24. Oktober 2019
Double Feature (4) Lemke | Handke
Taxi, Flughafen, Zug, plötzlich New York: Hubschrauber fliegt um die gerade fertiggestellten ragenden Kratzer des World Trade Center herum. 1973. Paul Lyss chronologisch zwischen Rocker, für den ihn Lemke entdeckte, und Paul, dem Lemke-Film in einer Liga für sich, dieser Paul hier Hamburger Seemann mit Hamburger Schnauze, ganz weich im Gesicht, zart im Herzen auch, aber partout will er nicht, was Sylvie von ihm will: ins Bett mit ihr, irgendwo zwischen Taxi, Flughafen, Zug und New York. Ins Bett geraten sie zwar, wieder und wieder, müde oder besoffen oder besoffen und müde, sie dreht es einmal und zweimal und dreimal so hin, aber nach Sex mit ihr ist ihm nicht. Er will sich auch partout nicht verlieben, so seltsam das ist. Sylvie ist eine völlig unprüde Boy-Meets-Girl-Story über zwei, die viel Zeit miteinander verbringen, aber kein Paar werden, keinen Sex haben und es ist am Ende nur ein bisschen ein Drama.
Drüben (New York) Fotoshootings, auf dem Dach des World Trade Center, Helikopterflug, Zoom, Annäherung, ganz großes Kino, auf den Straßen Manhattans geraten sie irgendwie zwischen Polizisten, ist das improvisiert, ist das gespielt, wenn ja, wie hat Lemke das wieder angestellt, wie zum Teufel hat er die Rechte für den Helikopterflug bekommen, man kann über all das nur staunen; hüben (München) die Mama von Paul, die hilflose Suche nach Grünwald, zwischendurch für 81 Mark das New-York-Telefonat, hin geht es, her geht es, dazwischen wie freigestellt die Gesichter, die Gesten, die Sätze der Nicht-Schauspielerin Sylvie Winter, des Nicht-Schauspielers Paul Lyss, sogar Voice-Over zwischendurch, aber noch das funktioniert hier anders, als man es kennt, denn in ein Off zum ständigen On dieses Films gerät man dadurch auch wieder nicht.
Sylvie ist ein Hoppelpoppel (ganz anders als Handkes ohnehin völlig gegensätzlich gestimmte Linkshändige Frau, ein Film, der mit dem von Lemke interessanterweise den Schnittmeister teilt, nämlich Peter Przygodda), ein heterogenes Nebeneinander der Töne, Bilder, Szenen, Städte, immer in Bewegung, Tempowechsel, poppig bunt alles (jedenfalls in der Youtube-Version, die als einzige verfügbar ist), die grünen Augen von Paul, eine Wurst hier, eine Wurst da, Sylvie ist für den feinen Pinkel (Ivan Desny), der sie heiraten will, nicht die Richtige, Champagner hin, Champagner her.
Die Bewegung des Films ist ruckartig eher als kontinuiert, holpert über die Schnitte wie über Stöcke und Steine, kein Fluss, oder wenn, denn voran muss es im Kino ja irgendwie doch, dann wie ein wilder Gebirgsbach oder, wir sind ja in München, der Eisbach, man surft, auch wenn es einen zwischendurch raushaut, aber das Surfen in so einem Film, das hat einen nicht nur das deutsche Kino nicht nur seiner Zeit weiß Gott nicht gelehrt.
SYLVIE, Klaus Lemke, D 1973
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Hic dagegen sunt sowas von Schauspieler*innen. Die halbe Schaubühne marschiert hier durchs Bild. Nein, Quatsch, natürlich marschieren sie sie nicht, sondern stehen meistens herum, oder sitzen, sieht man vom Purzelbaum, den Bruno Ganz schlägt, wie er im Buche steht, einmal ab. Die Figuren, die herumstehen, standen auch im Buch von Handke schon herum, oder saßen. Viel blicken sie, viel war das Stehen und Blicken im Buch schon beschrieben. Was auch im Buch herumsteht, sind Handke-Sätze, bei denen man denkt, kein Mensch kann die sprechen, so imperfektfreudig geschrieben sind sie. Aber da kennt man die großen Schauspieler*innen sehr schlecht, die hier aufmarschiert sind. Ein Bruno Ganz spricht das locker weg, Edith Clever erst recht, und noch sprechender schweigt sie im hinteren Teil. Ganz großer Auftritt später Minetti, der minettiert mampfend den Text, wie es sich für ein Minetti-Quasi-Solo gehört. Auch stopft er, immerhin, die Bluse der Tochter.
Marianne (so im Buch; im Filmabspann nur: die Frau) holt ihren Mann vom Flughafen ab und hat, weiß der Handke warum, die Idee, dass ihr Mann sie bis zum Abend verlässt. Der tut das dann auch, weiß der Handke warum, lässt sie und den gemeinsamen, stark bebrillten Sohn im riesigen Haus in der Rue de la Raison in der eher noblen Banlieue von Paris alleine zurück und geht zur Franziska (Angela Winkler). Über Dinge wie Psychologie ist ein Handke selbstverständlich erhaben. Je unerklärlicher, desto Autorenfilm bzw. Literatur. Die Frau muss nun vereinsamen, verstummen und leiden und verstummt stehen, sitzen und sehr hier und da einen dieser verteufelten Sätze artikulieren. Das macht sie auf Clever-Art, also als ausführendes Instrument einer heiligen Idee von Schauspielkunst, auch ganz gut. Und gelgentlich machen der Sohn und sein Freund unfassbar unkomische Faxen oder Slapstick dazu.
Robby Müller ist ein Kameramann, der aus all der Handkerei schöne Bilder zu machen versteht. Sie sind nur etwas tot.. Peter Przygodda muss hier also, anders als bei Lemke, nichts bändigen, sondern Leben reinbringen. Die Überlappungen von Bildern und Tönen geraten oft gut, sonst ist er auf verlorenem Posten. Handke, der Filmemacher, kommt sicher von Wenders. Aber er kommt, glaubt er jedenfalls, in erster Linie von Ozu. Mit mehr als einem Zaunpfahl wird einem das übergebraten. Viele, viele Züge fahren durchs Bild. Und an der Wand der Frau hängt überm Bügelbrett ein großes Poster mit Ozus gesicht. Er sieht sehr freundlich darauf aus, betrachtet die Machenschaften des in seiner hammerharten, hirnzermalmenden Humorlosigkeit nicht genug zu würdigenden Handke gelassen. Mono no aware, hat er sich sicher gedacht.
DIE LINKSHÄNDIGE FRAU, Peter Handke, D 1978