hollywood 5/10

20. März 2023

5 x Curtis Bernhardt

Von Ekkehard Knörer

Die Frau, nach der man sich sehnt

© Leonine

 

Die Frau, nach der man sich sehnt (1929)

Im Schmelzwerk, wie eine Sinfonie der Fabrik beginnt der Film, der sich dann aber ganz anders und ganz anderswohin bewegt. Auf geht die Tür in die Geschichte der Firma, der Kontrolleur geht über die Bücher und schreibt «Pleite» auf die Scheibe des Fensters, die er mit seinem Atem angehaucht hat. Es geht dann so weiter, dass der Erbe die Tochter des Kontrolleurs heiraten will, wozu sie mit knapper Not den Segen des Vaters erhalten. Firma und Ehe gerettet, wäre da nicht, aus heiterem Himmel, der coup de foudre an einem anderen Fenster: Marlene Dietrich blickt aus dem Zug, trifft den Blick des Erben, sein Blick trifft den ihren, es ist eine Dreiecksgeschichte (am dickeren Ende: Fritz Kortner), die Geschichte einer Liebe, die alles zerbricht, eine Räuberpistole, denn es gibt einen Mordhintergrund. (Zugrunde liegt ein Roman von Max Brod.) Höhepunkt, neben dem Huschen von Lächeln, dem Erschrecken, dem Ahnen, dem Eineandereseinwollen in Marlene Dietrichs Gesicht, eine wilde Silvesterparty, das Jahr 1929 nähert sich, und zwar gewaltig, die Zeiger der riesigen Uhr im Hintergrund werden von weiblichen Händen verrückt. Mitten ins Gewusel aus Tanz, Luftschlangen, Sekt fährt die Kamera wie das Skalpell in einen zuckenden Leib, sortiert nicht auseinander, was ineinander gehört. So kommt keine Ordnung in die zueinanderstrebenden Körper, eine Drohung mit sehr kurzem Lauf steht im Raum, damit wird der Liebe und der Dreiecksgeschichte der Garaus gemacht. Wie aus einem bösen Traum erwacht nun der Erbe, Zugfahrt nach Hause, als könnte es nach all dem etwas wie ein Zuhause, und sei es ein Schmelzwerk, noch geben. (80cp)

 

Conflict (1945)

Humphrey Bogart ist ein Mann zwischen zwei Schwestern, von denen er, wie er findet, die falsche, die ältere geheiratet hat. Die das längst an, so subtil ist ihr Ehemann nicht. Zum fünften Hochzeitstag fasst er den Beschluss, die Gemahlin um die Ecke zu bringen, um so den Weg in eine glückliche Zukunft mit der anderen, einer unschuldigen frei zu machen. Er stürzt sie in dunkler Nacht im Gebirge mit dem Wagen einen Abhang hinab, worauf an der Unfallstelle eine Art Zeltkonstruktion aus Bäumen entsteht. Was wichtig ist, denn dieses Bild (eher: seine abstrakte Struktur) wird ihn verfolgen, indem es, psychoanalytisch verschoben, in anderen Gestalten wiederzukehren beginnt. Überhaupt ist Wiederkehr des (durch Mord) Verdrängten das Szenario des restlichen Films: Die Tote schreibt Briefe. Sie ruft an, ist dann jedoch nicht zu sprechen. Sie hat ein Schmuckstück bei einem Pfandleiher versetzt, den es beim nächsten Besuch nicht mehr gibt. Der Irrsinn beginnt in Bogarts Augen zu flackern, an seiner Unterlippe zu nagen. Als Analytiker, Arzt, Ermittler, Regisseur des Geschehens ist Sydney Greenstreet sein Gegenspieler von formidabler Statur. Mithilfe seiner Lenkung kehrt der Täter an den Tatort zurück, wo er zur Einsicht gelangt, dass er nicht die treibende Kraft, sondern der Getriebene war: Die Rose, die Rose Hobart bei ihrem Tod trug, wird ihm zum Verhängnis. (69cp)

 

My Reputation (1946)

Die Mutter trägt schwarz, viele Jahre nach dem Tod ihres Mannes. Jessica Drummond (Barbara Stanwyck), die Tochter, fährt Ski am Lake Tahoe, da ist ihr Mann, der lange krank war, noch nicht lange tot. Der Ski bricht, da wedelt, Spuren ziehend im Neuschnee, ein Mann heran: Major Scott Landis, er ist auf Urlaub vom Kriegsdienst. Sie schlingt die Arme um ihn als Ski-Mitfahrerin, sie greift nach dem Hut, Sturz, Skibruch, auf diese erste folgt weitere Annäherung. Da ist ein Mann, den sie heiraten könnte. Sie liebt ihn nicht. Das ist die Mutter, die die Konventionen der Gesellschaft vertritt und im Lebemann Landis den «scallywag» sieht, der er ist. Genau dieser «scallywag» ist es, den Jessica will, wohl wissend, dass die Gesellschaft es nicht gerne sieht. So entzieht sie sich seiner Annäherung, und steht bald darauf vor seiner Tür. Und geht hinein, Blick in einen Raum, in dem ein (ungemachtes) Doppelbett steht. Da fährt ihr und dem production code der Schreck in die Glieder. Es folgt elegantestes Pendeln, halb sinkt sie hin, halb schafft sie wieder Distanz. Aussprache mit den Teenager-Söhnen, die in einer Parallelaktion erste, unschuldige Liebesbeziehungen proben. Einschreitende, verbietende Kräfte auch sie, im Namen des Vaters, gegen das lose Wollen der Mutter, die für die lose Bindung (also, unaussprechbar: Sex ohne Ehe) an den Major zu kämpfen versucht. Sinnbild der Sorgfalt, mit der Bernhardt inszeniert: Ihre Erklärung vor den Söhnen, die beiden hinten zur Rechten und zu Linken im Licht, während sie vorne frontal am Tisch ganz im Dunkeln steht. Vom Schein der Freiheit im Neuschnee zum Kampf gegen die haltenden Kräfte der Gesellschaft, für die die Familie steht. Am Ende steht, am Bahnhof ein Kuss, die herbeigezwungene Versöhnung von Willen zur Unbändigkeit und Gesellschaftsbeharren in Form eines Heiratsversprechens. Jessica Drummond jedoch geht erhobenen Hauptes nach hinten davon. (75cp)

 

Possessed (1947)

Eine Frau wankt orientierungslos durch die Straßen, «David» ist das einzige Wort das sie sagt. Sie kommt in die Psychiatrie, es ist wie eine Rückwärtsgeburt, der Wagen, das Bett, Blicke himmelwärts, dann nur noch Decke. Die Ärzte - Männer, versteht sich - um sie versammelt, leer das Gesicht, enorm die Augenbrauen von Joan Crawford, die sich wie Balken biegen. Eine Droge bringt sie zum sprechen, der Film übersetzt es in verschwimmende Wasser, eine weitere Rückwärtsgeburt, Noir-Style: Flashback-Erzählung. Da haben wir «David» (Van Heflin), er spielt am Klavier und wird von ihr, der Frau, Louise, vergöttert. Sie fleht um seine Liebe, aus seinem Mund immer nur Sätze und Wörter mit Witz und mit Stacheldraht, die Trennung, die Wiederverbindung, mit dem Boot landet die Geschichte an einem Anwesen an, wo eine andere Frau eines anderen Manns, die Mutter einer anderen Tochter, auf ihre Krankenschwester, Louise, krankhaft eifersüchtig ist. Die aber bleibt besessen von David, wird begehrt vom anderen Mann, den sie nicht lieben kann. Fehlgeleitete Wünsche, wohin man auch blickt, die Stimmung, die Bilder, die Musik: ein Noir-Melodram, vor dem Fenster das Wasser, idyllisch und bedrohlich zugleich. Vor dem Fenster zur Frau: Männer in Kitteln mit Fachdiagnosen, Schizophrenie, Psychose, Rückblenden als Anamnese, in der sich ein Schuss löst. Schlusseinstellung: Kamerafahrt rückwärts, der Flur so leer wie das Gesicht von Joan Crawford, der Schrecken, der in ihm geschrieben stand, jedoch ausgetrieben. (74cp)

 

High Wall (1947)

Robert Taylor als Protagonist, dessen Erinnerung flackert. Fest steht, denn das sieht man gleich zu Beginn: Er fährt mit seiner toten Frau neben sich einen Abhang hinunter in einen Fluss. Er steht unter Verdacht, und zwar auch bei sich selbst, sie zuvor ermordet zu haben. Der Moment selbst jedoch ist aus dem Gedächtnis gelöscht, aus dem Krieg hat er eine Verletzung im Hirn, die die beträchtlichen Verwicklungen des Plots möglich machen. Erst kommt der Held in die Psychiatrie, es ist eine Frau, die ihn rettet. Nach längerer Weigerung zeigt er sich bereit, die Erinnerung unter Einfluss der Wahrheitsdroge zurückzurufen: Ein Flashback als wirklicher Traum, die Rückkehr, das Erschrecken der Frau, umgestürzte Stühl, ihr Hals, nach dem er greift. Dann Filmriss. Ansatz an anderer Stelle, bei einem anderen, sinisteren Mann. Es ist keine Frage der Spannung: Hier ist der Täter. Ihm eine Falle zu stellen, mit Umwegen über Liebe und Flucht, Ermittlung in eigener Sache als Mister Kimble avant la lettre; den Mann, der der Geliebte der Ehefrau war, in den Raum des Erinnerns in einem komplementären Flashback zurückzubewegen, auf die Schließung dieses Kreises kommt es hier an. Es ist kompliziert, ein Sohn ist auch mit im Spiel, was die Besiegelung der neuen Familie im Schluss-Kuss möglich macht. (73cp)

 

Possessed

© Warner Archive Collection