dokumentarfilm

25. Juli 2009

Außenseiter RIP Peter Krieg

Von Ekkehard Knörer

In einem Artikel in Brand eins – auf den ich gleich noch zurückkomme – fasste Peter Lau die frühe Biografie des Peter Krieg so zusammen:

Er kommt aus Schwäbisch Gmünd, sein Urgroßvater war Baumeister am Straßburger Münster, sein Großvater erfand den Schnellhefter und gründete die Glühlampenfabrik Südlicht, die sein Vater übernahm. Peter Krieg, der Sohn, ging nach einem Jahr BWL und VWL als Reitlehrer nach Beirut und Saudi-Arabien, wurde Ende der sechziger Jahre Mitglied des US-Filmkollektivs Newsreel, studierte danach an der Film- und Fernsehakademie Berlin und gründete anschließend eine Firma, die unabhängig Dokumentarfilme produzierte.

Peter Krieg, der als Wilhelm Gladitz geboren wurde und den Nachnamen seiner Mutter als Künstlernamen wählte, weil auch seine Schwester Nina Gladitz Filmemacherin wurde. war vielen verdammt unbequem. Nestlé zuerst, sein Film Flaschenkinder von 1975 prangerte den Milchpulver-Missbrauch des Konzerns – was einen Boykott gegen den Konzern auslöste. Sein erster im Kino und Fernsehen gezeigter Film Septemberweizen (1980) war eine Collage, die radikal das Funktionieren der globalen Nahrungsmärkte in Frage stellte – und in der Montageform das Vokabular des aktivistischen Dokumentarfilms erweiterte. Krieg erhielt den Adolf-Grimme-Preis für den Film. (Produziert hatte ihn Das Kleine Fernsehspiel des ZDF, damals noch eine Redaktion von, man verzeihe das Wortspiel, anderem Schrot und Korn.) Septemberweizen ist in schlechter Qualität bei Google Video zu sehen. Die DVD gibt es bei Salzgeber, hier der Link zum Shop.

Danach entstanden eine ganze Reihe weiterer Filme, wie etwa das Science-Fiction-Mockumentary Bericht von einem verlassenen Planeten (1984). Spätestens mit seiner mir unbekannten Mythen der Modern-Trilogie (Vaters Land, Die Seele des Geldes, Maschinenträume) filmt sich Krieg an den äußeren Rand des öffentlichen Diskurses. Seine Karriere als Dokumentarfilmer endet zu Beginn der Neunziger Jahre, ein Film über Entwicklungshilfe in Afrika wird von Arte nicht gesendet. In einem Interview erklärt er:

Es war relativ schnell klar, dass ich mit kritischen Filmen keine Chance mehr bei öffentlich rechtlichen Anstalten habe, bei den privaten sowieso nicht. Seitdem habe ich nur noch ein bisschen produziert, aber jetzt versuche ich, langsam wieder rein zu kommen. Aber die Fernsehanstalten sind im Moment hermetisch zu und weitestgehend dissensfrei. 

Die zunehmende Marginalisierung hat sicherlich auch damit zu tun, dass Krieg für keine der gängigen ideologischen Positionen mehr kommensurabel ist. Er hat den Radikalen Konstruktivismus für sich entdeckt, sich mit Heinz von Foerster angefreundet, sogar ein Buch gemeinsam mit Paul Watzlawick herausgegeben. Und er hatte von dieser Position aus seine eigenen früheren Positionen a ls radikal libertär – und damit auch radikal anti-interventionistisch und radikal-marktwirtschaftlich – (um)interpretiert. Er selbst formuliert es im späten Kommentar zu Septemberweizen so, der Anlass war, dass Salzgeber den Film 2006 noch einmal in die Kinos gebracht und auf DVD veröffentlicht hatte:

Erst später wurde mir selbst deutlich, dass mein Weg in Richtung eines philosophischen radikalen Konstruktivismus hier bereits angelegt war. Fast notwendigerweise damit verbunden war der politische Weg in Richtung der«Selbstheilungskräfte» einer offenen Gesellschaft, vermittelt und ermöglicht durch weitestgehende individuelle Freiheit einschließlich freier Märkte in einer offenen, globalisierten Welt. Diese libertäre (heute gern als ‚neoliberal’ verunglimpfte) Perspektive erscheint nur vordergründig als Widerspruch zum Tenor von SEPTEMBERWEIZEN: es waren deutlich die staatlichen macht- und marktpolitischen Interventionen (nicht nur der USA), die den Markt für die Farmer verzerrten, die Überlebensstrategien der Bewohner in der Dritten Welt bedrohten und Weizen als Waffe im kalten wie im heißen Krieg missbrauchten. Dies galt damals genauso wie heute.

Im anfangs erwähnten Brandeins-Artikel figuriert Peter Krieg dann als Propagator der Ideen von Erez Elul, der einen vom Mainstream als unbrauchbar abgetanen Vorschlag zu neuartiger Datenverarbeitung entwickelt hatte. Krieg, der inzwischen (sagt der Artikel) unter anderem als Event-Organisator tätig war, hat sich in den letzten Jahren bemüht, der Pile-Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. Mehr zu dem Projekt hier, und man muss sagen, dass nicht nur die vielen Ausrufezeichen auch den Laien leise zweifeln lassen.

Über Erez Elul sagte Krieg: «Er hat genau die richtige Mischung für einen Innovator: verrückt genug, aber nicht zu verrückt.» Krieg war einer, der, weil er für das Ungewöhnliche, vielleicht auch Verrückte, jedenfalls für das Ungebahnte offen war, vom Aufmerksamkeitsradar des Diskurs- und Kulturbetriebs fiel. Peter Krieg ist nach einer schweren Operation im Alter von nur 61 Jahren gestorben.