13. September 2022
10 x Allan Dwan
Stage Struck (1925)
Der geträumte Traum und der realisierte, beide sind, als Anfang und als Ende, in Farbe. Exaltiert bühnenhaft der Beginn, die schnöde Restaurant-Wirklichkeit, aus der sich Jenny (Gloria Swanson) davonträumt, dann umso schwarz-weißer. Im und als Happy-End ist dagegen das Mögliche wirklich gemacht, ein Restaurant, aus realer Liebe gebaut, alles Projizieren und Träumen ist überflüssig geworden. Der Mittelteil erteilt die Lektion, leicht im Ton, komisch im Detail, ernst in der Sache. Orme ist der Star des Restaurants, macht gekonnt Faxen als Pfannkuchenwender, vor dem Schaufenster die Frauen, die den feschen Mann und sein Können bestaunen. Er seinerseits liebt es, Schauspielerinnen zu adorieren. Sein Zimmer ist mit Fotos der Stars in Posen tapeziert. Jenny, die Orme liebt, will darum selbst Schauspielerin sein, per Fernkurs oder als sich auf dem riesigen Boot die Möglichkeit bietet. Sie gibt sich, wie die Redensart wäre, hier wie da der Lächerlichkeit preis, und doch wird sie von der Regie niemals verraten. Wir träumen ihren Traum und wir erleiden ihre Schiffbrüche mit, scheiternde Balancaeakte mit Geschirr, die Bügeleisenverbrennung, die Performance im Box-Ring, den Sturz ins Wasser, das Hängen am Nagel, das Heiratsversprechen, Orme im Wasser, sie suspendiert in der Luft. Nebenbei noch die Liebesgeschichte zwischen dem Impressario und seiner Trommel, für vieles ist Platz, Gags zwischendurch, kein langes Verharren, fluides Ineinander von Träumen und Stolpern und Schmachten, von Slapstick und Liebe, ein Komödienstoff von erstaunlicher Feinheit. (74cp)
While Paris Sleeps (1932)
Licht und Schatten, Wasser und Pflanzen, eine Flucht und Schüsse, wir sind in den Sümpfen. Dann nicht mehr. Dann nämlich sind wir in Paris, hingezaubert, hinverwunschen auf dem Fox-Studiogelände, mit winkligen Gassen, Zimmern hoch droben, in der Rückprojektion fährt die Seine mit uns Boot. Über Stock und Stein, rabiat sind die Schnitte, holpert eine Geschichte, die allzu intrigenreich ist. So sehr, dass man die Intrigen am besten vergisst, jedenfalls hat auch Allan Dwan sich das wohl letzten Endes gedacht, dass man stattdessen am besten vom sich in den Vordergrund drängenden Geschehen nach Möglichkeit absieht und die Szenen nimmt, wie sie kommen. Helldunkel, in eigentümlichen Sentiment-Komik-Balancen, auf Faustkampf folgt Kuss, das Akkordion macht Musik, wird dann zertrümmert beim Schlag auf den Kopf, von oben, also knapp unter der Decke, zeigt die Kamera den Wurf eines Menschen, Schnitt, Schwindel, Close-Up, Montage und Einstellungswahl kommen von Griffith, die Stimmung von Sternberg, das mühelose Ineinander der kaum zusammenpassenden Dinge ist Dwan.. Prostituierte auf den Fox-Paris-Straßen, ein Menschenhändler aus Südamerika tritt ins Bild, im Dunkel der Nacht Schattenrisse hinter erleuchteten Fenstern, eine Spanische Wand von einiger Transparenz. Am Ende noch eine Explosion und ein Match Cut zurück zum Grab des unbekannten Soldaten. Eine Stunde dauert der Film. Sehr viel ist drin. (75cp)
High Tension (1936)
Hochdruck, denn der Held namens Steve (Brian Donlevy, viel Profil und viel Körper) begibt sich auf den Boden der Tiefsee, zur Kabelreparatur. Der telefonische Kontakt nach oben reißt dabei nur ab, weil er sich in die Heftliteratur seiner Freundin Edith vertieft (Glenda Farrell, deren Gesicht sich ganz auf den Mund konzentriert). Hochdruck in der Frage nach Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf. Ihm liegt der Schreibtischjob, den er sich aus Beziehungsgründen verordnet hat, nicht. Sie schnappt sich kurzer Hand einen andern, als ihr Steve Richtung Honolulu verschwindet. Es folgt die hand- und wand- und klaviergreifliche Auseinandersetzung zwischen den Konkurrenten, in Ediths Wohnung, die ist am Ende ziemlich zerlegt. Ein bisschen zerfahren ist der Film, mal hier, mal da, mal dort, auch thematisch, ein Mr. Tuttle kehrt kieksend wieder als Karikatur des abenteuerfernen Beamten, ein alternatives Liebesobjekt kehrt auf Honolulu Steve rasch den Rücken, aber weil er sich auf nichts davon sonderlich einlässt und selbstbewusst nonchalant die immer nächste Wendung flott hinter sich bringt, steht die Zerfahrenheit dem Film insgesamt gut. (72cp)
Up in Mabel’s Room (1944)
Drei Männer passen unter das eine Bett, up in Mabel’s room, des Komödienversteckspiels wegen. Gary und Geraldine, die seit einem Monat verheiratet sind, schlafen dagegen in Einzelbetten, getrennt, des Production Codes wegen. Der Verkehr, und sehr viel davon, findet anderswo statt: ein Rennen durch Flure, ein Schlagen von Türen, ein Klettern durch Fenster, immer auf der Suche nach dem nächsten Missverständnis und der unschuldigsten Anzüglichkeit, und sei es im beschleunigten Traum. Der Komödien-McGuffin, der den Verkehr in Gang bringt, ist ein Negligé, das Dennis O’Keefe, ungelenker Held des Ungeschicks, vor seiner Ehe einer anderen, der Mabel des Titels (Gail Patrick, hinreißend kühl), geschenkt hat: ein petit rien, das den Konfliktsituationen die immer neue selbe Pointe verpasst. Neben dem Eifersuchtskern wuseln andere Paare durch den Plot im Dienst der Chaosproduktion, am Telefon schimpft die Mutter der Braut, Dwan hält das Tempo, aber immer lässig dabei, ein Close-Up hier, ein double take da, alles stürzt, sich im Kreis drehend, munter voran, bis am Ende alles wieder am rechten Platz ist: das Negligé, die Frau, der Mann, geheiratet wird außerdem noch, ein Baby taucht auf, Schneetreiben draußen. Im Hintergrund ein unverwüstliches Stück, 1926 eine Stummfilmversion, hier mit Anspielungen auf den Krieg von erstaunlicher Frivolität. Für Screwball dann doch nicht screwy genug, mal o la la, mal so lala. (64cp)
Sands of Iwo Jima (1949)
Ein letzter Brief von Iwo Jima bleibt unvollendet, bricht ab mitten im Satz, sein Verfasser ist tot. Und das im Moment des Triumphs, die amerikanische Flagge weht über der Insel. Den Gegenfilm, in dem die Japaner nicht nur, und immer nur ultrakurz, zum Sterben ins Bild treten, hat Clint Eastwood 57 Jahre später gedreht. Handwerklich ist dieser Kriegsfilm, eine Republic-Produktion, solide, mixt stock footage mit Selbergedrehtem, erzählt von einem strengen Kommandanten (John Wayne, ohne Pferd, im Krieg, in dem er selber nicht kämpfte, einmal lehrt er einen ungelenken Jungen das Tanzen, bärenhaft schön), dessen Weisheit seine Untergebenen erst nach und nach schätzen lernen. Eine Kamerabewegung, die Dwan nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal mit Effekt einsetzt. Kameraden am Tisch, eine Frau, die hinzutritt, ist am Hals abgeschnitten. Wie dick unterstrichen schwenkt die Kamera dann nach oben: Da ist ein Gesicht, es ist die Frau (Adele Mara hinterlässt wenig Eindruck, verschwindet restlos), die einer der Soldaten lieben, die ihm, während er kämpft, einen Sohn gebären darf: ideologisch wie narrativ die reine Funktion. Doppelter Schluss, erst Kriegsgesichter zum Fahnenappell. Dann das Verschwinden im Nebel, fog of war, anders gesagt: Mythos. (55cp)
Woman They Almost Lynched (1953)
Im Krieg zwischen Yankees und Konföderierten wahrt Bordertown die Neutralität. Es regiert resolut eine ältere Frau, nicht gewählt, nicht Sheriff, aber sie sagt, wo es langgeht. Nicht nur mit den Parteien im Bürgerkrieg bekommt sie zu tun, sondern auch mit der Quantrill-Bande, zu der auch der sehr junge Jesse James gehört. Die Bande überfällt vor der Stadt eine Kutsche, Jesse James steigt ein, die Frau darin ist sehr schön: Sally Maris (Joan Leslie). Sie ist die Schwester des Mannes, dem ein Saloon mit schönen, singenden Frauen gehört. Verloren dagegen hat er Kate, die Frau, die er liebte, und zwar an den Gangster Quantrill. Sie provoziert ihn, er wird erschossen, so kommt ein weiterer Mann, Lance Horton, ins Spiel, er tötet den Bruder, in Notwehr, nun übernimmt Sally den Salon. Alle Welt hat sie sehr unterschätzt. Sie räumt ihre Skrupel beiseite, sie schießt, als hätte sie ihr ganzes Leben nichts anderes getan, als zu schießen, sie liefert sich vor den Augen der Männer mit Kate einen Catfight und dann vor der Tür des Salons ein Duell. Dwan filmt das nicht mit Belustigung, sondern als Kampf, der den Kämpfen der Männer im Western nicht nachsteht. Die Männer, die Stadt, auch die Frau, die in Bordertown herrscht, am Ende sogar Kate Quantrill lernen, diese Frau zu achten, wenn nicht zu bewundern. Einen zudringlichen Mann, der ihre lips als kissable lobt, wehrt sie resolut ab. Die Küsse eines anderen sucht sie. Zweimal wird in diesem Film gesungen, grandioser Auftritt von Audrey Totter als Kate, die Männern todesmutig die Köpfe verdreht und dann in wildem Ritt aus dem Film rast. Überhaupt ist die Reiterei, gerne aus der rasenden Subjektive, sehr toll gefilmt. Woman They Almost Lynched (ohne bestimmten oder unbestimmten Artikel) gibt einerseits dem Western, was des Westerns ist. Umso atemberaubender die Selbstverständlichkeit, mit der hier die Frauen diejenigen sind, die sagen, wo es langgeht, die Initiativen ergreifen, die sich nehmen, was sie wollen, die untersagen, schießen, reiten und singen. (76cp)
Silver Lode (1954)
McCarty (Dan Duryea) heißt der einreitende Schurke, der Papiere vorweisen kann, die zwar falsch sind, aber alle fallen darauf herein. Dan Ballard (John Payne) ist ein recht neu zugezogener Bürger des Städtchens Silver Lode, hat sich aber viel Ansehen erworben; hat die eine Blondine (Dolores Moran) der anderen (Lizabeth Scott) wegen verlassen, am Ende sind die beiden die einzigen, die ihm bedingungslos glauben. Der Rest des Dorfs wendet sich, von McCarty verhetzt, von ihm ab. Es ist der Nationalfeiertag, 4th of July, US-Flaggen und ein Plakat der Temperenzlerinnen auf der Straße. Zunächst bleibt es recht statisch: Ballard fordert sein Recht, erstreitet sich Aufschub, in den zwei Stunden reitet er sich, das Unglück und die Bösartigkeit des Gegners wollen es, nur weiter hinein, bis alles aussichtslos wird. Der Film nimmt an Tempo auf, dann nimmt er noch mehr Tempo auf, die Kamera eilt seitwärts durch den Staub, Ballard rennt, wirft sich auf einen Wagen und wieder hinunter. Ballard schießt, Ballard flieht, Ballard versteckt sich. Großes Finale im Glockenturm, Ballard trifft, ohne eine Waffe zu haben, den Gegner mitten ins Herz. Was ihn rettet, ist ein Telegramm, das genauso gefälscht ist wie die Papiere des Schurken. Fake news, aber am Ende doch wahr. Silver Lode, USA: eine Stadt, ein Land, in heillosem Zustand, gut aus geht es, viele unnötige Tote später, mit sehr viel mehr Glück als Verstand. (74cp)
Tennessee’s Partner (1955)
Kennst du das Land, wo die Männer Cowpoke und Grubstake oder Tennessee heißen? Das Land, in dem der Mann Tennessee (John Payne) seinem Partner, ja Freund, ja doch fast Geliebten Cowpoke (Ronald Reagan) als letztes Wort ein «I didn’t even know his name» nachrufen muss? Es ist der erstaunlich zarte wilde Westen à la Allan Dwan und Bret Harte. Hartes Roman stammt aus den späten 1860er Jahren, im Bordell, als eleganter «marriage market» camoufliert, im überhaupt recht zivilisierten Städtchen (Zivilisation schließt Lynchmobs nicht aus) steckt mehr poetischer Realismus als Mythos, von John Altons Kamera Bild für Bild zum Dahinschmelzen in Form und Farbe gefasst. Ein Liebesgemälde kurz vor dem Ende, Baum und Himmel und Felsen und das Nun-doch-Hetero-Paar als Scherenschnitt. Davor noch, alles ist hier, so auch die Liebe mit Schüssen, tariert, ein Standoff der nicht-mexikanischen Art. POV des Übeltäters, rechts und links, die Waffen erst in der Hand, dann aber nicht mehr, Tennessee und sein Partner, dazwischen, dahinter gestaffelt, auch als Duo das Recht, auf das nicht durchweg Verlass ist. Es werden Leben gerettet, Karten gespielt, eine Frau wird abserviert, es wird dieser und jener getötet, es geht um eine Ethik des Hinter-dem-Rücken, wo nichts Böses erlaubt ist, Gutes, wenn es sein muss, dann doch. John Payne ist ausgesprochen geschmeidig, ohne ganz ölig zu sein; Ronald Reagan, als Schauspieler eigentlich aus Holz geschnitzt, hat weiche Stellen und gar Nuancen. Alles gekonnt, nichts drängt sich nach vorne, wunderbare Beweglichkeit, klassisches Hollywood, für vieles ist Platz, den homoerotischen Subtext, die Rache, das Recht und Hochzeit am Ende. (76cp)
Slightly Scarlet (1956)
Tschechow’s Law gilt auch im luxuriösen kalifornischen Strandhaus: Wenn eine junge Frau im Leoparden-Badeanzug mit der Harpune scherzhaft auf jemanden zielt, muss die Harpune auch im Ernst noch einmal feuern. Das tut sie. Die rothaarige junge Frau, Dorothy (Arlene Dahl), kommt in der ersten Szene des Films aus dem Frauengefängnis, sie ist Kleptomanin. Ihre rothaarige ältere Schwester, June (Rhonda Fleming), schließt sie in die Arme. In der Ferne schießt ein Mann ein Foto der beiden, Ben Grace (John Payne), Zentralfigur im Polit- und Gangster- wie im Liebesplot, beide überschneiden sich, und können dies tun, weil ständige Positionswechsel, Loyalitäts- und Liebesverschiebungen diesen in strahlenden Farben gefilmten Noir bestimmen. So ist June zunächt die Geliebte, wenn nicht Verlobte, des Bürgermeisterkandidaten ohne Fehl und Tadel, dann aber Küsse, wenn nicht mehr, mit Ben Grace, der als Intrigant im Hintergrund den alten Gangsterboss abserviert, um an dessen Stelle zu treten. Dorothy eifert darum, ihre Schwester in der Gunst von Grace abzulösen, klaut eine Halskette, steht im Leopardenbadeanzug herum. Hell und licht und bunt sind die Bilder, außer in der Nacht und im Haus, da fallen starke Schatten, da treten Gesichter leuchtend aus ihnen hervor, Dunkelmänner (und rothaarige Frauen) in helldunkel arrangierten Quasi-Gemälden: Allan Dwan als Caravaggio von Venice Beach. Im Ton lässig, Camp-Zuspitzungen kommen nicht aus dem Nichts, auffällig sind die sekundenlangen Überblendungen, die zusammenbringen und übereinanderlegen, was erst auf den zweiten Blick nicht unbedingt zusammen und übereinander gehört. (73cp)
Most Dangerous Man Alive (1961)
Alles sichtlich, und hörbar, low budget. Die Schauspieler*innen zweitklassig, bestenfalls. Die Spezialeffekte billig, wenn nicht zum Lachen. Die Geschichte in ihrer Kreuzung von Gangsterfilm und Science-Fiction immerhin nicht unoriginell. Ein Mann, nur vermeintlicher Mörder, gerät auf der Flucht aus dem Gefängnis in ein Strahlenexperiment mit dem rätselhaften Element X und wird dadurch zum Menschen aus Stahl. Ein Superheld, dem Revolverkugeln nichts mehr anhaben können. Allerdings ein Superheld nicht nur wider Willen, sondern zum eigenen Unglück: Er erkennt sich selbst nicht wieder nach der Transformation. Die Liebe in Gestalt einer Frau will ihn retten, die Gangster wollen ihn töten, mühelos schleudert er sie aus höherem Stockwerk in schwindelnde Tiefe. Männer in Anzügen brüten mit Mordlust, Wissenschaftler experimentieren mit Mäusen. Der Plot irrt auf seiner seltsamen Kreuzung von hier nach da und wieder zurück, es wollen sich, wie im Menschen Fleich und Stahl, die Elemente nicht so richtig miteinander verbinden. Und doch setzt Dwan das alles nicht als Camp um. Setzt zumindest keine Camp-Übertreibungen drauf. Spielt das hanebüchene Drehbuch vielmehr vom Blatt, gibt dem Geschehen mit der handwerklichen Solidität, die er ihm angedeihen lässt, eine Form von Würde. Der ganz buchstäbliche X-Man als Superheld, den seine unerwünschte Kraft zum metallenen Unglückswurm macht, ist ohnehin plausibler als der Wahn, dass wir uns Superhelden als letztlich glückliche Übermenschen vorstellen müssten. (67cp)