1. Februar 2015
Zeuge der Anklage Fritz Bauer – Tod auf Raten (2010) von Ilona Ziok im Lichtblickkino
Fritz Bauer (1903 – 1968) war so etwas wie die Leitfigur des deutschen Kinojahrs 2014. Es gab einen für meine Begriffe herausragenden Film, der ihm gewidmet ist: Phoenix von Christian Petzold. Und es gab einen für meine Begriffe naiven, alles auf die falsche Seite drehenden Film, in dem Gert Voss den Generalstaatsanwalt spielte, der die Auschwitz-Prozesse initiierte: In Im Labyrinth des Schweigens musste es allerdings unbedingt ein blonder Jüngling sein (Goethe, wenn er denn mit der Juristerei weitergemacht hätte!), von dem die eigentliche Bewegung ausgeht.
Nun läuft der Dokumentarfilm Fritz Bauer – Tod auf Raten (2010) von Ilona Ziok wieder für ein paar Tage in einem Berliner Kino. Er gibt Gelegenheit, sich ein Bild von diesem Mann zu machen, der zwischendurch einmal als «der größte lebende Zeuge für ein besseres Deutschland» bezeichnet wird. Im Untertitel steckt eine Suggestion: Tod auf Raten, das heißt, dass Bauer am Ende vielleicht doch noch dem System zum Opfer fiel, dem er 1936 durch Emigration nach Dänemark entkam.
1949 kam er nach Deutschland zurück, er wurde Landgerichtsdirektor in Braunschweig. Den Satz «Die Würde des Menschen ist unantastbar» (Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes) ließ er deutlich sichtbar an die Außenwand anbringen, erstaunlicherweise gab es dagegen Widerstände. In Braunschweig war er 1952 Ankläger in einem Prozess, der zur Rehabilitierung der Widerstandskämpfer führte, und zu der Definition des nationalsozialistischen Systems als «Unrechtsstaat». Eichmanns späterem Satz «Auch die Untergebenen sind jetzt Opfer» war damit die prinzipielle Grundlage entzogen.
Ilona Ziok lässt zahlreiche Zeitzeugen zu Wort kommen (darunter auch Thomas Harlan), mit Archivmaterial von Fritz Bauer geht sie eher sparsam um (hauptsächlich ein Kellerclub im HR von 1964, interessant auch als historisches Zeugnis damaliger Talk-Formate), die zuletzt wieder kontrovers diskutierte Frage nach Bauers jüdischem Selbstverständnis kommt gar nicht vor, es sei denn, man erachtet eine Anekdote aus der Kindheit dafür als ausreichend. Der sechsjährige Junge wendet sich an seine Mutter mit der Frage: «Was ist eigentlich Gott?» Die Mutter kann das nicht beantworten, und gibt einen praktischen Ratschlag: In allen Fällen gilt der Satz «Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.»
Mit dem sogenannten Dreher-Gesetz wurde 1968 die Verjährungsfrist für NS-Verbrechen neu festgesetzt, eine Strafverfolgung war nun in den allermeisten Fällen nicht mehr möglich. «Bauer stirbt zwei Monate später», sagt Thomas Harlan mit eindeutiger Implikation. Ilona Ziok will danach zumindest nicht auf symbolischen Trost verzichten, und lässt zum Abspann I did it my way laufen. Sie hätte besser den Wunsch von Fritz Bauer nachklingen lassen: «Wenn doch endlich einmal ein menschliches Wort fiele.» Dass es nicht fiel, hat mit einer Nachkriegsgesellschaft zu tun, die Ilona Ziok eher schematisch in den Blick bekommt, weil ihr in erster Linie an der Isolierung und Heroisierung Bauers liegt.
Ich werde mir deswegen als nächstes die Gespräche, Interviews und Reden ansehen, die das Fritz Bauer Institut auf 2 DVDs herausgebracht hat.
Fritz Bauer – Tod auf Raten, Lichtblickkino Berlin, Sonntag 01.02.2015 um 18 Uhr in Anwesenheit von Ilona Ziok