dokumentarfilm

15. April 2018

Uneinigkeit und Recht und Freiheit Filmhinweis für Berlin: Montags in Dresden (2017) von Sabine Michel

Von Bert Rebhandl

© Sabine Michel

 

Einigkeit, Recht, Freiheit: drei Begriffe, drei Farben (schwarz, rot, gold). In Dresden machen Menschen die Runde, die fragen, was denn «davon noch übriggeblieben» ist. Sie verteilen symbolische Farben (die Flaggenfarben der Bundesrepublik Deutschland), und Worte aus der Bundeshymne, weil sie meinen, dass Einigkeit und Recht und Freiheit in Deutschland bedroht sind.

René Jahn ist einer von ihnen. Er gehört auch zu dem Zwölferkreis hinter der Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). Jahn ist einer von drei Protagonisten in dem Dokumentarfilm Montags in Dresden von Sabine Michel. Montags demonstriert in Dresden die Pegida. Sabine Ban nimmt regelmäßig an diesen Märschen teil, auch sie lernt man in dem Film näher kennen. Und dann noch Daniel Heimann, einen Unternehmer, der in Pirna eine eigene konservative Bewegung unterhält: Pro Patria Pirna. Das Lateinische ist Programm. Heimann ist Katholik, er sieht sich in der Tradition des gekreuzigten Jesus, zeigt diesen Jesus aber auf einem Plakat als königlichen Triumphator.

Im November 2017 hatte Montags in Dresden bei Dok Leipzig Premiere. Seither wird darüber diskutiert, ob es angebracht ist, drei Menschen so ausführlich zu zeigen, die deutlich, wenn auch auf jeweils unterschiedliche Weise der politischen Rechten in Deutschland zuzurechnen sind. Ich nehme eine kritische Stellungnahme der Sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland als Beispiel: «Da er (der Film) um Stellungnahme (oder Ironisierung) herumbugsiert, bleibt nur der energische Appell, die existenzielle Verabredung des Kinos mit dem Zuschauer einzuhalten, gerade bei Dokumentarfilmen: genau hinsehen!»

Ich meine, das tut der Film. Ein Beispiel: René Jahn formuliert eine politische Zielvorstellung.«„Ich bin der Meinung, dass Dresden so bleiben sollte, wie es jetzt – noch – ist.» Darauf gibt es eine naheliegende Frage, und Sabine Michel stellt sie auch: «Wie ist es?» Jahn antwortet: «Sehr speziell. Wie eine andere Welt.» Dann erläutert er, dass er das so meint, dass in westdeutschen Metropolen eine «Überfremdung» herrscht, im Vergleich dazu ist Dresden eine «andere» Welt (eine stärker homogene, meine Deutung).

Schon aus diesem kurzen Dialog erfahre ich eine Menge, eine kritische Stellungnahme der Filmemacherin benötige ich nicht (und schon gar keine Ironisierung). Ich treffe hier drei Menschen, deren Meinungen ich nicht teile, deren Begriffen und Deutungen ich gerne etwas entgegensetzen möchte, aber das eben auf Grundlage einer angenommenen gemeinsamen Basis. Ich weiß auch, dass diese Basis dort nicht gegeben ist, wo von Lügenpresse die Rede ist oder wo Menschen versuchen, die Kanzlern aus dem Amt zu brüllen. Aber ich sehe keinen Sinn darin, gegen dieses Brüllen anzubrüllen – oder es zu ironisieren.

Zuerst einmal interessiert mich die andere Position, und die ist naturgemäß in sich differenziert. Das gilt dann in größerem Maß für die gesamte Pegida, deren Name ja schon in sich einen Versuch darstellt, für Ressentiment mit unpassenden Begriffen eine differenzierte Formel zu finden.

«Mich befremdet die Idee nationaler Abschottung», sagt Sabine Michel, die sich im Film nicht oft zu Wort meldet, aber das Nötige sagt, um den Ausgangspunkt ihres Vorhabens klar zu machen: eine Dresdnerin, die aus ihrer Heimatstadt weggegangen ist, kehrt zurück, um sich ein Bild zu machen. Die drei Menschen in ihrem Film haben eines gemeinsam: sie geben sich besorgt. Sie sehen den «Staat als Beute», sie halten einen «Bürgerkrieg» für möglich, sie meinen Defizite in der «Durchsetzung von Recht und Ordnung» zu erkennen. Sabine Ban hortet Lebensmittel, René Jahn träumt von direkter Demokratie, Daniel Heimann achtet darauf, ob seine Arbeitskräfte Schweinefleisch essen.

Ich habe auch meine Regeln, was Schweinefleisch betrifft, sie sind nicht religiös begründet, sondern ethisch, und ich würde sie gern allen aufdrängen, lasse das aber bleiben, schließlich hebe ich diese Regeln selbst bei Gelegenheit auch auf. Montags in Dresden zeigt komplexe Motivlagen, und viele einfache Antworten darauf: in Summe ergibt das eine Beitrag zu einer politischen Auseinandersetzung, von der ich den Eindruck habe, dass sie mit den drei gezeigten Menschen geführt werden könnte. Bei vielen Schreiern habe ich einen anderen Eindruck, und das Gerede von «Rechtsbrüchen» halte ich für überheblich.

Montags in Dresden ist ein Produkt jener immer noch im weitesten Sinne bürgerlichen Öffentlichkeit, deren Einladung zur (skeptischen, kritischen, diskursiven) Teilnahme von vielen Rechten ausgeschlagen wird, weil sie sich damit auf etwas Gemeinsames einlassen müssten, das sie lieber spaltend durch ein kleineres, willkürlich gesetztes Gemeinsames ersetzen. Sabine Michel hat eine Brücke über diese Asymmetrie gebaut, und ich rechne es auch René Jahn (Bild), Sabine Ban und Daniel Heimann positiv an, dass sie über die Brücke nicht Propaganda bringen wollten, sondern dass sie sich auf diesen Film eingelassen haben. Mit Montags in Dresden ist allen Beteiligten ein bisschen geholfen – in Richtung Aufklärung.

PS An einer Stelle von Montags ist Dresden ist übrigens die Filmemacherin Marie Wilke zu sehen, bei den Dreharbeiten zu Aggregat. Dass sich diese beiden Filme, die so unterschiedliche Ansätze haben, hier kreuzen, zeugt für mich nicht davon, dass sich der deutsche Dokumentarfilm hier auf ein opportunes Thema stürzt, sondern dass es eine angemessene Vielfalt von Strategien der Wahrheitsfindung in diesem Zusammenhang gibt.

Montags in Dresden läuft beim Festival ACHTUNG BERLIN (hier die Termine)

Hier noch ein lesenswerter Text von Annett Gröschner