filmkritik

30. November 2019

Im Inneren des Kinos Die Zeitschrift FILMKRITIK vor 50 Jahren (14): Heft 11 1969

Von Bert Rebhandl

 

Zwei  Autoren bestreiten diese Ausgabe nahezu im Alleingang. Siegfried Schober und Wim Wenders.

Schober ist der Mann, dem bei Rossellini die Tränen kamen, der Text erschien im ersten Heft des Jahres 1969 und kann als eine unprogrammatische Programmschrift für die Ästheten in der Filmkritik gelesen werden. Im November beschäftigt sich Schober eingehend mit Sam Fuller, ausgehend von Park Row. Davor steht aber noch sein Bericht aus Edinburgh - er trifft dort nicht nur Peter Fonda, was der Filmkritik ein rares Starinterview einbrachte, sonder er macht eine idealtypische Festivalerfahrung:

«Es ergab sich auch so, daß man nach Fullers Naked Kiss Godards Le Gai Savoir zu sehen bekam, im gleichen Kino, und gleich darauf Glauber Rochas Antonio das Mortes, an einem Tag, und dann rannte man schnell hinunter zur Cinematheque des Film House, hatte gerade noch Zeit, in der Kneipe gegenüber etwas zu essen, und sah dann den von Roger Corman produzierten American International Pictures-Film Fast and Furious. Ein wahnsinnig aufregender Film, in dem jener großartige heavy-Darsteller John Ireland, der ein paar Jahre zuvor in der Hauptrolle von Fullers I Shot Jesse James zu sehen war, nicht nur den villain spielte, sondern bei dem Ireland auch Regie führte. Ein anderer großer amerikanischer heavy, nämlich Arthur Kennedy, war mit einem Dokumentarfilm (Archivmaterial, traditionelle Lieder, dokumentarische Erzählung) über Pioniere und Eisenbahnarbeiter im historischen Westen vertreten, Movin‘ On. In den folgenden Nächten gab es noch weitere A.I.P.-Filme, darunter vier frühe und schöne Filme von Roger Corman, Machine Gun Kelly, Out of Darkness (I Was a Teenage Caveman), Little Shop of Horrors und The Pit and the Pendulum, ein Horrorfilm, in dem ein weiterer bekannter heavy die Hauptrolle spielte, und zwar Vincent Price, der ein paar Tage zuvor als The Baron of Arizona bei Fuller zu sehen war.»

Fuller ist also überall in diesen Tagen, auch Run of the Arrow taucht danach noch in einer Bemerkung auf. Schober «fühlte sich tief wie nur selten im Inneren der Welt des Kinos», und sein Text lässt mit jeder Zeile mehr staunen, was er damals alles zu sehen und mitbekam, Bruce Baillie, Godard (der eingeladen war, aber nicht nach Edinburgh kam), George Kuchar, R. D. Laings Politics of Experience als Schlüsseltext, und zweimal erwähnt Schober den italienischen Film Nostra Signora dei Turchi, bei dem die Kondition nicht mehr reicht, um ihn durch mehr als eine nur sehr beiläufige Charakterisierung (als bombastisch und düster) zu streifen. Diese vier Seiten sind jedenfalls ein Festivaltext par excellence.

Wim Wenders hält Easy Rider gegen Leones Spiel mir das Lied vom Tod, den er als «fürchterlichen Western» bezeichnet. «Der Film von Leone ist sich selbst völlig gleichgültig. Er führt dem unbeteiligten Zuschauer nur noch den Luxus vor, der ihn hat entstehen lassen: die kompliziertesten Kamerabewegungen, die raffiniertesten Kranfahrten und Schwenks, fantastische Dekorationen, unglaublich gute Schauspieler, eine riesige Eisenbahnbaustelle, die nur dafür errichtet wurde, daß einmal eine Kutsche hindurchfährt. Ja, und Monument Valley, TATSÄCHLICH MONUMENT VALLEY, nicht aus Pappe mit Stützen dahinter, nein, tatsächlich in AMERIKA, wo John Ford seine Western gedreht hat.» Wenders fühlt sich durch diesen Blick auf das Monument Vally zu einem Touristen gemacht. «Ich bin froh, daß ich Monument Valley in einem anderem Film wiedergesehen habe, wieder GESEHEN habe: in Easy Rider, mit Peter Fonda, mit einer ESSO-Tankstelle statt eines KARPATEN-Saloons.»

Einige Seiten später dann der lange Text Easy Rider. Ein Film wie sein Titel. «Easy Rider ist alleine schon deswegen ein politischer Film, weil er zeigt, wie Peter Fonda und Dennis Hopper am Anfang Cocain verdealen, wie sie wegen NICHTS ins Gefängnis kommen, wie sie EINFACH abgeknallt werden, wie Jack Nicholson von einer Bürgerwehr totgeschlagen wird, wie ein Sheriff sich benehmen darf. Er ist erst politisch, weil er schön ist: weil das Land, durch das man die beiden ungetümen Motorräder fahren sieht, schön ist; weil die Bilder, die der Film von diesem Land macht, schön und ruhig sind; weil die Musik, die man in dem Film hört, schön ist; weil die Bewegungen von Peter Fonda schön sind; weil man Dennis Hopper ansehen kann, daß er nicht nur schauspielt, sondern auch gerade dabei ist, einen Film zu machen: zwischen Los Angeles und New Orleans.»