arabisches filmfestival berlin 2018
17. April 2018
Der unbewegte Mann Zum 9. Arabischen Filmfestival Berlin
Dass der arabische Mann und seine Mannbarkeit zum Thema eines Festivals zeitgenössischer arabischer Filme gemacht wird, mutet zunächst seltsam an. Ist doch der männliche Protagonist in diesem Kino dominant und aus westlichen Augen eher überrepräsentiert. Sollte er nun aber gerade deswegen, ob des ihm auferlegten Machtgebarens und Rollenbilds, ja gar in seiner sexuellen Not vorgestellt werden, um unsere filmischen Lesarten und abschätzigen Wahrnehmungen zu relativieren? Auch in den arabischen Ländern, so das Programmheft, würde mittlerweile über Genderfragen debattiert, würde der Mann als „ambivalente Figur“ gesehen, obwohl Homo- und Transsexualitätsfragen nach wie vor Tabuthemen sind. War der arabische Mann also als Indikator der soziopolitischen Probleme der zeitgenössischen arabischen Welt zu verstehen? Würde über die Vielzahl der zusammengestellten Filme eine Diversifizierung des Männlichkeitsbilds erfolgen, würde dokumentiert werden, dass sich dieses seit den 1970er Jahren zwar erheblich verändert, möglicherweise aber nicht im Sinne konstruktiven gesellschaftlichen Beitrags verbessert hat?
Der restaurierte Erstlingsfilm von Merzal Allouache, des Doyens des algerischen Kinos, mit dem uneindeutigen Titel Omar Gatlato von 1976 kennt in der Tat keine weibliche Protagonistin. Frauen begegnen allenfalls als komische Hühnerschar auf den Straßen von Algiers, die, mit Spitzentüchlein über Nase und Mund, ob illegaler Juwelengeschäfte verhaftet werden. Die vaterlose Familie kennt nur sprechunfähige Mütter und Schwestern samt Kinderschar. Dafür darf sich ein junger Mann, der in Gewandung und Schlaksigkeit an den jungen Godard-Belmondo erinnert, in seiner sexuellen Desorientiertheit im männlichen Umfeld exponieren und vorführen, dass in den 70er Jahren kein Unabhängigkeitshochgefühl mehr über die neuen Identitätsprobleme hinweghelfen kann. Er sucht daher Zuflucht bei Bollywood-Ikonen und populärer „chaabi“-Musik. Dass der Film seine Nouvelle-Vague-Prägung nicht verbergen und doch damit auch einen Bogen zu Jean Rouchs Moi, un noir (1958) schlagen kann, verdeutlicht die charakteristische Zwischenstellung des algerischen Films der Zeit zwischen französischer und afrikanischer Kinokunst.
In seinem jüngsten Spielfilm Madame Courage (2015) lässt Allouache noch einmal einen vaterlosen lonesome Rider aus einfachstem Milieu auftreten, der mit Diebstählen seine Mutter-Schwester-Familie erhält und mit einer Machete die Ehre seiner prostituierten Schwester rächt. Er ähnelt nun nicht mehr den zartbesaiteten Machos des französischen Kinos, eher den dividuellen Outlaws des Holly-Kolly-Nollywood-Mix‘. Allouache versteht ihn als Symptom der „schwarzen Jahre des politischen Islamismus“, welcher eine ganze Generation zugrunde gerichtet und nicht wenige Frauen umgebracht habe. Ob des „kulturellen Niedergangs“ der arabischen Länder, deren filmische Narrative heute von diesen „Armen und Toten“ profitierten, aber auch aufgrund der nicht mehr gewährten französischen Filmförderungen und des fehlenden Kinopublikums bekundet er sich äußerst frustriert.
In dem tunesischen Spielfilm Aala Kaf Ifrit / Beauty and the Dogs von Kaouther Ben Hania (2017), der die 9. Ausgabe des ALFILM-Festivals (11.4.-17.4.18 im Berliner arsenal, fsk, City und Wolf Kino) eröffnet, wird eine weibliche Vergewaltigung durch Polizisten, wie sie sich um 2010 in der Nähe von Tunis ereignet haben soll, nachinszeniert. Der entscheidende Unterschied zu den tatsächlichen Vorgängen besteht darin, dass die junge Frau namens Mariam, Opfer der polizeilichen Willkür, nicht mit ihrem Verlobten in einem Auto sitzend gezeigt wird – was die polizeilichen Übergriffe umso unangebrachter hätte erscheinen lassen. Stattdessen wird sie von Anfang an als ein zwar hübsches, aber naives Geschöpf porträtiert, das sich von einer Freundin ein laszives Partykleid leiht und sich mit dem erstbesten Bekannten von der Party in Richtung Strand entfernt. In der zweiten Sequenz wird sie bereits verheult, mit verrutschtem Kleid und geschunden vorgeführt und bleibt ein solcher gefallener Engel bis zum Schluss. In Begleitung des jungen Mannes irrt sie vergeblich durch Krankenhausflure, um eine medizinische Bestätigung ihrer Vergewaltigung zu erhalten, gegen welche der junge Mann, Youssef, in Handschellen abgeführt, nicht habe einschreiten können. In den folgenden Sequenzen suchen beide eine Klage gegen die Polizei anzustrengen, wobei Youssef aufgrund seines Protests verhaftet wird. Wie zu erwarten gerät Mariam just in die Hände jener Polizisten, die sie vergewaltigt haben; sie findet ihre Handtasche wieder – das darauf folgende Katz-und-Maus-Spiel zwischen Tätern und Opfer hält die filmische Narration lange in Gang. Immer wieder gelingt es Mariam, ihnen zu entwischen; immer wieder setzen ihr andere nach, wollen sie zu einem Schuldeingeständnis im Sinne der tunesischen Moral zwingen, sie ihrerseits verhaften, bis sie zuletzt ihren Vater anruft und um Hilfe bittet bzw. ihr einer der Polizisten zur Seite springt, sie über ihre Rechte aufklärt und dafür sorgt, dass sie sich entfernen kann.
Der Fall scheint in Tunesien, vor etwa 6 Jahren, großes Aufsehen erregt zu haben; der Film will ein Porträt des Landes und des notwendigen Kampfes um Recht und Gerechtigkeit auch nach dem Arabischen Frühling sein. Im Verhältnis zur Bedeutung des Themas setzt er auf zu melodramatische Töne; das Püppchen mausert sich allerdings nach und nach zu einer ihre Rechte einfordernden Frau und durchläuft einen Emanzipationsprozess. Der Film tourt gegenwärtig durch zahlreiche arabische Länder; die beiden Polizisten wurden zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, die vergewaltigte Frau lebt heute im französischen Exil.
Während dieser Film eine heftige Klage gegen gewisse männliche Selbstverständnisse anstrengt, zeigt sich Eliane Raheb, libanesische Dokumentarfilmerin, von anderen männlichen Haltungen tief beeindruckt. Sie liebe Männer, bekundet sie unumwunden beim Publikumsgespräch. Ihr gehe es eher um die Frage, wer gesellschaftlich dazugehört und wer nicht, jenseits von Geschlechter- und Religionsfragen, und um Machtgefälle, bedingt auch durch die Intervention der Filmkamera. Ihr Dokumentarfilm Mayyel Ya Ghayyel / Those who remain (2016) beleuchtet die Situation im medial unterrepräsentierten ländlichen Norden des Libanon während des syrischen Bürgerkrieges im Jahr 2016. Die dortigen Konflikte schwappen selbstverständlich in den Libanon herüber, lähmen dessen wirtschaftliche Situation und setzen sich als Auseinandersetzungen um Land, Eigentum und religiöse Haltungen zwischen christlichen, sunnitischen, schiitischen und „säkularen“ Bewohnern fort. Dass die Christen angesichts ihrer Kultur- und Bildungsansprüche das Land nur verlassen können, gilt als ausgemacht. Der maronitische Bauer Haykal setzt gleichwohl auf seine nordlibanesische Heimat, baut ein Steinhaus samt Restaurant, in dem er seine Familie, seine Frau und Kinder, die in anderen Landesteilen und im Ausland leben, erneut zusammenzuführen hofft. Er kämpft trotz des fallenden Schafspreises und der Lastwagenkarawanen, die seine Apfelernte zerstören, weiter ums Überleben. Die Kamera baut allerdings keine Situationen und Stimmungen auf, bekundet kein visuell-affektives Verhältnis zu den Obstbäumen, die der Bauer sorgsam beschneidet; der Schnitt wirkt beliebig, die Interviewsituation sprunghaft und unkonzentriert. Raheb betont, dass sie die unterdrückten Konflikte des Landes und die Fortdauer des Krieges, aber auch ihre Machtposition als Regisseurin reflektieren will; jenseits der gutgemeinten Anstrengung, eine Liebe zur Heimat zu veranschaulichen, wird allerdings wenig über die spezifische Situation dieser geplagten Region klar.
Der 1990er-Jahre-Spielfilm The Closed Doors des ägyptischen Regisseurs Atef Hetata schildert dagegen ein vaterloses Kleinfamiliengespann. Da der ältere Bruder aus dem Krieg gegen den Iran nicht zurückgekehrt ist, gestaltet sich das Coming-of-age des verbliebenen Sohnes äußerst schwierig. Um der Überfürsorge der Mutter zu entgehen, die in besser gestellten Milieus als Dienstmädchen schuftet und den jeweiligen Hausherrn gefällig sein muss, dabei aber nur die Karriere ihres Sohnes im Auge hat, wendet er sich zunehmend islamistischen Kreisen zu. Die eindringliche Milieuschilderung plausibilisiert die Zuflucht zur Moschee aus gesellschaftlicher Einsamkeit.
Eine weibliche Perspektive auf eine männerdominierte Gesellschaft nimmt auch der Spielfilm Withered Green (2016) des ägyptischen Filmemachers Mohamed Hammad ein, der nun ein elternloses Schwesternpaar in ruhigen, atmosphärischen Einstellungen porträtiert. Als die ältere Schwester wegen einer bevorstehenden Verlobung sich auf die Suche nach einem männlichen Trauzeugen macht, muss sie, auch wegen befremdlicher Testresultate des Gynäkologen, stoische Langmut entfalten und gegen althergebrachte Entschlusslosigkeit aufbegehren. Denn trotz der auch hier auffälligen Abwesenheit von Männern erfährt sie ihre Welt von deren Regeln bestimmt. Ihm gehe es ihm gleichwohl nicht um feministische, sondern um humane Belange, so der Regisseur, um Fragen von Schwäche, Religion, Zeitlichkeit. In jedem Fall sei die ägyptische Lage zu spezifisch, um auf Situationen in anderen arabischen Ländern übertragbar zu sein.
Vent du Nord / Northern Wind (2017) von Walid Mattar wiederum beleuchtet in straffer Dramaturgie kulturübergreifende Wertschöpfungsprozesse, im hiesigen Fall die Schließung einer nordfranzösischen Schuhfabrik und ihre Verlagerung nach Tunesien. Am Beispiel zweier Männer, kulturell und altersmäßig verschieden, zeigt er parallele Herausforderungen und zeitgenössische Verwiesenheiten aufeinander auf. Der ältere Hervé, entlassen aus seinem französischen Betrieb, erwirbt für die Abfindungssumme ein Fischerboot, auf welchem er zusammen mit seinem Sohn auf Fischfang geht und sich ein kleines Nebenverdienst erwirbt, was von der französischen Polizei später geahndet und unterbunden wird. Der jüngere Tunesier Fouad dagegen steht nun an einer Lederstanzmaschine im Industriegebiet von Tunis und geht widerwillig dieser stupiden Arbeit nach, schon um Geld für die Medikamente seiner Mutter zu erwirtschaften. Sein Job gewinnt durch die amouröse Begegnung mit einer tunesischen Kollegin vorübergehend an Reiz; als er diese dabei erwischt, wie sie sich angelegentlich mit einem anderen Mann unterhält, wirft er indes den Job hin und flieht – nicht zuletzt mit ihrer Hilfe – nach Frankreich, wo, wie zu Beginn des Films, gerade der 14. Juli gefeiert wird. Der Film überzeugt durch seine aussagekräftigen Pars-pro-Toto-Szenen und die kontrastive Erzählung, die einen zeittypischen Transfer von Arbeit, Kapital und menschlichen Ressourcen entlang der Nord-Süd-Achse erhellt und doch aus dieser Situation geläuterte und handlungsbereite Männercharaktere hervorgehen lässt.
Männliche Vorstellungen von Sexualität, Begehren und Geschlechternormen im Libanon hinterfragen die Dokumentarfilme Majnounak: On Men, Sex and the City (1999/2016) von Akram Zaatari und Cinema Fouad (1994) von Mohamed Soueid, der den Prozess einer Geschlechtsumwandlung mitverfolgt und dafür wegen Beförderung von Homosexualität zensiert, im libanesischen Fernsehen nicht gezeigt wird. Auch der libanesische Dokumentarfilm Room for am Man von Anthony Chidiac rekonstruiert eine queere Identität zwischen verschiedenen Welten.
Ob es überhaupt ein arabisches Kino gibt? Sicherlich nicht, betont Allouache, allenfalls arabische Filme, eine Vielfalt an Filmen, da jedes Land anders sei und zu einem je anderen Zeitpunkt sein Coming-of-age habe. Sowieso verstehe er sich eher als Afrikaner denn als Araber, da die Araber nicht zu verstehen seien, worin ihm Mohamed Hammad zustimmt. Nicht arabisch ist das Kino auch schon deswegen, weil die meisten Fördermittel nach wie vor aus europäischen Quellen kommen; allerdings spielt Dohar mittlerweile eine bedeutsame Rolle am Zustandekommen von audiovisuellem Material aus dem arabischen Raum.