kurzfilmtage oberhausen 2018

8. Mai 2018

Oberhausen 2018

Von Ekkehard Knörer

1. Josef Beuys schaut dich an. Lange, sehr lange, ikonischer Beuys mit Hut und Weste, sagt nichts, verzieht keine Miene und scheint doch bewegt. Womöglich den Tränen nahe. Oder lese ich das in diese Miene hinein, die ohne Scheu ist, aber verletzlich scheint. Es ist ein Screen Test und kein Screen Test. Es ist kein Porträt, sondern der Versuch einer Kontaktaufnahme. Josef Beuys schaut *dich* an, Josef Beuys schaut mich an. Die fünfzig Jahre, die zwischen uns liegen, vergehen vor diesem Blick. Man muss sie sich denken. (Lutz Mommartz, Soziale Plastik)

 

2. Christoph Schlingensief schaut mich an.

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3. Eine Frau blickt zurück. Auf dem Foto: ein Mann, stolz und selbstbewusst in afrikanischer Landschaft, ein Mann, dem man ansieht, dass er seinem eigenen Blicken vertraut, dass die Blicke anderer ihm nichts anhaben können. Er weiß, Missionar, der er ist, Ethnograf-Missionar, Gott auf seiner Seite. Das sieht man. Auch hier liegen sehr viele Jahre zwischen dem Mann in seinem ethnografischen Stolz, Paul Schebesta ist das, und der Frau, Belinda Kazeem-Kaminski, die die Fotos vor uns auf den Tisch legt. Fotos, die sie teilweise überklebt hat, in den Nationalfarben des Kongo, der Frau, die diese Fotos zeigt, dabei ein du adressiert (bin das ich?), die diesem du (bin das ich?) ins Gesicht blickt (dann wieder ist ihr fast kahl rasierter Kopf nur von hinten zu sehen, scharf in ein Gegenlicht gerückt), und die erklärt, dass ihr das Bearbeiten des Fotos nicht mehr genügt. So macht sie jetzt diesen Film, in dem sie spricht. Für sich spricht. (Belinda Kazeem-Kaminski, Unearthing. In conversation, sixpack film)

4. Ein Film, bei dem sich das Wegschauen empfiehlt. Peter Hoffmann, der die historische Reihe «Abschied vom Kino» kuratiert hat und über jeden einzelnen Film, der dann kommt, so ausführlich wie wenig pointiert was erzählt, warnt. Warum er das zeigt? Historisches Faktum. Es gab, es gibt diesen Film, von Rolf Thissen. Und auch, sagt er, weil das nicht die Sorte Gratisprovokation ist, die immer schon den anderen, den politischen Gegner provoziert. Das hier provoziert uns, dich, mich, den Cat-Content-Freund. Was da zu sehen ist, kann keiner sehen wollen. Eine kleine Katze – sie ist schon tot, wer weiß, wie sie starb – wird vor unseren Augen zerstückelt. Ausgiebig, mit Schwarzbild dazwischen, eine Sequenzfolge, die dennoch nichts auslässt, das Kätzchen wird zersägt, zerhackebeilt. Diese Provokation ist leer, sie ist, im Kontext des Films, der sich ein paar in ihrer Simplizität törichte Thesen von Arno Plack zurechtlegt, im besten Fall zu rekonstruieren als Frage danach, warum wir das Zerstückeln von Katzen beinahe nicht ertragen, während uns das Morden von Menschen ganz kalt lässt. Aber brauchen wir dafür einen Bildbeweis? Muss ich dafür sehen, wie der Katze das Auge aus der Augenhöhle gepult wird? Das verschafft nur dem Perversesten Lust. Warum bleibe ich überhaupt, warum bin ich nicht, wie die vielen andern, nach der Warnung gegangen? Ab und zu blicke ich bewusst weg von der Leinwand, dann blicke ich wieder hin. Dieser Film behält gegen niemanden Recht. Ich denke, es wäre besser, es gäbe ihn nicht. (Rolf Thissen, Warum Katzen?)

 

5. Die Ex-Konkurrenz schläft nicht

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6. Irm und Ed Sommer aus Schwäbisch Gmünd haben Freude an Geschlechtsteilen. In Artistothek werden Künstlerfreunde, nackt, kartografiert: Füße, Knie, Geschlecht, Geschlecht mit Händen, Brust, Gesicht, Kopf Profil, Kopf von hinten: dann unterschreibt eine jede, ein jeder auf einer Tafel. In Rhythmus 1 hat eine Vulva Lust an rhytmischer Bewegung von Frauenfingern. Das ist ganz anders als die Kamerablicke auf Frauenkörper, die in diesem angeblich anderen Kino aufs Unrfreflektierteste malegazen. Anders anders wird einem beim Abreaktionsspiel von Hermann Nitsch, auch da sind die Sommers dabei. Gekröse, Gedärm, Blut, der ganze obszöne Nitsch-Quatsch, eine Frau am Kreuz, selbstbewusst sicher, in sie hinein stößt Nitsch sein umgeschnalltes Gemächt. Gekrösebrühe drauf, fertig. (Reihe "Abschied vom Kino")

 

7. von 2 - 12 Std. 

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8. Ein Dispositiv ganz eigener Art. Auf der einen Seite: Ruth Schmidt. Auf der anderen: Adolf Winkelmann, seine zukünftige Frau (nehme ich an) und die Kamera (mit kaum sichtbarem Kameramann). Schnitt. Gegenschnitt. Die eine spricht, die anderen blicken (was unhörbares Miteinanderflüstern nicht ausschließt). Ruth Schmidt ist die zukünftige Schwiegermutter des Filmemachers Adolf Winkelmann, die sich aufs Sympathischste um Kopf und Kragen redet, eine Art Kasseler Bildungsroman. Hinter hier sechs Stiche von Soldaten, das Gemälde darüber zeigt ebenfalls einen Uniformierten. Eine Porzellanvase mit Blumen darin, Ruth Schmidt raucht. Sie erzählt, wie sie die Künstler, und Adolf Winkelmann ganz besonders, trotz ihres ungepflegten Äußeren zu verstehen gelernt hat. Dass sie ja ein bisschen dumm war, von Vorurteilen geleitet. Sogar Beat-Musik hört sie sich an. Nicht dass es ihr gefällt, aber man gewöhnt sich daran. Das Schöne an dem Film ist, wie er sich  lustig macht, aber auf ganz angenehme Art und mindestens so sehr über Adolf Winkelmann wie über Ruth Schmidt. In Schnitt und Gegenschnitt verdoppelt sich die Fremdperspektive. Niemand wird bloßgestellt. Ruth Schmidt liebt Adolf Winkelmann. Adolf Winkelmann liebt Ruth Schmidt. (Adolf Winkelmann, Es spricht: Ruth Schmidt)

9. Kaum schlechte Filme gesehen im Deutschen Wettbewerb. Einer ragt trotzdem heraus, Bigger than Life von Adnan Softic, der den monströsen Plan, Skopje durch abstrus monumentale Gebäude nachträglich historische Tiefendimensionen zu verleihen, sehr schräg angeht, esayistisch-quasidokumentarisch: von Paestum und Winckelmann her, sowie, sinfonisch aufwendig, musikalisch. Sehr von der Seite nähert sich auch die Kamera ihren Gegenständen, einmal fährt sie wie verzweifelt die Fassaden hinauf, in die Schwärze des Himmels. Schräg, in Tangenten, auch kreisend, in vier Teilen, selbst fast musikalisch geordnet (Rhythmus 2), ein Karussell mehrfach im Anschnitt, nähert sich Softic diesem Skopje, das niemandes Heimat mehr sein kann und es immer weniger wird, je emphatischer es eine Herkunft, die niemals gewesen ist, als seinen Ursprung beschwört. Softic fällt dazu viel und nichts ein. Sein Film wird am Irrsinn selbst ein wenig verrückt. Wo sprechen nicht hilft, muss man singen. Das hilft zwar auch nicht so recht, oder nur und gerade insofern, als man im Gesang aufheben kann, dass es einem die Sprache verschlägt. 

10. Schluss: Oberhausen, Blicke 

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