14. Dezember 2009
Hinter der Wand des Systems Über Villalobos von Romuald Karmakar
Filmanfang. Mitten im Übergang von einer Platte zur anderen schwenkt die Kamera von den die Lightshow steuernden Laptops über die feiernde Menge im ibizenkischen Club Amnesia zunächst auf seinen Kollegen Luciano und dann, im Moment des Breaks, auf den Protagonisten. Dem Ekstase-Reflex, der Dance-Reaction der Crowd, möchte man auch im Kino folgen, muss aber sitzen bleiben. Es ist der einzige Moment in Villalobos, der die kollektivierte Emphase des Clubs direkt in den Kinosaal überträgt und sie dort an den Lehnen der Kinosessel bricht. Ein harter Schnitt transportiert den Film ins Studio, wo der Musiker eine Ladung neuer, größtenteils unveröffentlichter Platten anhört und mit kleinen Markierungen versieht. Die ganz und gar wortlose, rein aufs Hören und Sortieren gerichtete Tätigkeit wird vom Regisseur Romuald Karmakar mit einer Frage unterbrochen. Ab jetzt muss Ricardo Villalobos über alles Auskunft geben, was er tut.
Der Film beschränkt sich dankenswerter Weise vollständig auf diesen Aspekt des Tuns, die Arbeit des Musikers und DJs. Er erzählt keine Geheimgeschichten aus der im Dunkel der Nacht verborgenen Technoszene, er sucht nicht die Privatsphäre des Künstlers und Stars. Die mit Spannung erwarteten Aufnahmen aus der Panorama Bar des Berghains, das ansonsten einem ziemlich rigorosen Bilderverbot unterliegt, befriedigen keine voyeuristische Schaulust. Wer das Berghain sehen möchte, muss hingehen. Dennoch verfolgt der Film ein aufklärerisches Projekt: zu zeigen, wie Techno entsteht, wie die Musik performt und rezipiert wird. Ricardo Villalobos ist die emblematische Figur des Techno Berliner Prägung in den späteren nuller Jahren, zugleich avanciertester Produzent und hingebungsvollster DJ. Deshalb sucht der Film ihn auf.
Romuald Karmakar entwickelt in seinen nonfiktionalen Arbeiten Strategien, wie Teile der Wirklichkeit mit den Mitteln des Kinos beschreibbar werden. Techno ist einer dieser Teile, die Karmakar interessieren. Vor sieben Jahren stellte 196 BPM den ersten Teil einer losen Trilogie über elektronische Musik dar, 2005 folgte Between the Devil and the Wild Blue Sea. Die Gestalt seiner Arbeiten, die mitunter von langen Einstellungen dominiert wird, lässt sich nicht als eine mimetische Anverwandlung an das Gezeigte verstehen. Karmakar begreift den Kinoraum als einen Ort, in dem abhängig vom jeweiligen Film eine eigene Zeitstruktur gilt, die nicht an vorgängige Zeitregime gebunden sein muss, sich bestenfalls von ihnen entkoppelt. In dieser Hinsicht ähneln seine Filme dabei jener gerade auch durch die extrem lange dauernden Kompositionen und Live-Sets von Ricardo Villalobos fortgeschriebenen Idee des Techno als einer Kunstform, die jene Zeitlichkeit, die der Alltag in die Körper einschreibt, kontinuierlich transformiert. Weil beide Konzepte die konventionalisierten Modi der Wahrnehmung nicht bedienen, können sie Anstrengung bedeuten, entwerfen jedoch den Technoclub wie das Kino mit jeder neuen Platte bzw. jeder einzelnen Einstellung als ästhetischen Erfahrungsraum, der andere sinnliche (Selbst-) Wahrnehmungen ermöglicht.
Es folgt ein Gespräch. Wieder im Studio. An der Wand im Hintergrund befinden sich zwei enorme elfenbeinfarbene, hornförmige Lautsprecher. Villalobos arbeitet am Computer, inmitten einer nicht überblickbaren Ansammlung von Geräten: Sequenzer, Sampler, ein Modularsystem, Mischpulte. Karmakar fragt ihn, woran er gerade sitzt: ein Remix für die Recomposed-Reihe der Deutschen Grammophon, Herbert von Karajan wird von der selbst historisch gewordenen Technoavantgarde aus Detroit und Berlin bearbeitet. Daran entspinnt sich ein Gespräch über Aufnahmetechniken und die Historizität der Arbeit am Klang, die Bezogenheit einer Hörerfahrung auf ihren historischen Standpunkt. Wer benutzt wann welche Mikrophone, wo werden diese Lautsprecher heute noch gebaut, was sind digitale Häppchen? Villalobos erzählt die Geschichten, die mit den einzelnen Klangapparaturen verbunden sind, und demonstriert ihre Funktionsweisen, in dem er einzelne, isolierte Klänge aus den Karajan-Aufnahmen bearbeitet. Dem Zuschauer bleibt, der Unsichtbarkeit dieser Vorgänge entsprechend, zu hören. Wo die Ursache des Gehörten sich nicht im Index einer mechanischen Handlung visualisiert, bleibt ein Freiraum für Reflektion. Der Musiker selbst befindet sich in einem Zustand der Interpassivität, er ist zwar verantwortlich für das Funktionieren der Maschinen, hat die Klangerzeugung selbst aber an diese delegiert. Villalobos blickt den irgendwo hinter der Kamera befindlichen Karmakar an, beide schweigen, beide hören zu. Jeden Moment nehmen sie ihr Gespräch wieder auf, Villalobos erklärt sein Modularsystem, erwähnt den geringen Anschaffungspreis der Module, sogar ein Student könne sich jeden Monat eines anschaffen und experimentieren. Karmakar will mehr wissen, lässt ihn im Kabelgewirr des Modularsystems herumstöpseln, versucht zu verstehen, wie es funktioniert. Was passiert da drinnen, wenn der Musiker nicht mehr da ist? Villalobos schaltet den Strom ab. Immer noch ertönt ein vielstimmiges Geräusch, er ist sich nicht sicher, ob das jetzt Musik ist oder nicht, zumindest ist es da und es klingt. Merklich erstaunt und begeistert von diesem Effekt fragt Karmakar, was sich hinter der Wand des Systems befindet. Villalobos ist verdutzt. Was soll da sein? Er steht auf, blickt über den Rand der Konstruktion, lacht. Da ist nix.
Noch bevor sich an dieser Leerstelle etwas zu mythifizieren beginnt, arbeitet der Film weiter am Logos: Schnitt in den Club, die Panorama Bar, wo ein paar Decksharks den DJ belauern. Die Kamera ist so eingerichtet, dass nur die direkt am Mischpult Stehenden zu sehen sind, kein Überblick über den Raum wird gegeben, kein Erfassen der Atmosphäre wie in der Eröffnungssequenz. Plötzlich eine Stille, die Körper bewegen sich weiter, ganz dumpf ist die Musik noch zu hören. Villalobos wechselt gerade die CD. Dann legt er eine neue ein. Wieder Musik in voller Lautstärke, bloß asynchron zu den Bewegungen der Tänzer. Was ist hier los? Dann greift Villalobos zum CD-Player und variiert die Geschwindigkeit der CD, die er als nächstes spielen wird. Jetzt wird deutlich: was wir hören, ist Pre-Fade-Listening, der Kanal, auf dem der nächste Track vorgehört werden kann, bevor er mit dem aktuellen im Übergang zusammen gemischt wird. Die Strapaze dieser audiovisuellen Erfahrung, in der Synchronität und Asychronität von Bild und Ton letztlich synchrone Bestandteile eines Ganzen werden, liefert eine sinnliche Evidenz der Arbeit des DJs. Die zeitliche Kontinuität, die im Mix entsteht, die potentielle Unendlichkeit, das Verschwinden von Anfang und Ende aus der Dramaturgie dieser Nächte und Tage, verdankt sich der Angleichung verschiedener Zählzeiten.
Villalobos verschafft unterschiedliche Aspekte des Auflegens und arbeitet so heraus, wie sehr jede Performance durch das Umfeld, in dem gefeiert wird, geformt ist: ein Auftritt vor Tausenden auf dem Sonar Festival, die teuren Nächte in den Mega-Diskotheken auf Ibiza, die Insiderpartys in Berlin. Immer wieder wird Villalobos dazu in improvisierten Interview-Situationen vor Ort befragt. Der Einsatz der Videotechnik hat dem Filmemacher offenbar gestattet, in jeder möglichen Situation, allein oder im Team, zu arbeiten. Der Schnitt ist dabei das Ordnungsprinzip, das die disparaten Segmente des Films so aneinander fügt, dass sich dennoch Verknüpfungen ergeben, Abfolgen von Intensitäten. Hervorgebracht von Romuald Karmakar und seinen MitarbeiterInnen aus einer Welt, die in den allermeisten Medialisierungen weitestgehend unverstanden geblieben ist, sind die Cutter Robert Thomann und Karin Nowarra die DJs dieses einzigartigen Bild– und Klangmaterials, das sie zu einem Film formen, der beides ist: dichter, informativer Text und energetischer, affektiver Sinnesrausch.