dokumentarfilm

4. Mai 2020

Drinks & Stories Bargespräche in barlosen Zeiten

Von Felix Hüttemann

© NFP neue film produktion

 

Ein Mann kommt in eine Bar… Ein Halbsatz, der sich vor kurzem noch wie die Exposition eines bekannten und wahrscheinlich altbackenen Witzes anhörte. Aktuell kann man die dazugehörige Pointe allerdings getrost vergessen: Schon seit Anfang März haben die Bars und Gastronomien geschlossen oder sind wegen der Corona-Auflagen zum take-away-Service verurteilt. Dieser traurige Fakt ruft auch in Erinnerung, welche Dinge man unter privilegierteren Umständen für selbstverständlich hält: Orte der Gastlichkeit, des gepflegten Genusses und der sozialen Interaktion. Werden diese Orte in der Politik nur bedingt oder gar nicht mit dem Unwort «systemrelevant» konnotiert, so sind sie dennoch kulturell hoch aufgeladen. Sie haben einen Nimbus entwickelt, der in der Kulturgeschichte seinesgleichen sucht.

Dass die Institution Bar ein kulturrelevanten Ort ist, wird in einem mittlerweile unter Bar-Aficionados vor und hinter dem Tresen zum Kultobjekt avancierten Dokumentarfilm von Marieke Schroeder angedeutet: Schumanns Bargespräche. Drinks & Stories (2017). Der Film ist eine (ja, auch pathetische) Liebeserklärung an die Barkultur und ihre ProtagonistInnen «hinter den (Tresen-)Brettern» dieses Mikrokosmos. 

«Es gibt zwei Wege einen Cocktail zu genießen», erklärt der japanische Barkeeper Kazuo Uyeda seinem Münchener Kollegen, dem Protagonisten des Films und ‹Übervater› der neueren Barkultur, Charles Schumann. Der erste Weg ist natürlich diesen zu trinken. Und der zweite: ihn zu mischen. Eine dritte Variante bietet Schroeders Doku, nämlich der Geschichte und der Ästhetik des Cocktails auf Bildern, in der Literatur oder in Filmen zu folgen.

Er beginnt mit dem Sound eines Jazzklaviers: der in slow-motion aufgenomme Betrieb im Schumann's am Münchener Odeonsplatz Nummer 6. Die Kondenstropfen fliegen von den glänzenden Shakern, die gefrosteten Gläser werden mit vornehmlich dunkelroten Getränken gefüllt (nicht weiter verwunderlich, erfährt man doch bei der Recherche, dass der Film von Campari unterstützt wurde; Schumann und das Schumann's stehen seit langem in enger Referenz zum italienischem Kräuterbitterhersteller). Ein Schwenk über die Gespräche, die Gäste, die Konversation überdeckt von der Klaviermusik. Der Mythos Bar wird bereits in der Aufblende in hochglanzproduzierter Werbefilmästhetik bebildert – und illustriert, dass es eben nicht kulturferne Spelunken sind, die unter dem Topos ‹Bar› in der filmischen Enunziation aufgerufen werden.

Ein Schnitt und wir folgen im over-the-shoulder-shot Charles Schumann, im Takt der Jazzmusik, flanierend durch die Straßen einer beliebigen Großstadt. Einzig die variierenden Anzugsfarben des ehemaligen Baldessarini-Models und die kleinen Unterschiede des großstädtischen Hintergrunds machen auf die Schnitte aufmerksam. New York, Havanna, Tokio, Paris, Berlin, Wien und München. Dieselbe Musik, derselbe Rhythmus, dieselbe Inszenierung. Diese sieben Großstädte sind Metropolen der Bar- und Cocktailszene. Dem Mythos Bar wird in einigen der (angeblich) besten dieser Zunft u.a. dem Milk and Honey in New York, der Loos Bar in Wien, der High Five Bar in Tokio, in «Bargesprächen» zwischen Schumann und verschiedenen ProtagonistInnen der Szene nachgegangen. 

Den Film muss man als eine Hommage an den Münchener Barbetreiber, dessen Interpretation des Cocktails und dem dazugehörigen Handwerk verstehen, der für eine bestimmte Auslegung des Barkeepers und dessen Nimbus steht. Charles Schumann wird im Film als Grandseigneur der internationalen Barszene inszeniert, der den Beruf und das Ideal des Barkeepers durch seine Bücher, Haltung und Philosophie in den 1980ern wieder etabliert und verbreitet hat. Sein dunkelrotes, in elf Sprachen übersetztes Buch American Bar (Schumanns Bar. The Artistry of Mixing Drinks) vor allem dessen Kultstatus in der Barszene der Vereinigten Staaten, ist der ‹rote› Faden des Films.

Das Buch wurde aufgrund seines Minimalismus und der Ernsthaftigkeit der Präsentation zum Standart- und Nachschlagewerk, zu «der» Barbibel für Fachpersonal. Wer auf der Suche nach Inspirationen für einen alkoholhaltigen Obstsalat oder mit Fruchtgummitierchen versehrte Regenbogengetränke ist, wird hier allerdings nicht fündig: Keinerlei quietschbunte stock photography, keine «achtziger Discogetränke», sondern eine Predigt von Perfektionismus, Eleganz und puristischer (Handwerks-)Kunst: «Ein Drink ist perfekt, wenn man nichts mehr weglassen kann.» Oder eine andere Devise: «Timing. Das Gespür dafür, welcher Drink wann, für wen und zu welchem Anlass passt.» (281)

Es ist diese Aura der Kreativität, zum einen die der Gäste als stilisierte Kopfarbeiter und zum anderen die der Barkeeper als Artisten und Virtuosen, die in Schroeders Film in der Inszenierung Schumanns als Denker und Künstler der Barkultur kulminiert. Dabei scheut Schumann selbst auch den Bezug zum Ästhetizismus nicht: Seine mehrfach prämierte Bar im Obergeschoß des Schumann's taufte er, nicht ohne Augenzwinkern, Les Fleurs du Mal.

Der/die Bartender wird in dieser filmischen Hommage nicht als Angestellter inszeniert, der bloß «Intoxikation als Dienstleistung» (zu dieser Definition des Barwesens siehe den Podcast von Joerg Meyer und Matthias Bauer) anbietet, sondern als Künstler ins Bild gesetzt wird. Er/sie ist sowohl Connaisseur als auch reflektierter und distanzierter Handwerker, zumindest in Schumanns Idealisierung eines Barkeepertypus als genialen Virtuosen, der das richtige Mischverhältnis intuitiv «erspüre» und somit das free-pouring (das Mixen ohne Jigger, den zwei-seitigen Messbecher) bevorzugt. 

Der Film verfällt in seiner Ästhetik immer wieder in die Bebilderung einer Heldenverehrung des ach so genialischen Puristen und Barmannes. Dieses Fandom mag man dem Film bei allem Bildergenuss zwar verzeihen, es wird einem jedoch eine gehörige Grundsympathie für Charles Schumann abverlangt – die in einigen der Interviewsituationen eher schwer aufgebaut zu werden vermag.

Besonders gelungen sind jedoch die filmischen Reflexionen über die Kulturgeschichte der Bar. Als ein abgeschlossener Mikrokosmos, eine Heterotopie, die man sowohl etymologisch wie auch realiter durch die Barriere, durch Tür und Vorhang, betritt. In ihr herrscht eine eigene Ästhetik, ein eigenes Pathos, welches im Film aus dem Off durch Axel Milbergs Rezitationen aus Schumanns Buch intoniert wird. 

Schumanns American Bar hat unstrittig Cocktail- und Bargeschichte geschrieben und wirkte an der Auratisierung der Bar mit. Es wurde, so inszeniert es der Film, zum Fetisch-Objekt so manchen Barkeepers. Diese philologisch-mixologische Fetischisierung hat Ende der achtziger Jahre etwas revitalisiert, das meine Generation allenfalls über Nostalgie-Serien wie Mad Men (wieder-)entdeckte: Den stilisierten Konsum alkoholhaltiger Mischgetränke (nein, keine Alko-Pops) gepaart mit einer Form von Geisteshaltung. Schumann und dessen Buch stehen für eine Idealisierung des Bildungs- gegen das Wirkungstrinken. «Wir stellten uns das so vor, dass Menschen in die Bar kommen, die Kopfarbeit leisten», stilisiert Schumann das ideale Klientel (Galeristen, Journalisten, Filmemacher) seiner ersten Bar, dem Schickeria-Schumann’s in der Münchener Maximilianstraße. Die Schilderungen lassen ungewollt Assoziationen an Helmut Dietls Rossini aufkommen, zumal in der schwarzweiß gehaltenen Bildergalerie der Stammgäste der achtziger Jahre wie Bernd Eichinger, Wolf Wondratschek und andere ins Aufmerksamkeitszentrum gerückt werden. Der eine oder andere dieser Gäste (etwa Claudius Seidl, Maxim Biller sowie langjährige Mitarbeiter Schumanns) kommen zu Wort, um die Aura des alten Schumann's in den Film zu tragen. 

Interessant wird der Film dort, wo zwischen Schumann und den jeweiligen Gesprächspartnern subtiler Dissens aufbricht. Etwa zwischen ihm und dem Barkeeper der Pariser Hemingway Bar beim Thema Empathie und Nähe zum Gast (Schumann, der als großer Misanthrop und Stoiker hinter dem Tresen gilt, lässt niemals zu große Nähe zwischen Gast und Barpersonal). Spannungen sind auch zwischen offiziellen Vertretern kubanischer Bars und Schumann zu spüren, wenn sich letztlich politische Differenzen ins Gespräch schleichen (Schroeders Film ergeht sich aber leider bloß in touristischen Kuba-Klischees). Es drängt sich in diesen Szenen mitunter die Frage auf, in welcher kubanischen Bar Ernest Hemingway eigentlich nicht ein und aus ging.

Größere Sympathie erweckt die Inszenierung der japanischen Bars, die dem Distanzpathos und dem Perfektionismus Schumanns am Nächsten kommen. Es scheint, als habe sich das Drehbuch beim Barbuch bedient, insofern es Schumanns Präferenz filmisch zu vermitteln sucht. Wenn minutenlang über den perfekten Eisblock und der ideale Abstand zwischen Glas und Eiswürfel philosophiert wird, ist ein Niveau an Expertentum oder gar l’art pour l’art erreicht, das polarisiert. Aber gerade das zeichnet den Film aus, dass über Geschmack gestritten werden muss und dass des einen Lieblingsbar vielleicht des anderen Spelunke ist.

Schuhmann's Bargespräche (Marieke Schroeder) D 2017