17. Januar 2009
Berlinale Wettbewerb I Chen Kaiges Mei Lanfang
Der chinesische Artist ... verzichtet auf die restlose Verwandlung. Von vornherein beschränkt er sich darauf, die darzustellende Figur lediglich zu zitieren. Aber mit welcher Kunst tut er das! Er benötigt nur ein Minimum von Illusion. Was er zeigt, ist sehenswert auch für den, der nicht von Sinnen ist. Welcher westliche Schauspieler der alten Art (der eine oder andere Komiker ausgenommen) könnte wie der chinesische Schauspieler Mei Lan-fang, mit einem Smoking angetan, in einem Zimmer ohne besonderes Licht, umgeben von Sachverständigen, die Elemente seiner Schauspielkunst zeigen?
Bertolt Brecht, Verfremdungseffekte in der chinesischen Schauspielkunst
Die Szene ist datierbar. Das Zimmer ohne besonderes Licht muss in Moskau gewesen sein, der Zeitpunkt das Frühjahr 1935. Zu einem Theaterkongress in der Sowjethauptstadt war, was im Theater seiner Zeit Avantgarde war, zusammengekommen. Als Deutscher im Exil mit dabei war der in der Hauptstadt lebende Erwin Piscator, Brecht kam aus Kopenhagen angereist. Auch Sergei Eisenstein, der führende Filmregisseur der Sowjetunion und der Theatertheoretiker Edward Gordon Craig waren mit von der Partie.
In der Woche vom 23. bis 28. März des Jahres war auch Mei Lanfang (1894-1961) in Moskau, damals nicht nur der berühmteste Star der Peking-Oper, sondern auch ein großer Exportschlager Chinas im Westen, junge Frauen in Japan fielen bei seinen Auftritten in Ohnmacht, er war, das ist nicht übertrieben, tatsächlich weltberühmt. Mit Chaplin befreundet, und der Vermittler schlechthin der Kunst der chinesischen Oper, auf die sich Brecht, aber auch Eistenstein oder Piscator ihren anti-illusionistischen, anti-realistischen Reim machten. (Einen Aufsatz zu Brecht und dem chinesischen Theater gibt es als pdf hier. Interessanterweise waren zum selben Zeitpunkt auch Lee Strasberg und Konstantin Stanislawski vor Ort, die ganz andere oder auch gar keine Schlüsse aus Mei Lanfangs Auftritt zogen.)
So fanden in diesem Frühjahr des Jahres 1935 durchaus unterschiedliche, aber verwandte Vorstellungen zur Überwindung des herkömmlichen Schauspiels für einen Moment in dieser einen exemplarischen, zur Projektion wie geschaffenen Figur aus dem fremden, fernen Osten ihren Schnittpunkt. Positionen, muss man hinzufügen, weil es die Sache noch spannender macht, die durchweg die ästhetische und die politische Avantgarde zusammenzudenken versuchten – auch das eine Konjunktion, die wenig später in Moskau nicht mehr vorstellbar gewesen wäre.
Den Mann, der 1935 im Smoking so freundlich war, Proben seiner Kunst abseits der Bühne zu geben, wurde bereits 1924 von einem westlichen Reporter im Backstage-Bereich aufgesucht. Mei Lanfang war damals noch nicht in den Westen gereist, so dass dies sehr wohl der erste westliche Bericht über ihn sein könnte. Hier ein kurzer Auszug, der Text ist komplett im Netz nachzulesen, nämlich hier.
He appeared on that occasion in the greenroom a model of self-respecting humility far removed, of course, from emphatic self-depreciation, which would have been completely out of place. Characteristic of him was his action in personally dashing for a cigarette and lighting the match for his guest. None of the numerous attendants who were at beck and call was summoned to procure them. His manners, as has, been said, are without fault, hnd his natural shyness, even if it is not now very pronounced, is sufficiently apparent to increase one's interest in him.
Der Mann im Smoking, Mei Lanfang, hieß von Geburt Mei Lan. In der Endung fang, die er seinem Namen hinzufügte, kondensiert eine der entscheidenden Pointen der Nicht-Identität der zwei Körper des asiatischen Artisten – diese Endung nämlich feminisiert den Mann. Das ist kein Zufall, denn als Darsteller von Frauen wurde Mei Lan(fang) zum Star, als Darsteller, um mit Hilfe der Wikipedia noch genauer zu sein, jener eher reifen Frauen im Rollenfach der qingyi (oder guimen dan), deren hohen, durchdringenden Gesangsstil wir bis heute wohl am ehesten mit der Peking-Oper verbinden. Eine seiner berühmtesten Rollen spielte er in der – durch Chen Kaiges Film gleichen Titels berühmt gewordenen – Peking-Oper Lebewohl, meine Konkubine. Eine Aufführung der Oper, bei der Mei Lanfang bereits sechzig Jahre alt war, existiert als Film (hier können Sie einen Auszug aus einer Aufführung der Oper Peony Village sehen).
Zurück nach Moskau. Es gibt ein Bildzeugnis der Begegnung zwischen Sergei Eisenstein und Mei Lanfang, denn der Regisseur war so beeindruckt von dessen Auftritt, dass er eine fünfminütige Szene auf Film festhielt, freilich ohne Ton. Einen immerhin dreißigsekündigen Ausschnitt daraus gibt es bei Youtube. Der bedeutendste Ausflug des Opernstars ins Kino ist das freilich nicht. Im Jahr 1946 nämlich drehte der chinesische Regisseur Mu Fei - verantwortlich auch für einen der ganz großen Klassiker des chinesischen Kinos, Springtime in a Small Town von 1948 - den ersten chinesischen Farbfilm Sheng Si Hen (Regrets Eternal). Es ist eine Opernverfilmung und die Hauptrolle spielt, genau, kein anderer als Mei Lanfang.
***
Der Anlass zu diesen Notizen ist Chen Kaiges jüngster Film Mei Lanfang (in der englischen Übersetzung Forever Enthralled ins Kitschige verallgemeinert). Der in China sehr erfolgreich angelaufene Film geht zwar auf Mei Lanfangs erfolgreiche US-Tour ein, wohl kaum aber auf die hier vorgestellten Zusammenhänge. Ins Zentrum scheint er – wie dieser ersten, sehr lauen Kritik zu entnehmen ist – eine Liebesaffäre mit einer von Zhan Ziyi gespielten Schauspielerin zu stellen. Zu befürchten ist leider, dass er sich auch und gerade für die Schauspieltheorien, in deren Zentrum Mei Lanfang ohne Absicht geriet, nicht interessiert und ganz auf die tumben Identifikationsdarstellereien des konventionellen Biopic zurückfällt. Der Schluss lässt sich – inklusive Begründung – aus einem Interview Kaiges mit Newsweek ziehen:
I started 25 years ago, in a different time. We didn't have pressure from the audience. We just did what we wanted to do. We were crazy about creating a new cinema language. Now you have to negotiate with your investors about how much money you put into your production, and of course, you care about the box office. But this is just the situation; it's nothing to complain about.
Manchen Hinweis verdanke ich dem – dringend zur zusätzlichen Lektüre empfohlenen – Eintrag zu genau diesen Zusammenhängen im Blog Click Opera des sowieso grandiosen schottischen Musikers und Kritikers und Allround-Denkers Momus, dessen in jeder Hinsicht irren musikalischen Output ich allen aufgeschlossenen LeserInnen sehr gerne und dringend ans Herz lege.