dokumentarfilm

19. Februar 2010

Systemperforation Die große Fahrt der DDR-Kunst nach Paris anno 1990

Von Bert Rebhandl

Im Jahr 1990 hatten Künstler der DDR noch einen Begriff davon, was da gerade im Begriff war, aus der Geschichte zu verschwinden: eine «subversive Gegenkultur des Ostens», eine «randständige» Kultur, an der sich die Menschen in einer westlichen Metropole wie Paris schnell noch sattsehen wollten. 200 künstlerisch Schaffende wurden 1990 in die ehemaligen Schlachthöfe von La Villette eingeladen, viel Zeit zur Vorbereitung war da nicht. Die Schau hieß L’autre Allemagne hors les murs, das andere Deutschland, ohne Mauern. Christoph Tannert war der Ansprechpartner in der DDR, aus Frankreich hatte sich der linksradikale Journalist Maurice Najman gemeldet, gleich nach dem Fall der Berliner Mauer.

Eine Gruppe von Filmemachern war damals mit der Kamera dabei, daraus entstand ein fünfzigminütiger Dokumentarfilm, für den heute Gerd Kroske (Der Boxprinz) als Autor genannt wird. La Villette hat diesen Moment eingefangen, in dem das andere Deutschland nach Paris fuhr, um dort die (hastig aufgebaute) große Bühne zu betreten: Maler, Tänzer, Musiker, Fotografen, eine Gruppe von «Autoperforationsartisten». Jürgen Böttcher, der sich als Maler Strawalde nennt, ist die prominenteste Figur, er ist in seinem kleinen Atelier zu sehen und malt dann in Paris gleich viel großformatiger und live.

Es ist spannend, die Liste der vertretenen Namen abzugleichen mit der Gegenwart von 2010: Klaus Killisch, Trakia Wendisch, Conny Hege, Michael Brendel, Volker Via Lewandowsky, Volker Henze, Allerleirauh, Helga Paris, Joachim Damm, … An einer Stelle kommt der französische Kulturminister Jack Lang und lässt sich durch die Ausstellung führen – man sieht, dass hier tatsächlich Systeme aufeinandertreffen. Gerd Kroske und die Leute der DEFA-Gruppe Kinobox, die La Villette unterschrieben haben, griffen auf Lautréamonts Gesänge des Maldoror zurück, um ihr Paris zu fassen, ein Paris, das durch das Imaginäre von Literatur und Film geprägt ist (George Franjus Dokumentarfilm über die Schlachthöfe, Le sang des betes, darf nicht fehlen), und das mit dem Prenzlauer Berg verwechselbar wird: Die U2 führt direkt nach Montparnasse.

La Villette ist derzeit täglich um 20.30 in der Brotfabrik, Berlin-Weißensee, zu sehen