2. Mai 2023
10 x Michael Curtiz
Die Sklavenkönigin (1924)
Am Ende öffnen sich die Wände des Roten Meeres für das Volk Israel, das so aus der Gefangenschaft in Ägypten entkommt. Wände von riesigen Bauten geben dem Raum Grenzen, zwischen denen die Massen als Ornament stehen oder, gekonnt choreografiert, fluten. Der Außenraum ist Schauraum, gelegentlich gehört auch die Wüste mit Palmen dazu. Die Kamera zeigt das gerne in Totalen, ist aber kein einziges Mal zu einer Form von Bewegung zu bewegen, selbst eine Wand. Ein Historienfilm, enorme Arsenale für die Kostüme hat man vor Augen, fast wirklich noch als die erhabene Illusion, auf die dieses Kino hinauswill. In den Innenräumen eine Liebesgeschichte zwischen dem Buch und Kultur und dann der schönen Israelin Merapi zugeneigten Pharao-Sohn Seti, der auf Befehl seines Vaters (und nach der Vorlage des fruchtbaren Romanciers H. Rider Haggard) die Schwester Userti heiraten musste. Wo so viel historisch Äußeres und nicht weniger seelenlebendig Inneres quillt, müssen zwischen den in sich wuselnden statischen Bildern weitere Stützwände her: Text, viel Text und noch mehr Text, der zuliefern muss, was man in den monumentalen Bildern nicht sieht, und in der Zulieferung doch immer wieder stillstellt, was an äußerer Dynamik mit so großem Aufwand in Bewegung gebracht worden ist. (63cp)
The Kennel Murder Case (1933)
Die Kamera und die Fassade des Hauses, sichtlich Modell, haben gleich mal was miteinander: Hinter einem der Fenster kommt einer zu Tode, die Sache ist verwickelt, auch wenn sie zunächst nach Selbstmord aussehen mag. Philo Vance weiß es besser, und weil er der Detektiv ist, den sich S.S. van Dine ausgedacht hat, muss es sich, das ist dessen Spezialität, ein locked room mystery sein. William Powell ist mit vertraut sympathischer Süffisanz Vance, hat leider keine Myrna Loy an seiner Seite, ein schwarzer Terrier ist nicht wirklich Ersatz. Als immerhin recht dicker Mann darf Eugene Pallette weniger smart sein als Vance, der gegen Ende an einem Architekturmodell vorführt, wie sich, was sich abgespielt hat, abgespielt hat. Es ist kompliziert, er nimmt die Stockwerke ab, hier eine Tür, da eine Verbindung, dieses Fenster und jene Lage im Raum. Ein chinesischer Koch, der ein Porzellan-Kenner ist, gerät in Verdacht, aber gerade dieser Verdacht wird des rassistischen Untertons überführt. Dann sind da ein weiterer Hund, die eine und die andere Dame, ein Dolch, die Auflösung des Locked-Room-Rätsels am nicht ganz seidenen Faden. Außerdem eine Leiche, die noch aus eigener Kraft die Treppe hinaufsteigt und das Fenster schließt. Michael Curtiz tut mit Reißschwenks synthetisch, die zusammenführen, was nicht zusammengehört, und er tut analytisch mit Blenden aller Art, die die Bilder trennen, die sie verbinden; noch dazu wird der Kamera in der Auflösung schwindelig subjektiv, aber das eine wie das andere und auch das dritte ist vor allem dazu gemacht, Tempo ist eine verwickelte Geschichte zu bringen, die andererseits durch mehr als eine Verdachtsmoment-Diskussions-Stehkonferenz ausgebremst wird. Der wahre Hergang ist wirklich enorm ausgetüftelt, Curtiz tüftelt mit Kamera und Montage hinterher, weil man bei einer Geschichte, die nicht ernst zu nehmen ist, doch mit dem Nicht-Ernstnehmen ernst machen kann. (73cp)
Female (Curtiz/William A. Wellman; 1933)
Im Draußenfilm vor dem Fenster hinter dem Chefinnentisch qualmt es aus Schornsteinen, meist mehr, manchmal weniger schwarz: Dies ist, immer präsent, die Autofabrik, in die wir qua Montage (von Wagen, von Film) gleich in den ersten Bildern eingeführt wurden. Am Schreibtisch vor dem Fenster und in der Runde der Management-Männer sitzt: Ruth Chatterton als Alison Drake. Strikt professionell im Büro, Männer, die ihr gefallen, lädt sie abends ins Anwesen (im Außenbereich ist das in Frank Lloyd Wrights Ennis House gedreht), das über alle Schikanen verfügt, Bibliothek, Swimming Pool, Hausorgel, alle per Knopfdruck übermittelten Befehle erwartende und ausführende Männer. Die eine Sphäre, der Arbeit, ist ohnehin männlich kodiert, aber auch im Privaten ist die Frau, die sich die Männer nach ihrem Gusto als Gigolos holt, nicht weiblich genug. Am Schießstand als Ort der Exterritorialität gerät sie an einen Mann, der erst nicht weiß, wer sie ist, und sie darum als Frau zu nehmen versteht, während er, als er es weiß, trotz reichlich Wodka gegen die Rollenverkehrung (sie aktiv, er passiv) Widerstand leistet. Am Ende rast sie, aktiv genug, ihm hinterher, um sich, ihren Kopf und ihr Begehren und überhaupt ihren Körper auf den Beifahrersitz zu verfügen, auf den sie, selbstbewusst und von der Konvention doch kujoniert, auch in einem gar nicht braven Pre-Code-Film wie diesem zuletzt gehört. (73cp)
Captain Blood (1935)
In der großen Schlacht zum Finale brechen und biegen die brennenden Balken, ein großes Franzosenschaft fliegt in die Luft. Gewaltig stoßen die Vielmaster auf der Studio-See aneinander, Enterhaken schlagen in Körper, an Seilen schwingen sich die zu Patrioten gewendeten Piraten wider die Franzosen. Strahlend, groß und mit blondesten Locken, steht Errol Flynn als seinerseits vom Dissidenten zum Feldherrn gewandelter Held. Es schmettert, schmetterwillig von Anbeginn, das Orchester den Score, den Erich Wolfgang Korngold für es komponiert hat. Zuvor hat Captain Blood, zwischendurch, Basil Rathbone als unzuverlässigen Franzosen im Fechtkampf aus dem Felde geräumt, der liegt am Meeresstrand, von der Gischt überspült. Auf die Insel ist Blood als Sklave geraten, den die junge Olivia de Havilland statt ihres schurkischen Onkels sich für 20 Pfund kauft. In den politischen Widerstand ging Peter Blood ohne viel Zutun nur in Ausübung seines Berufs als Arzt. Als Heiler der Gicht gewinnt er sich dann in Gefangenschaft ein Stück Freiheit zurück. Curtiz inszeniert das wie stets so, dass wenig Verschnaufpausen bleiben, die Spektakel- und Massenszenen bieten den Zuschauern mehr als genug für ihr Geld. Eher atemlos wird die arme Olivia de Havilland periodisch (und natürlich zum Schluss) aus den Kulissen neben den Helden geschoben, der Abwechslung halber, wie an anderen Stellen Humor oder Running-Gag-Bibelsprüche. Sie ist ein Liebesobjekt, für das sich weder der Held noch der Film so recht interessieren: Sie haben anderes, Größeres, nämlich viel Swash und viel Buckle im Sinn. (61cp)
The Walking Dead (1936)
Kurviger Plot, rasende Autos. Ein aufrechter Richter muss sterben (und wird als Toter quer auf den Rücksitz eines Autos gelegt), ein Unschuldiger wird von finsteren Hintermännern zum Täter erkoren, das Paar der Augenzeugen zögert, das korrumpierte Rechtssystem zögert hinaus, bis es zu spät ist. Oder auch nicht, schließlich arbeitet das von schlechtem Gewissen gepackte Paar in einem Labor. Hier arbeitet man an der Wiederbelebung der Toten. Und so wird der Hingerichtete aus dem Reich der Toten geholt. Ein bisschen schief geht er schon, eine graue Strähne im Haar hat er auch, ein Blutgerinnsel im Hirn, zum Leidwesen des Mad-Scientist-Professors rückt er mit seinen Jenseitserfahrungen nicht wirklich heraus. Dafür jedoch hat er die Kraft, die Schuldigen durch bloßes Gegenüberstehen zu töten. Als reichte es, ihnen ihre schurkischen Taten zu spiegeln: Sie stürzen und sterben. Bloß kein Stillstand, Auto rast durch die Dunkelheit, die Montage lässt sich in Sachen Tempo nicht bitten, die Kamera legt gerne den Kopf schräg und kommt erst zum Schluss wieder ins Lot. (60cp)
Angels With Dirty Faces (1938)
Hinein in eine quirlige Welt, Menschen auf der Straße, auf den Treppen, auf den Balkonen, die Kutschen, die nach dem Zeitsprung von 1920 in die Film-Gegenwart von Automobilen abgelöst sind. Es ist Rocky Sullivans Welt, im Zeitraffer handelt Curtiz ein Verbrechen, dann Knast, dann Verbrechen, dann wieder Knast ab, bis zur Entlassung in die quirlige Welt, in der die Dead End Kids bereits darauf warten, dem Vorbild zu folgen. Klein, energetisch, whaddaya say, whaddaya now, mit viel woise (für worse) im Akzent, strahlend noch, wo er als betrogener Betrüger Humphrey Bogart um die Ecke bringt, weil er muss. Recht verloren steht Ann Sheridan im Bild, die Dead End Kids overacten, als ginge es um ihr Leben (oder als wären sie auf der Bühne), der Film macht Tempo in den statischen Szenen, er eilt mit Schnitten, Blenden, Zeitungsausschnitten voran und gibt dem moralischen Konflikt des Helden zum Tode dann zehn lange Minuten, tatsächlich in der Anstalt von Ossining gedreht. Am Ende ist der wahre Held der, der stark genug ist, durch turning yellow Schwäche zu zeigen, auch und gerade da, wo gar keine ist, spielt dem Priester, der Moral und dem Hays Code in die Karten. Aber verkehrt ist es nicht. (65cp)
Romance on the High Seas (1948)
Alles wird hier solange verwechselt, bis New York am Zuckerhut liegt. Bis die Frau, die nicht singen kann, in Rio alle mit ihrer Stimme und Performance bezirzt. Der Mann, der die Falsche geliebt hat, wird mit der Richtigen glücklich. Zwei Männer an der Bar werden sturzbesoffen vom Alkohol, den sie nicht trinken. So geht das zu. Zu Lande, auf dem Wasser und in der Luft. Auch Türen gehören zum Verwechslungsboulevard, eine geht links zum Aufzug hinein, einer kommt rechts aus dem Aufzug heraus. Im Bett liegt diese und jener. Misstrauen bringt alles in Gang, Busby Berkeley bringt es mit recht unspektakulärer Eleganz immer mal wieder zum Stillstand, die Musik will Nummern, die sich mehr oder weniger fügen. Sonst regiert der Unfug anderer Art, Innuendo und Sarkasmus, Oscar Levant wieder der, der am Klavier unglücklich liebt, es ist aber, wie alles hier, keine ernst zu nehmende Sache; der Detektiv, der sich beim Job in die Blondine verguckt, die die Regeln der gehobenen Gesellschaft so wenig beherrscht wie er selbst. Und so turteln sie, overdressed und overtipped, Doris Day besitzt die Magie forscher Naivität, die sich in aller Unschuld nimmt, was sie bekommt und es, genau so, am Ende natürlich verdient, so leben sie denn happily ever after. (81cp)
Flamingo Road (1949)
Südstaatlich satt wird eine Welt mit Namen Boldon ausgemalt, hingesetzt. Da sitzt, als umfangreiche Verkörperung des abgrundtief Bösen, Sydney Greenstreet als Sheriff Titus Semple im Stuhl auf der Porch und zieht die Fäden. Besonders jämmerlich zappelt an einem von diesen ein Mann, der sich Field nennt (von Fielding), einen albernen Cowboyhut auf dem Kopf trägt und dem Sheriff alles, am Ende sein Unglück, verdankt. Alles gerät aus dem Gleichgewicht des Bösen, als der Zirkus in die Stadt kommt und, als er fluchtartig wieder abreisen muss, eine Frau zurücklässt, die eben noch exotisiert tanzte, nun aber, es ist Joan Crawford, bleibt, Köpfe verdreht, den Machenschaften des Sheriffs widersteht. Den einen Kopf, nämlich Fields, dreht Titus mit Gewalt und mitsamt Cowboyhut wieder zurück, in Richtung zum Scheitern verurteilte Ehe mit einer recht öden Annabelle. Er hat aber die Rechnung ohne den Politiker Dan Reynolds gemacht, der sich Joan Crawford schnappt, die es so ins Anwesen in der Prachtstraße, der Flamingo Road, schafft. Natürlich hat Titus, schon aus Prinzip, etwas dagegen. So weit hat das seine nicht einmal sonderlich zur Übertreibung neigenden melodramatischen Meriten, wird im letzten Viertel aber mit wenig plausiblen Umschwüngen (Joan Crawford kommt, ohnehin etwas maskenstarr, mimisch nicht mehr hinterher) holterdipolter in Richtung Happy End prozessiert. (65cp)
The Breaking Point (1950)
Sein Haus (nicht groß), seine Frau (nicht blond), sein Boot (die Sea Queen), sein bester Freund (schwarz), seine Töchter: Harry Morgans Geschäfte gehen nicht gut, aber dann nimmt er einen Mann (reich) und eine Frau (blond) und damit das Unglück an Bord. Das Geld lockt, die Frau verführt, beim Auftrag, asiatische Männer über die Grenze zu schmuggeln, läuft etwas schief. Er verliert sein Boot und als er es wiedererlangt, ist seine Frau blond, ein nächster Auftrag und es kommt noch mehr Unglück an Bord. To have and have not steht nicht drauf auf dem Film, ist aber drin. Ein Mann, der sich zu bewähren hat, der sich und seine Möglichkeiten überschätzt, Hemingway-Existentialismus mit Blicken in die Wohnstube (eng) und ins Glas (Drink) und aufs Meer (weit), Shootout auf offener See. John Garfield in seiner vorletzten Rolle ist dieser stoisch verzweifelte Mann, steckt sich den Revolver in die Hose, im Glauben, es ließe sich alles ein für alle mal regeln. Curitz inszeniert die Überfahrt als Höllenfahrt so gewohnt smooth und dynamisch wie den Überfall auf ein Wettbüro, die Noir-Elemente (wenn nicht Klischees) sind so selbstverständlich im Spiel wie der schwarze Spielkamerad der Kinder. Störend übriggeblieben sind ein paar Voiceover-Monologe, ein Fehler des Drehbuchs; es ist aber auch so, dass es der Inszenierung in ihrer Weltläufigkeit ein wenig an Hemingways tragifiziertem Männer-Jammer gebricht. (Peckinpah hat den Film freilich geliebt.) (71cp)
The Scarlet Hour (1956)
Die Femme ist blond und fatal, Carol Ohmart ist es, der ein Immobilienverkäufer verfällt. (Schwer zu glauben, dass ein Klotz wie Tom Tryon auch nur ein Apartment verkauft.) Sie ist die Frau seines Chefs, der bald etwas ahnt. Mit dem Eifersuchtsplot ist ein anderer, selbes Genre, ganz andere Sache, als schöne Verwicklung gekreuzt: Beim Stelldichein am Rande der Straße erfährt das Paar in flagranti von einem Juwelenraub-Plan; und plant den Überfall auf die Diebe - die Frau mit Herkunft aus Armut (sie zeigt dem Geliebten den Ort) will Zukunft in Reichtum, das ist ihr wichtiger als der Mann. Mondän genug ist ihr Leben, im Nachtclub singt Nat «King» Cole. Interessanter als die Haupt- sind Nebenmotive: die tapetengroße Karte der kalifornischen Küste an der Wand des Büros; der riesige Anrufbeantworter, dessen Erase-Schalter rechtzeitig und doch zu spät umgelegt wird. Das Anwesen mit dem Swimming Pool, der ominöse Fremde, der dort und dann auch anderswo auftaucht. Eine Szene im Plattenladen zwischen «Just Jazz» und Popular Music. Verblüffendster Credit: Frank Tashlin ist einer der Drehbuchautoren. Late Noir, Paramount-Produktion, handwerklich sehr gekonntes B-Movie, oder auch ein A-Movie auf der Suche nach dem gewissen Etwas, das dann doch hinter keiner Tür steckt. (67cp)