18. November 2009
Filmemacher im Nebel Aufstand der Regisseure
Vorbemerkung: Die Filmemacher in Griechenland proben derzeit mit großem Erfolg den Aufstand. Aus Protest gegen ein korruptes und seit Jahren trotz vieler Versprechungen nicht reformiertes Filmfördersystem haben sie sich zusammengeschlossen. Und zwar nicht zu einem Verband, sondern zu einer losen, über das Internet organisierten, inzwischen den Großteil der griechischen RegisseurInnen umfassenden Gruppe. Sie haben erfolgreich den Boykott des Filmfestivals von Thessaloniki, d.h. vor allem der alljährlich dort stattfindenden Preisverleihung auf die Beine gestellt. Und ein Gegenfestival in Athen organisiert. Auf unsere per E-Mail gestellten Fragen zu den einzigartigen Vorgängen hat der Regisseur Filippos Tsitos mit diesem spontanen Text geantwortet. Tsitos hat an der DFFB studiert, lebt in Berlin und arbeitet für das deutsche Fernsehen (u.a. vier Tatorte, mehrere Folgen der ZDF-Serie KDD-Kriminaldauerdienst). In Deutschland hat er 2001 als DFFB-Abschlussfilm My Sweet Home gedreht, in Griechenland ist in diesem Jahr Akidimia Platonos entstanden.
Der Auslöser der ganzen Sache? Hm... eine lange Geschichte, die bestimmt auch mit dem für die griechische Mentalität typischen Individualismus zu tun hat. «Jeder für sich und niemand für die Gemeinde».
Seit über 20 Jahren läuft das Fördersystem so: Man stellt einen Antrag an die einzige staatliche Filmförderung und wartet ab. Ältere Regisseure haben oft Vorrang (!). Und wenn du Pech hast, hast du dein Drehbuch am gleichen Jahr fertig mit dem von Angelopoulos....
Das Entscheidungs-Gremium («Griechisches Filmzentrum») besteht aus einem Präsidenten und aus Representanten der Verbände (also aus dem Techniker-Verband, Regie-Verband, Autoren-Verband, Kritikerverband(!), usw.. .) Der Präsident ist ein Sklave der Verbände. Sonst gibt es finanzierungsmäßig nur einen geringen Zuschuss vom staatlichen Fernsehen.
Die letzte Hoffnung der sowieso unterfinanzierten Filme (z.B.: eine Nebenrolle kriegt für 40 Drehtage um die 5.000€; vom Regisseur wird erwartet, das er ganz auf Bezahlung verzichtet etc) sind die staatlichen Filmpreise. Die entsprechen den deutschen «Lolas». Diese werden von 50 Juroren vergeben. Nur: die meisten sind wiederum Mitglieder der Verbände. Das Geld dieser Preise ist heiß begehrt. Das führte zu oft zu skandalösen Preisverleihungen, wo z.B. ein einziger Film alle (alle!) Preise erhält, oder wie im letzten Jahr, wo zwei Filme (vom gleichen Produzenten produziert) alle Preise einheimsen. Jeder in der Filmbranche weiß, dass all das nach dem Muster von Deals vor sich geht: «Wir helfen euch dieses Jahr, damit ihr uns nächstes Jahr helft» – und dergleichen. Ich kenne persönlich einen Fall, bei welchem der Produzent den Preis, den sein Film erhalten wird, schon im Budget bereits heimlich einkalkuliert hat. Er ist sich dessen sicher, dass er eine Reihe vom staatlichen Preisen gewinnen wird, bevor er den Film dreht!!! Letztes Beispiel: Als Angelopoulos mit seinem Film Die Ewigkeit und ein Tag bei den Staatspreisen unter den Kandidaten war, hatte die Jury einen anderen Film für den ersten Preis auserkoren. Dieser Film (From the edge of the city von Konstantin Giannaris) hatte eine Stimme mehr als Angelopoulos erhalten. In der Nacht vor der Preisverleihung wurde ein Jurymitglied angerufen und «überredet», seine Stimme zugunsten von Angelopoulos zu ändern.
Für dieses Mafia-System gibt es natürlich keine schriftlichen oder andere, «gerichtlich» geltende Beweise. Es würde nicht so lange funktionieren können, wenn man solche Beweise hätte. Aber alle Mitbeteiligten wissen es. Und alle machen mit. So etwas ist für das Land nichts Neues. Alles funktioniert so im Griechenland der letzten 20 Jahre – oder länger. Man muss den Beamten schmieren, damit man seine Angelegenheit geregelt kriegt (legale oder illegale Angelegenheit), man muss die Strafzettel für Falschparken nicht unbedingt bezahlen, weil man irgendwo in der Polizei oder im Ministerium «jemandem kennt» usw., usw., usw. So läuft es. Und so kommen wir zum «Ich helfe dir heute, damit du mir morgen hilfst» und «Jeder für sich und niemand für die Gemeinde». Einer der Hauptgründe für die Jugendrevolte vom letzten Dezember war die im Lauf der Jahre gewachsene Empörung über den korrupten Staat.
Nach der Preisverleih-Parodie während des Thessalonikifestivals vom letzten Jahr dachten ein paar Regisseure, die gerade Filme fertiggestellt hatten, dass man irgendetwas dagegen unternehmen müsste. Wir haben beschlossen, unsere Filme nicht bei den staatlichen Filmpreisen einzureichen, also die Preise zu boykottieren (und die Chance für das gute Geld bewusst zu versäumen). Wir waren sehr ängstlich, weil man für eine derartige Aktion die meisten fertigen Filme des Jahres bräuchte und nicht bloß ein paar. Sobald unsere Produzenten eingeweiht wurden, haben sie dem Ganzen eine größere Dimension gegeben: «Die Filmpreise sind nur ein Teil des Filmgesetzes. Das Filmgesetz muss geändert werden.»
Das seit Jahren immer stärker gewordene Gefühl von Ungerechtigkeit, in Kombination mit dem wichtigen Faktum, dass alles von unten, von den Machern, von aktiven Filmemachern, die ihre Filme dafür opfern (darunter auch Erstlingsfilmer), initiiert wird, hat dazu geführt, dass aus den ursprünglich 5 Filmemachern sehr schnell 30 wurden, und die 30 wurden 70 und die 70 wurden 200+. Das geschah innerhalb von wenigen Monaten. Alle 200 Mitglieder der Gruppe sind aktive Regisseure, Produzenten und Drehbuchautoren. Unter den älteren: Costa-Gavras und Pandelis Voulgaris. Etliche ältere Regisseure jedoch (darunter auch Theo Angelopoulos) sind nicht dabei. Denn, unabhängig von der (früheren) Qualität ihrer Filme, gehören diese Regisseure leider zu den Begünstigten des korrupten griechischen Filmsystems. Außerdem haben diese älteren, arrivierten Regisseure keine besondere Lust mehr, sich um Gemeinschaftliches zu kümmern, oder sind zu müde für so was…
Die Branche war am Anfang überrascht und hat uns nicht ernst genommen. Alle fragten, «wer dahinter steckte». Das ist das für Griechenland typische Denken. Es ist klar, dass die Leute, die in dieser labyrinthischen Bürokratie ihre Plätzchen und Entscheidungsposten hatten, ihre Macht und Gagen nicht verlieren wollten. Sie versuchten, die Bedeutung der Sache runterzuspielen, uns klein zu machen. Peu à peu wurden wir aber immer mehr und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die meisten aktiven Filmemacher der griechischen Filmbranche unserer Gruppe angehören. Die Nicht-Mitglieder sind mehr oder weniger Beamte (was aus ihnen keine einfachen Gegner macht).
Massenhaft sind Regisseure aus dem korrupten griechischen Regieverband ausgetreten. Weil der Verband ein Teil dieses Systems ist. Alle diese Regisseure beschlossen, ihre Filme nicht bei den staatlichen Preisen einzureichen und sie nicht zum Thessalonikifilmfestival zu schicken, wo die Zeremonie der Preisverleihung jährlich stattfindet – und zwar solange, bis ein neues Filmgesetz verabredet wird. (Übrigens: ein neues Filmgesetz hat jeder einzelne griechischen Kulturminister der letzten 20 Jahre angekündigt. Alle haben es versprochen, aber niemand hat irgendetwas gemacht).
Mittlerweile arbeiten wir, Regisseure, Autoren und Produzenten der Gruppe, an einem Gesetzesentwurf (bzw. einem vollständigen Gesetz für das Filmwesen). Bald wollen wir eine «Akademie» der Griechischen Filmemacher gründen, die jedes Jahr die Filmpreise vergeben soll (wie überall in der Welt, verdammt!). Die Preise werden nicht dotiert sein, nicht im Rahmen des Thessaloniki-Festival vergeben werden, und das Geld, das dafür gedacht war, soll dem Griechischen Filmzentrum für das Finanzieren von neuen griechischen Filmen gegeben werden. (Wie man sieht, ist es eine furchtbar einfache Lösung gegen die Korruption, auf die NIEMAND bisher gekommen ist…)
Das Gesetz hat tausende andere Punkte (Tax-shelter für die Filmproduzenten, Motivation der Kinobetreiber, um mehr griechische Filme zu zeigen, Befreiung der Gremien der Filmförderung von der tyrannischen Überkontrolle von Gewerkschaften und Verbänden), ich bin kein Experte für jedes Detail der Sache.
Als nächstes werden wir uns mit der Filmausbildung befassen. Man glaubt es kaum, aber es gibt keine richtige Filmhochschule hier. Niemand hielt es in Griechenland je für angezeigt, eine Filmhochschule zu gründen. Es gibt ein paar privaten Filmschulen, die eine schlechte Ausbildung liefern. Die einzige staatliche Filmschule ist Teil der Universität von Thessaloniki und man darf da nur studieren, wenn man das Äquivalent zum Abitur hat…
All das wäre so gut wie unmöglich gewesen ohne das Internet. Denn das Internet spielt bei unserer Gruppe eine entscheidende Rolle. Unsere Gruppe hat den Namen FILMEMACHER IM NEBEL (FOG / FILMMAKERS OF GREECE), eine Anspielung auf den Film Gorillas im Nebel ist, als Hinweis darauf, dass der griechische Filmemacher eine bedrohte Tierart ist. Der Gorilla ist auch das Symbol unseres Blogs und überhaupt unserer verzweifelten Situation geworden.
Mehrere Regisseure, Drehbuchautoren und Produzenten diskutieren täglich in einem Internetforum sämtliche Probleme der griechischen Filmbranche und treffen «direkt-demokratisch» Entscheidungen: Es gibt keine «Chefs», man ist kein Verband – und will auch keiner werden. Die Bewegung erfährt viel Anklang in den Zeitungen, Radio etc. Sie mit großem Erfolg eine Filmwoche in einem Athener Kino initiiert, bei die gesamte Produktion des Jahres gezeigt wurde, die das diesjährige Thessaloniki Filmfestival boykottiert. Das scheint uns weltweit einzigartig: «Alt-Athenische» Demokratie per Internet.
Diese absolut demokratische Art des Diskutierens und der gemeinsamen Entscheidungsfindung, ohne Gremien und Komitees, funktioniert tatsächlich. Es ist sehr mühsam, sehr zeitaufwendig und geht oft auf die Nerven. Aber es funktioniert. Ich hätte es nicht gedacht, aber es funktioniert. Durch das Faktum, dass man seine Meinung aufschreiben und an das Internetforum der Gruppe senden muss, entsteht automatisch eine andere, höhere Qualität von Verantwortung für die eigene Meinung und eine ebenso höhere Qualität von Respekt, wenn man die Meinung der anderen liest und darauf reagieren möchte (oft entstehen auch Missverständnisse und Ärger, das gehört dazu, aber die positiven Erfahrungen überwiegen bei weitem). Das Wunderbarste für mich ist, wie die Basis (200+ Mann) sich selbst kontrolliert und die Gruppe in Richtung einer konkreten Entscheidung dirigiert, ohne Präsidenten, ohne Gewerkschaft, ohne führende Persönlichkeiten, ohne gewählte Gremien und so weiter. Es gibt viel guten Willen, wenig Ego, viel Respekt und ein paar gemeinsame Ziele. Und so marschiert dieses Wesen, aus so vielen Menschen bestehend, voran. Ein Wunder! Und ich spreche diesbezüglich nicht nur für mich.