13. März 2014
Böhmische Dörfer Ein Film von Peter Zach und Jana Cisar
Von einem «böhmischen Dorf» spricht man gelegentlich, wenn einem etwas nicht geläufig ist. Das ergibt potentiell schön sinnlose Sätze wie: «Teilchenphysik ist für mich ein böhmisches Dorf.» Der aus Österreich stammende, in Berlin lebende Dokumentarfilmer Peter Zach zeigt nun, dass der Satz auch auf böhmische Dörfer selbst anwendbar ist. Wir wissen darüber tatsächlich in den allermeisten Fällen sehr wenig, und das hat seine Gründe vor allem in der Lage dieser Dörfer. Eine Randlage im Herzen Europas, also gewissermaßen doppelt abgelegen – zu zentral, zu regional.
Zach hat ein persönliches Motiv, seine Frau Jana Cisar, die auch die Produzentin des Films ist, stammt aus Marienbad, wo die Fahrt beginnt. Goethe hat hier ein Denkmal, wegen seiner Elegien. Ein paar Kilometer außerhalb liegt das Dorf Michalovy Hory (Michelsberg), in dem Fritz Altmann lebt, einer der wenigen Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg diese Gegend nicht verlassen mussten. Es ist das ehemalige Sudentendeutschland, in dem es vorkommen konnte, dass eine Frau, die 1946 einen Pass des deutschen Protektorats hatte, acht Jahre mitten in Europa staatenlos werden konnte.
Es ist die Großmutter von Jana Cisar, der dies widerfuhr, sie besucht für den Film ihr Heimatdorf Tynec und sagt: «Das tut so weh.» Ungefähr zur Hälfte erreicht Peter Zach das größte böhmische Dorf, die Stadt Prag. Im Cafe Slavia erzählt Lenka Reinerová von ihren Erfahrungen und kann es kaum fassen, «was alles im Rahmen eines einzelnen Lebens passieren kann». Kriege, Systemwechsel, das alles fasste sie in einem «Prager Deutsch» auf, das charakteristische Unterschiede zum deutschen oder zum Wiener Deutsch kennt. Ein Freund, der dazu kommt, bezeichnet Tschechien als ein «wunderschönes Land wie kaum ein anderes». Die Totalen, mit denen Peter Zach seinen Film strukturiert, wirken wie ein Beweis für diese Behauptung.
Ein Spaziergang über einen ehemaligen Todesstreifen im Dreiländereck zwischen Tschechien, Bayern und Sachsen deutet dann eine eigentümliche, posthistorische Idyllik an, die Zach und seine Zeit- und Raumzeugen aber nie richtig aufkommen lassen. Trotzdem ist Böhmische Dörfer auch ein Film über die Errungenschaften der europäischen Integration, die hier sehr konkret wird, auch wenn sie an einem Ort wie Hranice (Rossbach) vor allem als massive Belastung durch Autoverkehr wahrgenommen wird, und zwischendurch in einem Nebensatz eines der Motive für diesen Grenztourismus genannt wird («in den Spitzenzeiten hatten wir hier sieben Bordelle»).
Der Film Böhmische Dörfer ist über einen Zeitraum von ein paar Jahren entstanden, drei der wesentlichen Protagonisten sind inzwischen gestorben, was von ihnen bleibt, ist nicht zuletzt dieses sehr schöne Zeugnis.
Böhmische Dörfer, D/CR 2013, Regie: Peter Zach, 78 Minuten, läuft ab heute, 13. März 2014, eine Woche im fsk am Oranienplatz