30. September 2015
Im Bronitzer Wald Filmhinweis für Berlin: Der letzte Jude von Drohobytsch (2011) von Paul Rosdy
«In einem kleinen Café in Hernals spielt’s Grammophon mit leisem Ton an English-Waltz», diesen Moment, der in einem Wienerlied von Hermann Leopoldi und Peter Herz beschworen wird, würde man wohl kaum mit einem der vielen Todesmärsche gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Verbindung bringen. Aber Alfred Schreyer erzählt davon, dass selbst in extremis etwas Tröstliches von der Musik ausging, und die Behauptung eines neben ihm gehenden Mannes, er wäre ein Opernsänger, hat ihm das Leben gerettet. Er wurde, zu Tode erschöpft, in einen Graben gestoßen und nicht erschossen. Damit wurde er zu einem Zeugen.
Paul Rosdys Der letzte Jude von Drohobytsch ist vollständig Schreyer gewidmet, ein Film, der die persönliche und die Familiengeschichte eines Überlebenden zum Ausgangspunkt einer Erzählung von den Verlusten und historischen Umbrüchen nimmt. Rund um Drohobytsch, zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Zentrum der westukrainischen Ölindustrie, wurden Juden 1943 in vielen Fällen in den Wäldern erschossen. Schreyers Vater starb schon 1942 in Belzec, seine Mutter entkam einem Transport und starb im Bronitzer Wald.
Schreyer überlebte auch deswegen, weil er arbeiten konnte. Das Tischlerhandwerk hatte ihm der Dichter Bruno Schulz beigebracht, der in Drohobytsch als Lehrer tätig war und 1942 von der Gestapo erschossen wurde. Schreyer kam nach dem Krieg über das Baltikum in seine Heimatstadt zurück, und arbeitete danach lange als Sänger eines Kinoorchesters. Aber auch in der Sowjetunion hatte er unter Antisemitismus zu leiden, seine Frau wurde schikaniert, weil sie mit einem Mann verheiratet hatte, der einen Rabbiner in der Familie hatte.
Der letzte Jude von Drohobytsch ist ein einfach gehaltener Zeugnisfilm, der nicht zuletzt von den vielen Fotografien lebt, zu denen Rosdy gelegentlich direkte Entsprechungen in der Gegenwart sucht: Wo früher eine «Apteka» war, ist nun ein Adidas-Geschäft.
Zum Schluss geht Schreyer in den Bronitzer Wald, und dann singt er noch ein Lied, das er über den «Bronyzkyj Lis» geschrieben hat.
Das Arsenal zeigt Der letzte Jude von Drohobytsch am Donnerstag, 01.10., zum Auftakt des zweiten Teils der Reihe Asynchron - Dokumentar- und Experimentalfilme zum Holocaust. Paul Rosdy wird als Gast erwartet
Lektüreempfehlung: Martin Pollack, Galizien, Insel Taschenbuch enthält ein Kapitel über Drohobycz, das «galizische Pennsylvanien»