24. April 2009
Meeting Lucki Stipetic Gesprächsnotizen
Nach den Dankesreden der drei Festivalchefs kommt ein schlanker Herr auf die Bühne, spricht frei ein paar Worte in ziemlich gutem Portugiesisch (sage ich mal) und liest dann einen Brief seines Bruders vor. Der Herr ist Lucki Stipetic und sein Bruder ist Werner Herzog (geb. Stipetic). Herzog hat soeben seinen jüngsten Film mit dem Titel My Son, My Son, What Have Ye Done abgedreht. Dafür war er zuletzt noch für einen einzigen Drehtag nach China geflogen und, schreibt er im Brief, den sein Bruder vorliest, dachte ernsthaft, als er erwachte, er sei in Lissabon.
Wo er nun nicht ist, obwohl er alles versucht hat, obwohl man ihm hier, wo alles so entspannt und großzügig und freundlich ist, ganz sicher einen großen Bahnhof bereitet hätte. Das Festival Indielisboa zeigt eine Herzog-Retrospektive, die sich nicht ausschließlich, aber doch stark auf die Dokumentarfilme bezieht. Zur Eröffnung lief der jüngste, das auf erhabene Weise komische Antarktik-Werk Encounters at the End of the World. Darin geht ein Pinguin aus eigenem unerforschlichen Ratschluss allein in die Eiswüste und damit in den sicheren Tod. «Warum?» fragt Werner Herzog im Voiceover-Kommentar. My Son, My Son, What Have Ye Done.
Vorhin traf ich Lucki Stipetic dann beim Espresso im Hotel zum Gespräch. Seit Jahrzehnten produziert er die Filme seines Bruders – erst neuerdings bei den Hollywood-Produktionen nicht mehr. Was produzieren so heißt in den freischwebenden Zusammenhängen, in denen Herzog sich mit seinen Filmen so bewegt. Er ist vor Ort meist dabei (nicht in McMurdo, was er schon sehr bedauert), er stellt Kontakte her mit Geldgebern und hält dem Bruder den Rücken frei. Sie haben ein harmonisches Verhältnis, meint er, und das seit Jahrzehnten, der eine vertraut dem anderen und genau so funktioniert es.
Mit einem Gerücht räumt er auch gleich auf: David Lynch hat mit der Produktion von My Son, My Son, What Have Ye Done persönlich gar nichts zu tun; seine Produktionsfirma ist an Stipetic/Herzog herangetreten und hat gefragt, ob es vielleicht ein Projekt gibt. Die Antwort versteht sich von selbst, meint Stipetic, bei Werner Herzog gibt es immer ein Projekt, und wenn es keins gibt, dann erfindet er eins aus dem Stand. Der Film ist ein Krimi, soviel ist zu erfahren, und am Ende tötet ein Sohn seine Mutter mit dem Schwert. Der Film ist jetzt abgedreht und Werner Herzog, der inzwischen fast ganz in Los Angeles lebt, braucht ein paar Tage Ruhe auf seinem Bauernhof in der Steiermark.
Ein überzeugter Amerikaner ist Herzog inzwischen, versichert sein Bruder, der dennoch durchblicken lässt, dass einem Europäer wie seinem Bruder da doch etwas fehlt. Wir sprechen darüber, wie es kam, dass Deutschlands aufregendster noch aktiver Regisseur (das sage jetzt ich) aus den großen Zeiten des Neuen Deutschen Films seiner Heimat so vollständig abhanden gekommen ist. Im Spielfilm Invincible steckt noch ein wenig nordrhein-westfälisches Fördergeld, sonst aber: Fehlanzeige in Deutschland. Bedenklich werden bei Verleihern Köpfe gewiegt, wenn der Name Herzog fällt, mit Finanzierungsanfragen versucht es Stipetic schon gar nicht mehr. In England, in Frankreich reißen sich die Leute darum, Herzogs Filme zu finanzieren, in Deutschland: nichts und wieder nichts.
Stipetic hat keine Erklärung, außer: Herzog schleimt nicht rum. Er ist nicht in Talkshows oder sonstwie in Deutschland präsent; er macht, ohne allzuviel Rücksicht zu nehmen, immer sein Ding und geht nicht mit den richtigen Leuten essen. Meinem Seufzer, dass die deutsche Filmproduktionslandschaft und alles, was hier so gern Industrie wäre, zum Verzweifeln provinziell ist, widerspricht Stipetic denn auch nicht. Filmpreis, Filmakademie, Kosslick-Berlinale: einvernehmlich schütteln wir schweigend die Köpfe.
Und sprechen über Hollywood: Jederzeit ist in Los Angeles, meint Stipetic, die Verehrung zu spüren, die Herzog dank seiner legendären Filme aus den siebziger Jahren genießt. Er freut sich, so eitel ist er schon, aber er geht auch, versichert Stipetic, ziemlich gelassen mit diesem Ruhm um. Und natürlich ist er auch nicht mehr als die «gun for hire» bei Produktionen wie Bad Lieutenant, er hat nicht das Recht auf den Final Cut, aber wirklichen Ärger gab es bisher nicht. Das Ende von Bad Lieutenant war den Produzenten allzu düster, jetzt gibt es, versichert Stipetic, einen Kompromiss. Einen US-Verleihtermin gibt es noch nicht.
Dann noch Spannendes zum nächsten Projekt, wieder ein Dokumentarfilm. Ausgangspunkt war ein Auftragsjob, wieder Oper (Stipetic, stellt sich heraus, ist ein Opernfan und war auch das Movens für die Operninszenierungen seines Bruders), ein dreiminütiger Film zu einer Arie aus La Boheme. Es ergab sich, zufällig, dass Herzog in diesem Kontext auf die Fotografien von Hans Silvester aufmerksam wurde. In den siebziger Jahren machte Silvester Aufnahmen von Mitgliedern eines von der Welt abgeschieden lebenden Stammes in Äthiopien. Den hat Herzog, fasziniert von den – übrigens völlig inszenierten – Bildern, aufgesucht, ein paar Bilder gemacht für den Dreiminutenfilm.
Es stellte sich heraus, dass darin ein Filmprojekt ganz nach seinem Herzen steckt. Der Stamm lebt bis heute in einer anderen, von der modernen ganz abgeschiedenen Welt. Zwar sichern die Männer mit Kalaschnikoffs das Revier (sie leben im Grenzgebiet zum Sudan), aber von der modernen Welt, in der sie leben und nicht leben, sind, erklärt Stipetic – der mit Herzog zu den Aufnahmen für den Kurzfilm dort war –, die Mitglieder des Stamms bis heute unberührt. Von ihnen wird Herzog dann erzählen, in diesem Jahr noch geht es nach Afrika. Stipetic, der ein ganz in sich ruhender Mensch ist, der auch glaubhaft versichert, dass ihn das Kino eigentlich weniger interessiert als Literatur oder Oper, der glücklich ist, mit dem was er tut, der gar nicht mehr sein will für die Welt als der Produzent (und der Bruder) seines Bruders, Stipetic klingt da jetzt doch ganz ausgesprochen vorfreudig.
P.S.: Stipetic erklärt ausdrücklich, dass die kürzlich auch hier verlinkten YouTube-Herzog-Filme, die Starzmedia ins Netz gestellt hat, völlig illegal dort stehen. Das Cease-and-Desist haben sie bereits im Briefkasten. (Dreist, sehr dreist findet Stipetic diese Aktion. Und recht hat er.)