23. Juli 2012
Halluzinationsgefahr Ist Batman an Aurora schuld? Die US-Filmkritik diskutiert
Drei Tage nach dem Amoklauf in einer Premierenvorstellung des neuen Batman-Films in Aurora, Colorado, ist unter amerikanischen Film- und Kulturkritikern die Debatte darüber voll angelaufen, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Film (oder, allgemeiner gesprochen, Blockbusterkino) und dem Ereignis gibt. «Hat Batman Blut an seinen Händen?», lautet die suggestive Überschrift über einem Kommentar von Andrew O'Hehir auf salon.com, in dem der Autor gleich ein wenig Täterpsychologie betreibt: James Holmes «sah richtigerweise, dass The Dark Knight Rises in unserer zunehmend stärker fragmentierten Kultur das größte massenkulturelle Ereignis des Jahres» war. Und dann fährt O'Hehir in einer Weise fort, die symptomatisch erscheinen kann für die sprachliche Angriffslust, von der ein nicht geringer Teil der amerikanischen Online-Publizistik geprägt ist: «Shoot up a KenTaco Hut or a Dunkin’ Donuts, in standard suburban-nutjob fashion, and you get two or three days of news coverage, tops. Shoot up the premiere of a Batman movie, and you become a symbol and provoke a crisis of cultural soul-searching.»
Die Inklusionsrhetorik von O'Hehir, die uns alle zu Gefangenen der Spektakelkultur macht, in der eben von Zeit zu Zeit jemand in «standard suburban nutjob-fashion» auszuckt, führt nicht wirklich weiter. Sie ist die billigste Reaktion auf eine durchaus zu führende Debatte, ob Christopher Nolans Film als Produkt ebenjener Welt zu sehen ist, in der die Schüsse fielen: eine Shopping Mall mit Multiplexx. Oder ob er dazu eine kulturelle Distanz hält, die das Blockbuster-Format in sich zu einer pluralistischen Angelegenheit macht. Dass der New Yorker gleich alle drei seiner Kritiker zu Wort kommen lässt, zeugt eher von einem gebildeten Unbehagen an dem Format selbst, das es in Momenten wie denen nach Aurora immer leichter hat: Anthony Lane ging in seinem Text noch davon aus, dass die Vorstellungen von The Dark Knights Rises in seiner Stadt am Samstag abgesagt würden (tatsächlich sind die Einspielziffern des Wochenendes zwar nicht überragend, aber doch beträchtlich), und macht seinerseits einen «bescheidenen» Vorschlag: Er ist für ein Verbot der Mitternachts-Vorstellungen, denn «they often have a crazed and hallucinated air».
David Denby ging wenige Stunden später in seiner Deutung schon einen deutlichen Schritt weiter in Richtung auf eine kathartische Lesart der Aurora-Morde: Für ihn ist James Holmes möglicherweise ein «didaktischer Verrückter, ein durchgeknallter Ironiker», der der Massenkultur jene «Gewalt als Spektakel» gibt, die diese sich (nicht so allerdings) ständig wünscht.
Einen interessanteren Punkt spricht Dana Stevens in Slate an: «And maybe there should also be conversations about what it means that the economics of the film industry are driven almost entirely by the fantasies and desires of young men, and what effect that kind of over-representation in pop culture might have on … the fantasies and desires of young men. All I know is that, when I heard the news about the Aurora shootings, my first thought was very clear and very scary: Of course this was going to happen sooner or later.» Die Frage, wessen (vorgestellte) Handlungsmacht populärkulturell überhaupt in jene Bereiche des Entscheidens über Leben und Tod hinaufgeschraubt wird, ist tatsächlich von Belang, und sie hängt mit der anderen Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Blockbuster zusammen. Wer jemals in einem amerikanischen Mall-Multiplexx einen Film gesehen hat, wird wissen, dass schon durch den Lärmpegel, auf den die Kinos eingestellt sind, nicht so sehr eine Stimmung der Halluzination, sondern der Aggression erzeugt wird.
Den bisher besten Text zu The Dark Knight Rises hat Michael Sicinski auf CinemaScope geschrieben – er musste in seinem Addendum nach den Schüssen von Aurora nichts zurücknehmen außer eine Formulierung, in der er Christopher Nolans Kino als «hollow-tip mega narrative» charakterisiert, also als eine Erzählform, die nach dem Einschlag erst explodiert und so eine umso größere Wunde reißt. «That is, we find ourselves looking for signs of big money, friction-free, exacting masculinized, motorized one-size-fits-all allegorical hollow-tip mega-narrative at the undifferentiated mass, without the unalloyed expenditure of poetry. If we all get behind this, if we keep this Bat-Signal 100% Fresh and punish anyone who introduces the ‹noise› of a contrary expectation, we could treat every day in our democracy like it’s Halloween.» In diesem Text wird das Problem, das die Gesellschaft mit dem Format haben könnte, nicht vorschnell generalisiert, sondern am konkreten Fall verhandelt.
Nur so kann man der Logik der «Mega-Events» entkommen – man muss sie enttotalisieren, auseinanderdividieren, entschlüsseln, auch wenn das eine ohnmächtige Geste ist gegenüber denen, die sie lieber auseinanderschießen.