double feature

16. Juli 2019

King | Motyl Double Feature (2)

Von Ekkehard Knörer

 

Wie ein Mann, für den die Zeit drängt, tigert Jimmy Ringo (Gregory Peck) durch den Saloon. Zuvor schon ein Gespräch unter dem Pendel der Uhr. Es eilt. Um zehn Uhr am Morgen werden die Rächer erwartet, ein Männer-Trio, das den (allerdings: selbstverschuldeten) Tod des Bruders zu sühnen Richtung Cayenne unterwegs ist. Wenn sie kommen, soll Jimmy weg sein, der Marshall will kein Blutbad in seiner Stadt. Der Marshall, die alte Geschichte: Er gehörte einst zur Bande um Jimmy, ist auf die Seite des Gesetzes gewechselt, während Jimmy, einer der großen Revolverhelden des Westens, seinem eigenen Ruf nicht mehr entkommt.

Da kann er noch so viel tigern im Saloon von Cayenne. Gegen die tragische Zeitform des Westerns kommt er nicht an: Es ist nicht nur hier und jetzt, sondern längst schon zu spät. Zu spät für ihn, für die Liebe, zu spät für die Zukunft, die er sich ausmalt. Nach Cayenne ist er wegen Peggy (Helen Westcott) gekommen, die er liebte, mit der er einen Sohn hat, den er nun erstmals sieht. Zuvor aber entzieht sie sich, muss bearbeitet werden, von Frank, ohne Erfolg, und von Molly, die ein kurzes Zusammentreffen im Hinterzimmer herbeiführt. Hier werden Pläne geschmiedet, deren Vergeblichkeit auf der Hand liegt.

Jimmy Ringo ist müde. Wohin er kommt: Sein Ruf ist schon da. Die Neugierigen flattern herbei, nähern sich, vorzugsweise auf Halbdistanz (Henry King ist ein Meister des "blocking", Szene für Szene), die Kinder laut und rasch, die Männer mit Ehrfurcht, die Frauen formieren sich zum Trupp, der vom Marshall fordert, ihn aus der Stadt zu entfernen. Oder zu hängen. Komische Szene: Sie beratschlagen mit Ringo, den sie nicht erkennen, wie das Gesetz am besten mit ihm verfährt. Und auch ein ehrgeiziger junger Mann, der darauf brennt, den großen Ringo zu töten, auch der ist schon da. Immer wieder muss Ringo einen dieser jungen Männer töten, wie er selbst einer war, Hunt Bromley heißt der, der in Cayenne auf ihn wartet, ihn müsste er töten, um seinen Ruf zu bewahren, um zu verhindern, selbst um des Ruhms willen, der sich von Mann zu Mann übertragen lässt wie ein Gerücht, getötet zu werden.

Das ist die andere Logik, neben der des «Zu spät»: Der Teufelskreis einer männlichen Sozialstruktur, die den Ehrgeiz belohnt und die Behändigkeit mit der Waffe. Genauer gesagt: Es ist diese Logik, die die Ein- oder Rückkehr in die Bahnen und Bande von Zivilisation und Bürgerlichkeit unmöglich macht. Jimmy Ringo ist müde, sein Ehrgeiz erloschen. Es hilft nichts. Oder höchstens hilft die Übertragung per Genealogie. Wichtiger als das Gespräch mit Peggy, das nur die Illusion einer möglichen Zukunft hervorbringt, ist das mit dem Sohn. Wenn Peggy allerdings sagt, er sei ganz wie der Vater, ist das Schlimmste zu fürchten. Das sei nur ein Scherz, fügt sie hinzu. Nur kann es kein Scherz sein in einer Gesellschaft, die sich männliche Helden und ihre Tragik, aber als heroische, nur so jimmyringohaft vorstellen kann, wie "The Gunfighter" das, freilich wie alle klassischen Western selber noch gläubig, bis zum bitteren Ende ausbuchstabiert.

The Gunfighter, Henry King, USA 1950

 

***

 

 

Schwerer zu sagen, woran Beloe solntse pustyni (internationaler Titel: The White Sun of the Desert) klassischer Ostern aus dem Jahr 1970, in Russland bis heute kultisch verehrt, eigentlich glaubt. Männlicher Held: das schon, mindestens ebenso lässig wie Ringo. Aber nicht so in Eile. Aufgezogen ist die Geschichte als eine Serie von Briefen von der Front an die Frau, von Wüstensandgrau nach Grün. Zwar sieht man stets die Fantasie der Geliebten, heimatlich wartend. Wort und Bild fallen freilich nie so ganz zusammen dabei. Von rechts nach links durch die Wüste zieht zum sehr langen Vorspann auch Shukov, hinreichend jimmyringohaft, könnte man sagen. Seltsam allerdings die roten und weißen Linien, die dieser Vorspann zum Text und zum Bild als grafisches Element durch das Bild malt. Hier ist von Anfang an etwas off: zu viel, verspielt, über Realismusverdacht deutlich erhaben.

Und wenn dann gleich mal ein Kopf im Sand steckt, dann hat das, denkt man, mehr mit Jodorowsky als mit John Ford oder Henry King zu tun. Oder es fühlt sich an, als würden die ins Humoristische tendierenden europäischen oder amerikanischen Spätwestern (Outlaw Josey Wales etwa) antizipiert. Zwar trägt Sukhov auf der Mütze das Abzeichen der Roten Armee. Zwar ist er hier in der Wüste am Kaspischen Meer im Auftrag des jungen Sowjetregimes unterwegs, es sind die zwanziger Jahre.

Jedoch ist das kein Film, der irgendwelche Parteiaufträge erfüllt. Denn letztlich spielt das in der Zeit- und Ortlosigkeit einer lakonischen Reimagination des Westerns als Ostern. Der Plot - Sukhov kämpft gegen einen Guerillero namens Abdullah und hütet dessen Harem - ist Vorwand für: Wüstensand, Orgelpfeifen-Bild-Kompositionen der neun (später noch acht) Frauen, den einen oder anderen leider sinnlosen Tod und eher feurigen als blutigen Showdown am Ende. Drei bis vier sehr alte Männer ohne Funktion, die sich in ziemlicher Nähe zu Monty-Python-Komik bewegen. Auch ein sentimentales Liedchen über den Tod und die Liebe.

Mittendrin immer Sukhov als Entwurf eines Helden, nach dem sich die Sowjetunion offenbar sehnte: Cool lakonisch heroisch, gerade weil ihm dem Anschein nach alles egal ist. Einer, der versuchbar ist durch verschleierte Schönheit, der der Versuchung zugunsten der treu wartenden, oder als treu wartend imaginierten, Katerina Matwejewna souverän widersteht. Nebenentwürfe: Der Schweiger, der im rechten Moment zur Stelle ist. Der Trinker, der sich in eher sinnlosem Heldentod mit dem Schiff in die Luft sprengt. Bis heute, lese ich, sehen Kosmonauten vor jedem Weltraumstart in Baikonur, diesen Film. Sukhov liebt das Leben und die Liebe, aber über dem eigenen Tod steht er lässig drüber. Es ist das rechte Heldenbild für Himmelfahrtskommandos aller Art.

Beloe solntse pustyni (The White Sun of the Desert), Vladimir Motyl, UdSSR 1970