hollywood 5/10

29. November 2022

10 x John M. Stahl

Von Ekkehard Knörer

Imitation of Life

Imitation of Life

© The Criterion Collection

 

Strictly Dishonorable (1931)

Der Film kommt vom Theater, war ein 557 mal aufgeführter Broadway-Hit. 125.000 Dollar hatte sich Universal die Rechte am Stück von Preston Sturges kosten lassen. Es ist ein dank Pre-Code tief dekolletiertes Anzüglichkeitsdrama, in dem eine Südstaatenschönheit von einem schrecklich amusischen Mann (mit dem sie verlobt ist) an einen anderen, überaus musischen, er ist Belcanto-Sänger, gerät. Die Einheit von Raum, Zeit und Handlung ist beinahe gewahrt, wenn auch verteilt, auf Räume, die in drei Stockwerken liegen. Auf Draußenweltillusion kann der Film gut verzichten, selbst da, wo sich die Kamera vom Innenraum durch ein Fenster nach draußen bewegt. Da sind Durchlässigkeiten, das gilt auch für die Fahrt treppauf und treppab, da ist keine Wand. Sidney Fox, die kein großer Star wurde und mit 34 Jahren an einer Überdosis Schlafmittel starb, ist von Anfang bis Ende doppelt kodiert, ironisch naiv, schmilzt hin, begehrt auf und spielt das Wissen darum, dass hier Komödie gespielt wird, immer so mit, dass man den Unglauben nur zu gern suspendiert. Nichts wird dabei forciert, das Tempo nicht, die Dialoge stehen, ohne dass es viel Zutun der Darsteller*innen braucht, selbstgewiss für sich selbst. Tür auf und Tür zu, pseudoitalienischer Quatsch, ein betrunkener Richter, Teddybär, Liebhaberbär, Heiratsversprechen am Schluss. Komödie, wie sich Komödie gehört. (73cp)

 

Back Street (1932)

Auftakt mit Maßkrug: Ein Biergarten in Cincinnati, Ohio, «Over the Rhine». Hier wird also etwas unter Auslandsdeutschen verortet. Die Heldin, von Irene Dunne gespielt, heißt darum Ray Schmidt. Es liebt sie ein Mann, der erst Fahrräder baut, dann als Automann reüssiert. Nur liebt sie ihn nicht. Den, den sie liebt, verpasst sie um jene Sekunden, aus denen Melodramen entstehen. Einmal zu spät beim Blasorchesterkonzert – schon bist Du Zweitfrau fürs Leben. Ray liebt Walter, Walter liebt Ray. Weil er aber verheiratet ist, wird sie die liebende, geliebte, mit einem Selbstbewusstsein von äußerster Passivität ausgestattete, sich aushalten lassende Frau. Alles gibt sie auf für diese Verstrickung der gegenseitigen Anerkennung, die – auch unter diesen ungleichen Bedingungen noch, nein gerade – Liebe sein muss. John M. Stahl entortet das je länger je mehr zum Interieurmelodram. Der Schmelz der nehmenden, gebenden, sprechenden, entsagenden Blicke und Körper ist von einer solchen innigen Eleganz, dass auch, wer ideologisch nicht mitwill, mit den Gefühlen doch mitmuss. (76cp)

 

Imitation of Life (1934)

Die erste Begegnung der Frauen, Beatrice (Irenne Dunne), weiß, und Delilah (Louise Beavers), schwarz, zu ebener Erde. Delilah, die einen Job als Hausmädchen sucht, hat sich in der Straße geirrt, Beatrice, die kein Geld hat, aber als verwitwete Alleinerziehende Hilfe gut brauchen kann, lässt Delilah, die vor allem eine Stelle sucht, bei der sie mit ihrer kleinen Tochter Peola zusammen sein kann, in das Haus, an den Tisch, in ihr Leben. Stellt sich heraus: Delilah backt die besten Pfannkuchen New Yorks, wenn nicht der Welt. Beatrice macht daraus ohne anderes Investitionskapital als ihre eigene Überzeugungskraft ein Geschäft, bezirzt und bequatscht Männer, deren Waren und Hilfe sie braucht - und einen so raschen wie gewaltigen Schnitt später läuft der Laden schon rund. Nächster Schritt: Delilahs Teig in Tüten, Lichtreklame, man sieht Delilahs Profil, 32 Millionen Tüten verkauft. Aufstieg in eine Villa. Hier kommen die sich entfaltenden Mütter-Töchter-Dramen in eine Ebenen-Ordnung. Die Treppe nach unten: Da wohnt Delilah. Die Treppe nach oben: Hier sind Beatrices Räume. Delilahs Drama: Sie blockiert, als Inbild der schwarzen Mammy, den gesellschaftlichen Aufstieg ihrer Tochter Peola (Fredi Washington) - die so hellhäutig ist, dass das “passing” als Weiße möglich wäre. Ihre Darstellerin, Fredi Washington, hat ihrerseits das ihr von Studio-Executives nahegelegte “passing” in weiße Rollen verweigert  und als Aktivistin für die Sache der Schwarzen agiert. Louise Beavers, die sich das Klischee-Black-English antrainiert hatte, hat fast nur Rollen als Mammy gespielt. So auch hier, wenngleich sie immer wieder aus dem Keller ins Erdgeschoss auftauchen und Raum einnehmen darf, den der Film für das Drama des Passing bis zum melodramatischen Finale mit eindrucksvollem Beerdigungszug und Reue der Tochter freigeräumt hat. Nicht minder wichtig jedoch ist ihm das vergleichsweise läppische Eifersuchtsdreieck der Weißen: Beatrices Tochter Jessie verliebt sich in den Mann (Warren William), den ihre Mutter heiraten will. Er ist von Beruf Ichthyologe, man sieht einen Raum mit großen Aquarien und kleinen Krabben, in diesen oberen Räumen des Plots werden sehr gekonnt Verzichts-Melodram und Screwball vermählt. Dass das viel gewaltigere Drama in die unteren Räume verdrängt werden kann, und noch in seiner ständigen Wiederkehr nicht Plot und Affekt dominiert, hat mit Stahls domestizierenden Sortierungs-, Ton- und Modulationskünsten zu tun. Erst ganz am Ende erlaubt sich der Film einen Soundtrack, den er nicht aus den Szenen selbst (Party, Beerdigung) generiert. Die Tendenz zum Unterspielen ist die Stärke von Stahls Melodramen. In diesem Fall aber gibt er dem Drama, das den brutalen, noch die intimsten Beziehungen zwischen Mutter und Tochter deformierenden, zerstörenden Rassismus der Gesellschaft ausdrücklich thematisiert, genau die glättende Form, die eigentlich gesprengt werden müsste. (78cp)

 

Magnificent Obsession (1935)

Losgerast auf Screwball-Niveau, Ankunft zweier befreundeter Frauen, deren eine nun, sagt der Dialog, die Stieftochter der anderen ist. Umso abrupter der Stopp gleich danach: der Gatte, der Vater ist tot. Erstarren, Energieverlust, aber auch eine Art Übertragung. Vorbeigerollt wird der junge Mann, Robert Merrick (Robert Taylor), der an Stelle des alten (es gab beim gleichzeitigen Unfall am See nur ein Rettungsgerät) überlebt hat. Ein Luftikus, der nun Lektionen erhält, bis er die Nachfolge des alten antreten kann. Sanft gleitet das Ganze von der zur Tragödie abgebremsten Screwball-Komödie hinüber in eine Art Märchen. Der Verstorbene, Dr. Hudson, stellt sich heraus, war eine Art Jesus, der immer nur gab, aber nicht nahm, wenngleich er für diese magnificent obsession, das Geben also wie das Nicht-Nehmen und Nicht-Darüber-Reden, Lebensglück erhielt, Seelenheil gar. Die Dankenden stehen und sitzen nun in der Klinik, damit der Film seinen Sinn fürs komisch Absurde bloß nicht vergisst, Schlange. Unterdessen bekommt nun Merrick die Lehre vom Geben erteilt, gleich beim Friedhof, überdies sturzbetrunken, von Skulpturen, nicht zuletzt der des Toten, umstellt. Auf dass nun auch ihm Lebensglück, Seelenheil zuteil werden kann. Auf Umwegen allerdings. Exit Luftikus, Enter Liebender, der jedoch am Unglück der Frau (Irene Dunne) zunächst noch mitschuldig ist. Ein Autounfall, Erblindung, beinahe tödliche Kollision von Bildvorder- und Bildhintergrund. Überhaupt ist das eine filmische Welt der schönsten Suturen: so sichtbar, dass man alles an ihnen genießt, die Schärfe vorne, das Verschwommene hinten, das Zimmer und das blinkende Paris hinter dem Fenster, die Protagonisten und die wimmelnde Welt, mit denen sie nichts als die nachträgliche Zusammenfügung verbindet. Hinreißend in der bewegendsten Szene: Das Paar, auf dem Weg zur (Wieder-)Erkennung, aus einem Unten-Paris in ein nichtwirkliches Oben, eine Schwindel-Bewegung des Glücks. Danach ein Blinken und Fließen, der Eiffelturm, die Seine als geträumte Rückprojektion. Es müssen noch einmal Umwege folgen, bis dann der Jesus, ein nunmehr völlig anderer Mann, ein letztes, nämlich der Frau, die er liebt, ihr Augenlicht geben kann. Zwischendurch war noch, nicht zu vergessen, ganz aus dem Nichts eine hinreißend komische Szene wie aus einem Marx-Brothers-Film: ein Mann vor der Tür bekommt auf Französisch einen Hut auf den Kopf und sagt: Oh precious, it’s Poopsie.  Wie John M. Stahl aus dieser Kolportage etwas sehr Bewegendes macht, zwischendurch trotz oder wegen des gedrosselten Tempos komischen Screwball-Kitzel erzeugt, das Absurde mit Selbstverständlichkeit inszeniert, das ist etwas, das ihm so keiner, auch ein Douglas Sirk nicht, nachmachen kann. (84cp)

 

When Tomorrow Comes (1939)

Eine Folge von Szenen, die nur im Fiebertraum, der dieser Film selbst ist, Zusammenhang haben. Im Restaurant wird zum Apfelkuchen coup de foudre serviert, ein berühmter Pianist aus Paris namens Chagal undercover, eine Serviererin namens Helen (Irene Dunne), die bald darauf bei einer Gewerkschaftsversammlung fast wider Willen die versammelten Kolleginnen agitiert. Der Pianist hat sich darunter geschmuggelt, schickt die Freundin mit dem Taxi davon. Nicht viel später geraten Helen, die inzwischen weiß, wer er ist, und Chagal, der, wie sie aber auch, Hals über Kopf sich verliebt hat, in einen Hurricane, wir sind nun nicht mehr in New York, sondern in Long Island, der Sturm tobt, Chagal spielt laut auf dem Flügel, Helen singt sehr schön dazu, das Gewitter blitzt, ein Baum fällt auf das Auto (sie wollte weg, er wollte mit), das Wasser steigt, sie fliehen in eine Kirche, auf eine Orgel-Empore. Was, in Klammern gesagt, zu einem berühmten Gerichtsurteil führte. James M. Cain, Autor der Erzählung, die für den Film die Vorlage war, klagte, weil die Kirchenszene, da war er sicher, aus einem anderen Roman von ihm stammte und also geklaut worden sei. Der Richter dagegen meinte, das falle in die (von ihm damit geschaffene) Kategorie der scènes à faire, also Motive und Plot-Wendungen, die sich aus Genre und Ort typisch ergeben. Nun ist ein Stahl-Film, und dieser hier erst recht, gerne das Gegenteil von Genre und typisch, eben ein Traum, der Stimmungen moduliert, Szenen nur nach Traumlogik wechselt und im letzten Drittel die durch den Tod eines neugeborenen Kindes traumatisierte Ehefrau Chagals einführt, wodurch der Film zum Verzichtsdrama wird. Es ist die Schwäche, die siegt, und siegen muss, war ein Schönes, mit Gewitter, Flut, Orgelspiel in der Nacht. Der Morgen kommt, das Realitätsprinzip auch, oder nein, Umleitung von Liebes- auf Job-Utopie: Die Gewerkschaft der Serviererinnen hat mit ihren Forderungen obsiegt. (83cp)

 

Our Wife (1941)

Mann über Bord: Das ist Jerry Marvin (Melvyn Douglas), Musiker-Komponist, der den Kummer über die Scheidung von seiner Frau im Alkohol zu ertränken versucht und dabei über die Reling gestürzt ist. Er wird aus dem Wasser gefischt, trompetet bald wieder und kommt dabei Susan (Ruth Hussey) zu nahe, die by the way Wissenschaftlerin ist und sich in der Nachbarkabine gestört fühlt. In Screwball-Tempo erwächst aus Streit Nähe, ja Liebe. So gerät sie, den Vater und Bruder aus nicht unbedingt erklärlichen Gründen stets im Gepäck, in Marvins Leben und Haus, muss aber feststellen: Die Ex-Frau namens Babe (Ellen Drew) ist so Ex nicht, versucht vielmehr die drei Wochen bis zum Scheidungstermin zur Rückgewinnung des Gatten zu nutzen. So entbrennt ein Zweikampf, ja, Stellungskrieg zwischen Susan und Babe. Letztere stürzt sich die Treppe hinab und gibt sich gelähmt. Erstere unternimmt alles, die Täuschung auffliegen zu lassen, geht dabei bis zum Äußersten, jedenfalls fast, bei ihren Versuchen zur Offenbarung der Wahrheit - als Wissenschaftlerin, die ihr Experiment gnadenlos durchzieht. Stahl inszeniert das nach einem Theaterstück von Lyon Mearson und Lillian Day (Drehbuch: P.J. Wolfson) mit kongenialer Ungerührtheit, die Komik kommt heiter daher, bewegt sich dabei von finster zu düster. Schläge auf den Hintern als Ausrufezeichen, das The End schmiegt sich gebeugt über der Geschlagenen Körper: ein Film, der auf einer nur scheinbar aufgelösten Dissonanz endet. (80cp)

 

Holy Matrimony (1943)

Englische Romanvorlage (von Arnold Bennett), englisches Setting (Studio-London), englischer Humor. Ein gefeierter Maler namens Piram Farll (Monty «The Beard» Woollen) lebt mit seinem Diener seit 25 Jahren auf einer der britischen denkbar fern liegenden Insel, weil er mit der Öffentlichkeit nichts mehr zu tun haben will. Dort aber ereilt ihn, wir schreiben das Jahr 1905, ein Brief des Königs: Farll wird geadelt, bricht mit dem Diener, einem Mann namens Leek, dorthin auf. Leek stirbt sehr plötzlich, ein «plötzlich», das von (Verwechslungs)-Plot kommt: Farll sieht seine Chance, gibt sich als Leek aus, der wird nun mit pomp and circumstance in Westminster Abbey beerdigt. Humoristische Komplikationen: Farll heiratet als Leek auf eine Heiratsannonce eine so selbstbewusst wie selbständige Frau (Gracie Fields). Sie allerdings bringt, ahnungslos, seine Gemälde in Umlauf, die ein gewiefter Kunsthändler (der große Laird Cregar kurz vor seinem Tod mit 31) als echte Farlls erkennt und mehr als gewinnbringend verkauft. Die Sache endet nach Windungen und Wendungen vor Gericht, wo Farll/Leek sich der Wahrheitssuche lange aalglatt entzieht. Zwei Muttermale ergeben die ins Extrem der öffentlichen Diskussion gesteigerte Doppelpointe, um die der Prozess als Komödie kreist. Der Ausgang ist glücklich, natürlich, Wiederverheiratung quasi, die Liebende hat den wahren Priam schon immer erkannt. (70cp)

 

The Keys of the Kingdom (1944)

Ein Film von 137 Minuten, fast ohne Konflikt. Reißende Fluten rauben dem Helden die Eltern, danach werden die Gewässer ruhiger und ruhiger. Der Frau, die er liebt, entfremdet, ohne dass es zu einer Auseinandersetzung kommt. Er wird Priester, er ist Gregory Peck. Zunächst kaum zu erkennen, Pecks zweiter Film, wie jung und schön er ist, in der Vergangenheit, denn in der Gegenwart ist er ergraut. Erinnerungen eines alten Mannes, schriftlich, die Seiten des Buchs werden umgeblättert, auch eine Erzählerstimme taucht gelegentlich auf. In der Vergangenheit, in der Gregory Peck jung ist, geht er als Mann der Kirche nach China. Die Missionsstation ist zerstört. Er rettet einem Kind das Leben, ein mächtiger und reicher Mann wird ihm für sein Leben zum Freund. Drei Nonnen tauchen auf, als Lehrerinnen in der Mission, ein bescheidenes Leben richtet sich ein. Kriegerische Auseinandersetzung im innerchinesischen Krieg, das bleibt Episode. Ein alter Freund erscheint, den der Priester auch als Ungläubigen liebt. Nie gerät der Held außer sich, der Film ebenfalls nicht. Interieurs von bescheidener, niemals prahlerischer Eleganz, nur einmal überirdisches Licht in der Kirche. Die Geschichte eines Mannes, der da, wo er hingestellt ist, nicht einmal Großes bewirkt, nur einen Raum der Redlichkeit schafft. Die Länge gibt Dauer, nicht epischen Atem. Eng gesteckter Rahmen, ein Großidyll. Innigkeit, die vieles ausblenden muss, der Binnenraum aber ist mit Toleranzgedanken und wehrhaft-humanistischem Handeln ohne Weihrauch erfüllt. (74cp)

 

The Eve of St. Mark (1944)

Ein Kriegsfilm, der ein Theaterstück war. Darum sind die Dialoge sehr gut, darum sind die Szenen fast alle auf jeweils einen Raum konzentriert und noch, wenn später Flugzeuge Bomben abwerfen, ist über der Stellung der US-Soldaten ein Tarndach. Behaustsein in Drinnenräumen beherrscht zuhause wie in der Fremde das Bild: Hier das Heim, mit Herd, Tisch und Küche. Unterwegs in der Bahn, der eine bleibt auf sein Baseball-Team fokussiert, die anderen schlafen. Da die Höhle, in der die Männer mit der Malaria kämpfen. In der Kaserne die Parodie auf den Vorgesetzten, der natürlich auftauchen wird. Im Speisesaal das Liebesgeplänkel mit Verführung durch Schiebetanz, bei der die Treue zur Liebsten gewahrt werden muss. Abwesenheit von Hurra-Patriotismus, man riskiert das Leben aus Prinzip und für die Sache, der Wut zum Trotz, die man auf die in der Heimat Gebliebenen richtet, die dort, während andere sterben, weiter ihre Vergnügungen suchen. Eine Kriegsfilm-Topoi-Parade der nicht mal so verlogenen Art, trotz umgeschriebenem Beinahe-Happy-End. (64cp)

 

Leave Her to Heaven (1945)

Back of the Moon, so heißt einer der Schauplätze, und auch sonst spielt alles weitab vom Dickicht der Städte. Auf einer Zugfahrt erste Verstrickung der Blicke: Richards Blick fällt auf Ellen, aber auch auf das Buch, das sie liest, denn er ist der Autor. Und ihr Blick fällt auf den Mann, in dem sie den Autor des Buches erkennt. So ist das von Anfang an narzisstisch verspiegelt. (Auch ähnelt er sehr ihrem Vater, den sie, darf man vermuten, ins Grab gebracht hat.) Zu sagen, dass die beiden einander verfielen, wäre entschieden zu unkompliziert. Sie drängt ihn zur Heirat, indem sie im selben Moment einen Dritten verdrängt (Vincent Price, er kehrt am Schluss wieder, und zwar with a vengeance, als vollends verblendeter Dritter). Richard wiederum will nicht wahrhaben, dass er eine andere liebt, the girl with a hoe, Ellens gärtnernden, also zur Einhegung neigende Schwester. Ellen dagegen neigt zur Entgrenzung, gibt sich allerdings, nach der Hochzeit, als Hausfrau, was aber nur die Mimikry eines Aliens an den Alltag der Normalsterblichen ist. Gene Tierney als Ellen ist schön, ist kalt, dunkel flammender Lippenstiftmund, sie will Richard mit Haut und Haaren für sich. Wobei es weniger Richard ist als der Mann, oder weniger der Mann als das Objekt, oder weniger das Objekt als einfach die Vollständigkeit, Haut, Haare, was heißt: Der behinderte Bruder muss weg, nicht nur von hinter der Wand, sie lässt ihn auf der Hinterseite des Mondes ertrinken. Und auch das eigene, das gemeinsame Kind, ungeboren schon Konkurrent um des Mannes Aufmerksamkeit, darf nicht leben, gemeinsam ist auch in der Kleinfamilie noch einer/s zu viel. Haut und Haare heißt auch: Selbst nach ihrem Tod darf ihn die Schwester nicht haben. Ellen, schneewittchenhaft, intrigiert bis zuletzt. Rot der Mund, blau das Kleid beim Sturz auf der Treppe, weiß beim letzten Brief und im Sterbebett: Alles in gloriosem Technicolor, draußen der See und der Garten und das Monument Valley (darin erhaben noch reitend und die Asche des Vaters verstreuend und dem Blick Richards sich, als sähe sie ihn nicht, bietend: Ellen) und auch die Wälder, technicolor-natürlicher als die Natur die Natur, technicolor-wohnlich, als könnte man in den Farben selbst leben, die Inneneinrichtung von Wohnung und Haus. In die Natur und die Wohnung und als Formen und Farben in deren Formen und Farben gesetzt inszeniert Stahl sein Melodram-Personal familienaufstellungsförmig: als Familie, als Paar, Gruppe, als Doppelpfeiler aus Männern, zwischen denen der Held vor dem Flashback in Richtung Ruth rudert. Nur folgerichtig landet die Einstellung für Einstellung stillgestellte Leidenschaft am Ende, wenn Ellen als Attraktor und Agens abwesend ist (aber auch abwesend noch mehr als präsent), da, wo Konstellationen zur Befriedung gern landen: vor Gericht. Hier aber fährt der Furor in Vincent Price, peitschend, gepeitscht von falschen Stürmen. Es wird die weiche Ungebeugtheit des Paars Ruth und Richard obsiegen, das glückliche Paar, es bleibt für sie, weil Ellen allen Affekt flammend aufgebraucht hat, kaum noch ein Rest. (77cp)

 

Leave Her to Heaven

Leave Her to Heaven

© LA Entertainment