debatte

8. Juli 2009

Geistes Kind Exemplarisch fernsehen

Von Ekkehard Knörer

Als Dominik Graf einmal das Fernsehen zu verteidigen für angezeigt hielt, schrieb er dies:

Das öffentlich-rechtliche TV-Wesen ist mental seit den Neunzigern leicht aus den Fugen. Es hat sich damals an seinen Spitzen ohne rechte Not in eine Zwangsideologie hineinmanövriert.  In eine Kontrollmanie, die alles, was gesendet wird, zwischen Publikumsquote und Kulturanspruch in Schubladen zwängt. Anstatt einfach immer nur das zu machen, wozu man Lust hat und wovon man überzeugt ist, unterjocht man sich nun schon jahrelang dem Quotenerfolgsdruck und stellt reichlich Flachkäse her als angeblich notwendige Legitimation für die Gebührengelder

Was jetzt nicht nach einer Verteidigung klingt, aber tatsächlich, als Erwiderung auf einen sehr kritischen Artikel der ZEIT-Filmredakteurin Katja Nicodemus, so gemeint war. Nichts, könnte man auch sagen, macht den durchaus verheerenden Zustand der öffentlich-rechtlichen Sender klarer als die Mattigkeit noch jener, die ihnen zur Seite springen. (Graf lobt in anderen Teilen des Textes ausdrücklich einzelne RedakteurInnen und einzelne Projekte. Auch sonst werden immer wieder vor allem zwei Frauen genannt, die vorzügliche Arbeit leisten: Bettina Reitz vom BR und Caroline von Senden beim ZDF.)

Nicodemus hat in ihrem nach wie vor sehr lesenswerten Artikel damals den deutschen Kulturstaatsminister Bernd Naumann besucht und den scheidenden ZDF-Fernsehchef Hans Janke porträtiert. Der reagiert am Ende ziemlich sauer auf Kritik, die er als unberechtigt wahrnimmt – Kritik nämlich, die vom Fernsehen die Unterstützung auch und gerade anspruchsvoller, nicht publikumsgängiger Werke fordert. Zitat aus dem Text von Nicodemus:

Am Ende des Gesprächs macht er seiner ganzen Resignation Luft. «Wir können auch sagen: ‹Kinders, lasst uns in Ruhe. Wir machen einfach alles selber, wir brauchen das Kino nicht. Und wenn wir nur die Verderber sind, dann wollen wir irgendwann nicht mehr.›»

Es sei, hörte ich damals, Janke ein wenig Unrecht widerfahren im Nicodemus-Artikel. Er habe sich durchaus als Förderer des nicht-kommerziellen Kinos mit Fernsehgeldern begriffen und war damals – nicht als einziger – verbittert, dass das sauteure und ausdrücklich nicht als Event-Movie konzipierte, ZDF-finanzierte Anonyma-Projekt an den Kinokassen dann nicht funktionierte. Was bleibt, ist freilich doch der Eindruck, dass sich da jemand mit einer Funktion verwechselt. Bzw. diese Funktion missversteht. Es ist nämlich nicht die Funktion des Fiction-Chefs eines öffentlich-rechtlichen Senders, auf Kosten der Qualtiät Quote zu machen. Eigentlich eher im Gegenteil. Sein Auftrag ist nämlich ein Kultur- und kein Kommerzauftrag. Die Abermillionen, die das ZDF in seine Fiction-Sparte steckt, sollten ihm selbstverständlich entzogen werden, sobald es diese nur noch als Konkurrenzprogramm zum und auf dem Niveau der privaten Sender begreift. Man kann sehr wohl der Meinung sein, es sei längst so weit.

(Nebenbei: ZDF-Programmchef Thomas Bellut verteidigt ganz aktuell die Neuauflage des SAT.1-Klassikers Kommissar Rex beim ZDF so: «Sicher ist das eine alte Marke der Kommerziellen – aber es lag doch nahe, diesen Namen, den so viele Zuschauer noch kennen, neu zu beleben. Das dürfen Sie aber nicht als Prinzip nehmen.» Was für einen Fernsehmann so alles «nahe liegen» kann.)

Die Causa Janke ist erst einmal Schnee von gestern. Janke ist seit ein paar Wochen pensioniert. Sein Nachfolger als ZDF-Fiction-Chef heißt Reinhold Elschot (senderintern : «El Shot») und es zeichnen sich in jüngeren Pressemitteilungen erste Konturen seiner Fernsehzukunftspläne ab. Eine Ahnung haben konnte man bereits vorher, denn Elschot ist seit Jahrzehnten mit dem ZDF verbandelt. Die Firma Network Movie, der er vorstand, hat neben vielem anderen auch die Serien Soko Köln und Lutter produziert. In einem Interview mit derwesten.de hatte er über seine Präferenzen zum Beispiel die folgenden Dinge mitzuteilen:

Sie müssen zusehen, dass die Frauen- und Männertypen in einem ganz bestimmten Verhältnis zueinander stehen. Und: es muss immer eine Reibungsfläche geben. Sie können eine sexy Frau besetzen, wenn Sie einen richtigen Mann dagegenstellen.
Auch ich liebe es nicht, wenn die Schauspieler so aussehen, als wenn sie gerade aus dem Teich gezogen worden wären. Normale Gesichtstöne, normale Umweltfarben gehören für mich auch ins Fernsehen.

Leuten, die das Innere von Fernsehsendern kennen und die meine Fassungslosigkeit darüber mitbekommen, dass dergleichen erfolgsalchemistische Hirnlosigkeiten als Diskurs über Filme durchgehen, kucken mich meist ehrlich erstaunt an und und teilen mir mit, dass im Fernsehen allermeistens genau so geredet wird. (Ausnahmen, siehe oben, bestätigen diese Regel.) Also: In den Köpfen dieser Leute spuken in erster Linie Normierungsideen. Sie fragen sich nicht, wie man etwas anders machen könnte, als man es für gewöhnlich macht, sondern wie man es so machen kann, dass es möglichst vielen gefällt. Sie würden wahrscheinlich noch nicht einmal begreifen, wo in einem Satz wie dem von mir eben formulierten etwas wie ein Problem stecken könnte. Sie halten, kurz gesagt, nicht die Konvention für etwas, das es nach Möglichkeit zu vermeiden gilt, sondern die Abweichung davon.

Der aktuelle Anlass ist dieser: Vor einer guten Woche hat das ZDF mitgeteilt, dass es die Krimi-Serie um Kommissar Süden auf Eis legt. Das ist nichts anderes als die feige Formulierung dafür, dass man sie frühestens am Sankt-Nimmerleinstag fortzusetzen gedenkt. Stillos schon, dass es keine offizielle Mitteilung von zuständiger Stelle an die Verantwortlichen gab. Schon daran kann man eigentlich die Wertschätzung für das Projekt erkennen. Dafür wurde eine interne Mail an die halbe Welt verschickt. Begründet wurde die Absetzung darin so:

Die Würfel sind gefallen: Unsere Reihe wird nicht fortgesetzt. Die schwache Resonanz beim Publikum und - vor allem – die Tatsache, dass beide Filme im Verlauf der Sendung kontinuierlich Zuschauer verloren haben, haben zu dieser Entscheidung geführt.
Das sind Fakten, denen bei aller positiven Resonanz in der Presse wenig entgegenzuhalten ist.

Exemplarisch ist das alles aus mehreren Gründen. Zum einen war Dominik Grafs Süden und der Luftgitarrist – den ersten von Martin Enlen habe ich leider nicht gesehen – ein herausragender Film. Überhaupt war das ganze, als Verfilmung der Romane des erfolgreichen und seinerseits von der Kritik hoch gelobten und überdies preisgekrönten Friedrich Ani, einmal als Prestigeprojekt des Senders geplant. Top-Bücher, Top-Regisseure und mit Ulrich Noethen, Jeannette Hain, Martin Feifel und anderen auch Top-Darsteller.

Irgendetwas muss dann aber schief gelaufen oder auch schief gesteuert worden sein. Man darf vermuten: Die Sender-Zuständigen konnten mit den fertigen Filmen nichts anfangen und unternahmen jedenfalls die Anstrengungen nicht, die nötig gewesen wären, um eine sehr ungewöhnliche, qualitativ herausragende Reihe wie diese so zu positionieren, dass sie die nötige Aufmerksamkeit und auch das ihr entsprechende, vielleicht eher kleine und feine Publikum findet.

So kam es, dass die Filme lange fertig waren, bevor sie Sendetermine bekamen. Und die tatsächliche Sendepolitik war vollends absurd. Die Reihe wurde zunächst als neuer Samstagskrimi angekündigt, bereits der zweite Film aber lief dann am Montag.  Die Quote des ersten Films war gar nicht schlecht: Sie lag mit 4,89 Millionen bei 17 Prozent, das mag nicht überragend sein für einen «Samstagskrimi», überm Senderschnitt aber ist das allemal. Am gänzlich anders gearteten Sendeplatz – Montag Abend läuft im ZDF eigentlich eher Fiction-Weichspülprogramm – sahen den Graf-Film 3,88 Mio, die Quote bei den jüngeren Zuschauern (14-49) lag aber über dem Senderschnitt.

Das zentrale Absetzungs-Argument war aber offenbar – siehe Zitat oben – nicht die Einschalt-, sondern die Abschaltquote. Die ist, minütlich ausweisbar, sowieso der wahre Horror aller Programmverantwortlichen. De facto kann Abschalten natürlich einerseits bedeuten: Die Leute verabschieden sich, weil sie den Schrott nicht ertragen. Oder andererseits: Was sie sehen, verstößt gegen ihre Sehgewohnheiten und darum schalten sie weg. Mal im Ernst: Bei einem dramaturgisch, ästhetisch, überhaupt: in jeder Hinsicht unkonventionellen Film ist das alles andere als ein Wunder. Es versteht sich doch von selbst, dass herausragende künstlerische Qualität in aller Regel weniger Quote macht als das handwerklich okay gemachte Mediokre.

Warum hat dann jemand wie Reinhold Elschot nicht den Arsch in der Hose, das genau so zu sagen? Die weiß Gott wenigen Programme von herausragender Qualtiät gegen die Absurdität von Quotenzumutungen also zu verteidigen? Wie kann es denn sein, dass den Fakten der Quote – die allemal erwartbar waren - in einer Redaktionskonferenz «wenig entgegenzuhalten ist"» Das kann doch nur zweierlei heißen: Qualität wird entweder nicht erkannt oder gilt nicht als Argument gegen unbefriediegende Quoten. Ich kenne Herrn Elschot nicht, kann nur versuchen, zum Beispiel aus Interviewäußerungen zu schließen, wie er tickt. So jedenfalls klingt seine Antwort auf die Frage nach den Erfolgsgeheimnissen seiner damaligen Firma Network Movies:

Wenn wir Abnahmen haben, müssen wir alle zwei-, dreimal herzlich lachen. Wir haben eine A-Geschichte, einen Fall, der zu lösen ist, und eine B-Geschichte mit Privatgeschichten der Kommissare, wo es immer zu Missverständnissen kommt. Also: Eines unserer Erfolgsgeheimnisse ist der Humor.

Im selben Atemzug, in dem Elschot die Süden-Absetzung bekannt gab, hat er übrigens weitergehende Pläne verkündet:

Der ehemalige Geschäftsführer der Produktionsfirma Network Movie trat sein Amt vor vier Wochen an. Elschot hat bereits große Pläne: Er will künftig, wie er sagt, «mehr Kino ins ZDF» bringen. Sein Sender beabsichtigt künftig die Beteiligung an sechs bis acht Kinoproduktionen pro Jahr. Jeweils 800.000 bis eine Million Euro sollen in jeden Film fließen. Die ZDF-Kinostrategie wird voraussichtlich ab 2010 realisiert. Die Streifen könnten dann auch als Primetime-Filme im Zweiten ausgestrahlt werden.

Man wird da nach allem, was man aus dem Süden-Debakel schließen kann, nur das Allerschlimmste befürchten dürfen. Mediokritäten mit A-Geschichte und Humor. Anders gesagt – und das macht den Fall, fürchte ich, so exemplarisch: Wer als Filmemacher Gelder des ZDF beantragt und trotzdem nicht auf den Anspruch der Qualität verzichten will, wird in Zukunft noch weniger zu lachen haben als bisher.