dokumentarfilm

7. April 2012

We Own The Night Zu Ivette Löckers Nachtschichten

Von Simon Rothöhler

© Ivette Löcker

 

Nachtschichtmenschen bringen sich um den Schlaf, arbeiten, wachen in der Nacht. Der Kältebus sammelt Obdachlose ein; Sprayer streifen durch Weißensee, Polizeipiloten richten Wäremebildkameras auf ihre Bewegungen und detektieren doch nur Wild. Dazwischen beleuchtet der Helikopter ICE-Gleise nach einem Suizid; eine fliegende Taschenlampe, die ungerührt in der Luft steht und einen weiß glimmenden Toten als Digitalbild präpariert. Eine Frau vom Wachschutz lauert Kupferdieben auf und behält die Füchse am zugefrorenen Westhafen im Auge. Während in den Clubs der Stadt die Temperatur steigt, legen sich die, die nicht mehr dazugehören, sorgfältig Schlafmatten aus Boulevardzeitungspapier aus. Wer nicht im «Warmen Otto» unterkommt, wer auch die andere Schlafstätte am Mehringdamm nicht kennt, ist froh, wenn wenigstens der Geldautomatenraum der Sparda-Bank die Nacht über unverschlossen bleibt. Ein, zwei Stunden kann man hier bleiben; in träger Mechanik schwenkt die Überwachungskamera hin und her. Extrem präzise, in kühlem Rhythmus montierte und doch empathiefähige Bilder zeigen: Die Nacht wird beherrscht von Apparaten der visuellen Aufklärung und Einzelgängern, die die Gesellschaft bei Tag nicht mehr aushalten. Es geht um Sichtweisen der Nacht, um die Frage, welche Projektionen in sie investiert werden können. 

Auf Ivette Löckers herausragenden Dokumentarfilm Nachtschichten (AU 2010) – der für meine Begriffe auch einen Einspruch gegen die panoramatische Indifferenz des neueren Dokumentarfilms formuliert – bin ich dank eines Hinweises von Lukas Foerster gestoßen; zu sehen ist er aufgrund eines fast schon klandestin zu nennenden Kinostarts weit draußen, am Ostkreuz. Das Kino dort heißt «Zukunft».