dokumentarfilm

11. August 2012

Megacity of God Dokumentarfilm: Lagos – Notes of a City

Von Bert Rebhandl

«99 Prozent der Informationen über Afrika sind falsch», rief der nigerianische Superstar Fela Kuti 1978 bei einem Auftritt in Berlin in die Menge. 33 Jahre später zitiert Jens Wenkel diesen Moment zu Beginn seines Dokumentarfilms Lagos – Notes of a City. Darin liegt ein nicht geringer Anspruch, denn Sinn macht die Berufung auf Fela Kuti nur, wenn hier tatsächlich etwas von dem einen Prozent korrekter Information über Afrika zu sehen ist, das der politische Musiker einzuräumen bereit war. Der im Untertitel auftauchende Begriff der «Notizen» oder «Anmerkungen» ist dazu eine passende Einschränkung.

Denn wie soll das gehen, eine Metropole wie Lagos zu schildern? Ein Film kann allenfalls ein paar Ausschnitte zeigen, Szenen, die sich ergeben aufgrund von Kontakten oder Umständen, von denen wir nichts erfahren. Sie bleiben im Off, der Film (Kamera: Thomas Plenert) geht einfach hinein in das Geschehen vorwiegend auf den Straßen von Lagos. Die mächtigen Stadtautobahnen auf Betonstelzen sind ein markantes Element in der Landschaft, eine Frau sagt, «they want to make it like America». Sie weiß Bescheid, sie hat in Los Angeles gelebt.

Im Schatten der Verkehrsadern treiben die Menschen ihre Geschäfte. Während ein Generator repariert wird, predigt ein Mann im rosa Hemd von Jesus: «divine enablement» direkt neben dem Versuch, vorhandene Gerätschaften in Funktion zu halten. Religion spielt eine wesentliche Rolle, die christliche stärker als der Islam; und die Musik der Erben von Fela Kuti ist ebenfalls zentral. Zwischen diesen beiden Polen liegt eine der Spannungen des Films, denn während die Musiker (prominent: Femi Kuti) sich für Gerechtigkeit aussprechen und gegen die Mentalität der Bereicherung angehen, hat die Religion nur Trost bereit: «Only God can consider you in this country», denn «no one will help», wenn ein Unglück eintritt.

Eine HIV-positive Frau erzählt davon, wie sie bei der Geburt ihres Kindes im Krankenhaus einfach allein gelassen wird – der versprochene Kaiserschnitt, der die Übertragungsgefahr auf das Kind hätte reduzieren können, wird nicht ausgeführt. Wenkel zeigt aber nicht nur die Armen und Ärmsten, die behinderten Parasoccer-Spieler, die auf ihren fahrenden Brettern auf Straßen- und Abgasniveau durch die Stadt unterwegs sind, er zeigt auch die neue Mittelklasse, Leute, die vom Studium im Westen zurückgekehrt sind, wie Abimbola Phillipps, die stolz ihre Birkenstock-Sandalen zeigt («the BMW of footwear»). Sie arbeitet als Beraterin für Kunstsammler, das erfährt man aber erst im Abspann.

Vieles bleibt implizit, der Film sucht nicht nach Zusammenhängen, und doch ergibt sich aus dem Nebeneinander der Notizen ein plausibles Bild. «I believe I will make it», sagt ein junger Mann gegen Ende. Er sieht sich der Stadt gewachsen, doch ob er sich nur Mut zuspricht oder ob er wirklich eine Chance ergreifen kann, das muss so offen bleiben wie der ganze Film.

Lagos – Notes of a City (D 2011, Regie: Jens Wenkel) läuft am 11.08. um 16.00 Uhr und am 14.8. um 20.00 Uhr im fsk-Kino in Berlin im Rahmen der durchgehend sehr interessanten Dok Film Woche