem zur Generation, die im Krieg und Nachkrieg aufgewachsen war. Wir kannten noch traumatisierte Väter oder Onkel, die wieder zu Chefs wurden und die Mütter, die uns durch den Krieg gebracht hatten, hatten immer weniger zu sagen. Wir wollten alle nicht zurückfallen in diese alten Strukturen. Daraus kam vermutlich der Elan, mit dem wir ohne Vorkenntnisse, aber mit Enthusiasmus neue Projekte anpackten. Und wir hatten eine Menge Vergnügen daran. Es ging uns auf, dass wir auch alleine denken können, ohne uns vergewissern zu müssen, ohne das von einer männlichen Autorität absichern oder bestätigen zu lassen.
So lässt es sich auch erklären, dass ich es plötzlich nicht widersinnig fand, eine eigene Zeitschrift gründen zu wollen, die dann tatsächlich immer mehr Frauen anzog. Geld verdienten wir allerdings damit nie.
Bei der Nummer 2 waren wir zu dritt. Ich hoffte, dass diese Ausgabe anhand eines Films eine Diskussion auslösen würde, die überfällig war. Es ging um die Gemeinsamkeiten zwischen West und Ost. Im Umlauf waren nur die auf beiden Seiten wiederholten Unterschiede. Der DDR-Film Paul und Paula wurde von der Presse in Ost und auch West mit wenigen Ausnahmen hochgelobt. Über diese breite Einvernehmlichkeit wunderten wir uns. Und viele Frauen, die wir kannten, wunderten sich auch. Offenbar nahmen feministische Westfrauen ganz andere Dinge wahr als die Ostgesellschaft und die westdeutsche Presse. Im Osten spielten die hippie-artigen Elemente in diesem Film eine große Rolle, die Liebesszenen, die Blumen, die Musik. Es gab Fantasie und keine politische Belehrung.
Auf diesen Film stürzten sich Renée Schlesier und ich.
Irgendwie schien der Film etwas zu berühren, worüber wir in der neuen Frauenbewegung begonnen hatten, neu nachzudenken, nämlich über patriarchale Strukturen im Alltag, denen wir zu gehorchen gelernt hatten und die wir vielfach gar nicht mehr wahrnahmen.
Wo die einen im Film Leidenschaft sahen, sahen wir Gewalt. Da schlägt z.B. der Mann aus Leidenschaft mit der Axt die Tür zu seiner Geliebten ein, um sie endlich rumzukriegen und wird dafür von den Hausgenossen bewundert. Die Protagonistin Paula weiß, dass sie an einer dritten Schwangerschaft sterben wird, was ihr schon nach der zweiten Geburt von einem Arzt gesagt wird. Allerdings nennt der Arzt keine Gründe und Paula fragt auch nicht danach. Trotz dieser Todesdrohung will Paula unbedingt ein Kind von Paul und reiht sich so in die Opfergalerie ein, die die Kunst für die Frauen bereithielt. «Die Nacht hat ihre Lust, aber die Hure wird doch verbrannt», wie Adorno schrieb. Und tatsächlich stirbt Paula an der dritten Schwangerschaft.
Was an diesem Film einen Nerv der Sehnsucht in der DDR getroffen hat, hat uns nicht so sehr beschäftigt. Wir waren neugierig auf die Reaktion der Westpresse nach schon sechs Jahren neuer Frauenbewegung. Wir hatten auf 40 Seiten einen Film analysiert und auf Entgegnungen gehofft.
Die Reaktion auf diese Nummer war gleich null, im Osten sowieso, aber eben auch von der westdeutschen Presse. Dabei gab diese Idee viel her.
Für filminteressierte Frauen war die Zeitschrift auch praktisch sehr nützlich. Dadurch konnte man erfahren, dass es international Frauen gab, die Filme machten, wir versuchten, deren Adressen herauszufinden und veröffentlichten sie. Das wurde begierig aufgegriffen von einzelnen Frauen oder Gruppen in der alten BRD und im Ausland. Diese Leute fanden Gelegenheiten in Klein- und Großstätten die Filme zu zeigen.
In der normalen Presse wurden wir so gut wie nicht beachtet. Da machten auch die damals existierenden Filmzeitschriften keine Ausnahme. Wenn wir mal wahrgenommen wurden, dann als Wilderer in uns nicht zustehenden Gebieten. Nur jump cut, eine amerikanische Filmzeitschrift nahm uns positiv wahr.
Es gab auch Widerstand aus Teilen der neuen Frauenbewegung. Viele, aber nicht alle der neu entstandenen Frauenbuchläden in der BRD verkauften uns nicht mehr, als wir ab Heft Nr. 6 bei Rotbuch, einem sogenannten Männerverlag erschienen. (So ging es auch Hannelore Mabry mit ihrer Zeitschrift Der Feminist. Sie ging davon aus, dass die Frauenbewegung eine politische Bewegung sei, deren Zielen sich auch Männer anschließen können.)
Damals hatten zwar alle davon gehört, dass z.B. die Arbeiterbewegung sehr heterogen war und sich mit den Jahren in viele sich bekämpfende Richtungen aufspaltete, wie das bei allen Bewegungen passierte. Nur bei der Frauenbewegung galt das in der öffentlichen Wahrnehmung nicht. Sie wurde mehr und mehr gleichgesetzt mit Alice Schwarzer; und was davon abwich, gab es praktisch in den normalen Medien nicht.
Unsere Auflage betrug in den Anfangsjahren ca. 3000 Stück, die Zeitschrift erschien vier mal jährlich. Schon 1975 forderten wir «Geschlechterparität in allen Gremien», was heute Quote heißt und damals auf geteilte Zustimmung auch bei Frauen stieß. Das Oberhausener Festival und das Berliner Forum des internationalen jungen Films waren die ersten, die das tatsächlich umsetzten.
Die uns vielfach zugeschriebene Unprofessionalität hatte auch ihre komischen Seiten. In personalisierter Form begleiteten sie über Jahrzehnte mein Leben und das von Helma Sanders bis über den Tod von Helma hinaus. Wir wurden nicht nur verwechselt, sondern manchmal auch als eine Person ausgegeben.
Der Clou war eine Studentin, die interessant fand, dass eine Frau so verschiedene Filme machen kann. Sie schrieb darüber eine Diplomarbeit, wobei sie die zwei Namen zu einem falschen verwob. Auch das von Helma später zur Unterscheidung angehängte Brahms hat diese Serie nicht unterbrochen, nur ausgedünnt.
Wenn schon Frauen Filme machen, wieso heißen sie dann auch noch ähnlich! Die vielen Schulzens und Müllers konnte man auseinanderhalten. Wir dagegen bekamen häufig die Rechnungen der anderen, und zwar vom Kopierwerk, die es dort eigentlich hätten wissen müssen. Wir bekamen Leserbriefe, Blumen für die jeweils andere, und zwar über fast fünf Jahrzehnte hinweg. Einmal schickte Helma mir einen bei ihr für mich gelandeten Brief mit dem Foto eines nackten Mannes. Sie schrieb dazu, der ist hübscher, als was ich in der letzten Zeit bekommen habe.
Wie gesagt, irgendwann konnten wir auch darüber lachen, auch über die Zuschreibungen als «die Hübsche und die Komplizierte». Aber festzuhalten bleibt, dass diese Verwechslungen immer wieder vorkamen, obwohl Helma in zwei Filmen von mir zu sehen ist und in einem gemeinsamen Omnibusfilm Felix mit zwei weiteren Regisseurinnen. Obwohl wir also lernten, darüber zu lachen, zeigte sich darin aber eine andere Kontinuität, nämlich eine Spaltung in wichtig und unwichtig. Kategorien und Namen von Frauen gehörten in die zweite Kategorie. Dass sich das im Lauf der letzten Jahre zwar nicht 100-prozentig, aber doch durch viel Druck immer neuer Generationen ins Bessere gewendet hat, wird Bettina Schöller berichten.
Buchpräsentation von Helke Sander. I like chaos, but I don’t know whether chaos likes me, Hg. Achim Lengerer, Janine Sack, Akademie der Künste, 14. Januar 2022. Die Publikation ist als E-Book bei Scriptings/EECLECTIC und als Buch bei Scriptings/Archive Books erschienen