14. November 2008
Wahlkampf – Dokus Ein Blick zurück auf die Geschichte der Wahlkampf-Dokus, beginnend mit Robert Drews Primary, dem «Film, der die Geschichte des Kinos für immer verändert hat»
Als ich in einem Interview den großen amerikanischen Dokumentarfilmer Frederick Wiseman fragte, wie er für seinen Film State Legislature so nahe an die Politiker, die er da porträtiert, herangekommen sei, meint er: Politik ist ihrer Natur nach eine transparente Angelegenheit. Es sei darum doch eigentlich der PolitikerInnen Pflicht und Schuldigkeit, der Öffentlichkeit Einblick in ihre Arbeit zu geben.
Für Deutschland, wo im Kontakt zwischen Journalisten und Politikern die Formel «Unter drei» regiert, hat sich diese Einsicht noch lange nicht durchgesetzt. In den USA gibt es allerdings eine lange Tradition des politbeobachtenden Dokumentarfilms. Genauer gesagt: des wahlkampfbeobachtenden Films als direct cinema. Das bis heute berühmteste Beispiel ist Robert Drews Film Primary. der während der demokratischen Vorwahlen zwischen den Kandidaten John F. Kennedy und Hubert Humphrey entstand. (In diesem Jahr hat Drew unter dem Titel A President to Remember: In the Company of John F. Kennedy einen Rückblick auf seine Begegnungen mit Kennedy und auf den eigenen Film gedreht.)
Ebenfalls und zu recht sehr berühmt: War Room, in dem die direct-cinema-Klassiker Chris Hegedus und D.A. Pennebaker die erste Clinton-Kampagne beobachten. Eine aufschlussreiche medienkritische Variation über den 92er-Wahlkampf ist Brian Springers «Spin», der über Satellitenfeeds zugängliches, aber nie gesendetes Fernsehmaterial von Politikerauftritten zeigt und analysiert, wie die Technik des «Spin» funktioniert, mit der man Interviews und Botschaften in die eigenen Richtung dreht. (Auf YouTube: Teil 1, Teil 2, Teil 3.)
Eine höchst sehenswerte Mutation des Genres ist Robert Altmans mehrteiliges, für den US-Pay-TV-Sender HBO gedrehtes Mockumentary Tanner (1988). Altman versetzt in dem während des realen Wahlkampfs gedrehten Film reale Kandidaten wie den damals aussrichtsreichen Gary Hart in ein fiktives Szenario, in dem Michael Murphy den Präsidentschaftskandidaten Tanner spielt. 2004 gab es die Fortsetzung Tanner on Tanner – beide Filme übrigens nach Drehbuch von Garry «Doonesbury» Trudeau. Tanner on Tanner zeigt, um das Meta vollzumachen, die Entstehung eines Dokumentarfilms, den Tanners Tochter (gespielt von Sex and the City-Star Cynthia Nixon – keine Verwandtschaft mit Richard!) über den – Spoiler! – gescheiterten 88er-Wahlkampf ihres Vaters dreht.
In einem offenbar ähnlichen Mischungsverhältnis von fiktivem und realem Material versucht sich die mir bisher nicht bekannte, sechs Episoden umfassende Serie Staffers, die den Alltag von Mitarbeitern der unterschiedlichen demokratischen Vorwahl-Kampagnen von Wesley Clark, John Kerry, Howard Dean u.a. (Honi soit qui «West Wing» pense.)
Im Jahr 2000 war Alexandra Pelosi – ja, die Tochter der als Scharfmacherin verschrienen demokratischen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi – mit George W. Bush unterwegs. Die gemeinsam mit Aaron Lubarsky gedrehte Doku über den am Ende erfolgreichen Wahlkampf trug den Titel Journeys With George, lief 2002 im US-Fernsehen, wurde sehr für ihre Unvoreingenommenheit gelobt und bekam ein paar Emmys. Die Demokratin Pelosi war auch in diesem Jahr wieder aktiv und hat diesmal den republikanischen Kandidaten John McCain begleitet.
Der eigentliche Coup jedoch ist, dass ein Dokumentarfilmteam auch Barack Obama exklusiv begleitet hat, und zwar seit 2006. Der Schauspieler Edward Norton ist frühzeitig als Produzent in das Projekt eingestiegen, als Regisseurinnen zeichnen die Kamerafrau Amy Rice und die Produzentin Alicia Sams, die bereits bei Tanner on Tanner und bei der 2004-Wahlkampf-Doku Election Day (2007) ihre Finger im Spiel hatte. Über den aktuellen Stand bei diesem bisher noch titellosen Film berichtet in ihrer gestrigen Ausgabe die New York Times. Ausgestrahlt wird er auf HBO, aber nicht vor Frühling oder Frühsommer 2009.
Links:
Bert Rebhandl in der Berliner Zeitung über State Legislature
Ekkehard Knörer beim Perlentaucher über State Legislature
Interview mit Frederick Wiseman in der taz