23. Juni 2012
Sex in der Wüste Dokumentarfilmhinweis: Ralf (2012)
Das Edelweiss im Görlitzer Park in Berlin bietet eine Terasse, ein Restaurant, einen Club und einen Partygarten. Und es bietet ein Berliner Original: Ralf, 47, Hausmeister, zuständig für Getränkenachschub und Toilettenabfluss. Dieser Ralf steht im Mittelpunkt eines Dokumentarfilms des Red Dragon Film Collectives, der durch seine Unmittelbarkeit besticht – und auch Fragen aufwirft über das Ethos der Beobachtung von «schwierigen» Menschen. Dass Ralf so jemand ist, wird schon nach wenigen Minuten deutlich: Er ruft einer vorbeifahrenden Frau ein dreckiges Wort hinterher, sie kehrt um und konfrontiert ihn, lässt aber schnell wieder von ihm ab. Es ist klar, dass dieser Ralf in seiner eigenen Welt lebt, und er die Dinge und Leute nur bedingt an sich heranlassen kann. Sein stechender Blick ist nur das äußere Zeichen einer intensiven Persönlichkeit, sein manchmal kaum verständliches Selbstgespräch zeugt ebenfalls von einer Distanz zur Außenwelt, die mehrfach verächtliche Züge annimmt (und die Kamera nimmt das alles mit, wenn er obszöne Gesten in Richtung eines Mädchens macht, das gerade nicht hersieht).
Sex ist das Hauptinteresse von Ralf, der Filmtitel geht mit einem Zitat des Ideal-Klassikers Sex in der Wüste darauf ein. Vage wird ein Beziehungsleben deutlich, aus dem Ralf gerade hinausfällt: die Freundschaft zu Katja, die so eng ist, dass Sex sich verbietet; das Ende der Beziehung zu Carmen, das ihn auch vor die Frage stellt, wo er künftig wohnen soll (wir sehen in mehrfach in einem Hostel, ein Wegzug aus Kreuzberg verbietet sich, weil er nur hier die «geile Bearbeiterin im Job-Center» hat, die einen großzügigen Umgang mit ihm pflegt); eine unsichtbar bleibende Oksana aus der Ukraine, von der er nicht weiß, ob sie «ehrlich» mit ihm ist oder ihn nur ausnützt. Dazwischen gelegentliche Andeutungen vom schnellem Sex, und viel Nachtleben: «This is Kreuzberg 2012».
Der Film ist manchmal provozierend in seinen Ellipsen, vor allem dort, wo die stark auf und durch Ralf fokussierte Perspektive die zufällig ins Bild kommenden Leute gleich zu potentiellen Sexualobjekten macht: drei Frauen beim Baden, Ralf macht sofort eine einschlägige Geste, nach dem nächsten Schritt sind die Frauen schon am Aufbrechen, mehrere Stunden später offensichtlich. Was dazwischen vorfiel, müssen wir nicht wissen, aber es bleibt die Frage – wie gerät man in einen solchen Film? Und wie kommt man wieder heraus? (Eine einzige Frau hat anscheinend darauf bestanden, dass ihr Gesicht unkenntlich gemacht wurde.)
Zu der Wohnungsnot kommt auch eine chronische Geldnot, die dadurch verschärft wird, dass Ralf Kokain braucht. Ständig verkauft er Uhren, Telefone, manchmal auch Nahrungsmittelzusätze, die er für Drogen ausgibt. Er ist ein klassischer «Hustler», der in Kreuzberg entlang der Oranien- und Wienerstraße seine Gegend gefunden hat.
Wie sich das ergab, wäre interessant, denn in einer der seltenen biographischen Andeutungen des Films wird klar, dass er ursprünglich aus Lichtenberg stammt, ohne Mutter aufwuchs, mit 18 noch in der DDR in Haft musste (wofür, bleibt unklar), und mehr als zehn Jahre saß. Ralf. Sex in der Wüste endet ziemlich schonungslos mit einem Bild des schlafenden und schnarchenden Protagonisten – seine Atemwege sind vom Koksen angegriffen. Wir waren eine Weile in seiner Gesellschaft, jetzt müssen wir ihn allein lassen in seinen unruhigen Träumen.
Ralf. Sex in der Wüste läuft in Berlin im Lichtblick-Kino