15. Dezember 2022
5 x John Reinhardt
The Guilty (1947)
Kommt ein Ich-Erzähler in eine Bar, dunkel ist’s, im Flashback sehen wir, was sechs Monate zuvor geschah: Klarer Fall von Film Noir. Zwei Frauen, von denen eine der andere gleicht, weil sie Zwillinge sind. Blond sind sie beide, eine gut, eine böse. Zwei Männer, die einander nicht gleichen, aber sie leben im selben Apartment. Der eine hatte mit der Bösen etwas, mit der nun der andere etwas hat. Eine stirbt, leider die Gute. Der Film präsentiert Stücke und Reste, Spuren und Ahnungen, wobei alles nur sehr vage zusammenhängende Räume und eine zusammenhängende Geschichte ergibt. Der Ich-Erzähler trägt die meiste Zeit Trenchcoat und auch sechs Monate später noch Oberlippenbart; es fallen Schüsse, der Täter kehrt nicht zum ersten Mal auf die Toilette zurück, von der aus die Leiche in einen Schacht hinein sollte. Sie hat nicht gepasst. Aber was hier nicht passt, wird am Ende passend gemacht. (62cp)
High Tide (1947)
Reizvoll ist eher, was man im Hintergrund sieht. Auf dem Polizeirevier beginnt hinter der Tür in der Mitte zentralperspektivisch die Welt der Rückprojektion: Ein Draußen, das technisch vom Drinnen getrennt ist, die prekäre Verbindung wird durch Statisten verkörpert, die vor der Tür drinnenweltlerisch draußen performen. In der Zeitungsredaktion hängt an einem Pfeiler im Raum, keineswegs ins Zentrum gerückt, ein Zettel, auf dem groß «Accuracy» steht, mit Ausrufezeichen. Im Zimmer des Chefs in der Ecke ein großer Globus zum Drehen, neben dem Tisch ein riesiges Buch, Telefonverzeichnis vermutlich, auf einem Pult wie eine Bibel bei Hieronymus im Gehäus. Was sich im Vordergrund abspielt, ist, nach einem Pulp-Roman von Raoul Whitfield, zu größten Teilen generisch, erzählt im Film-Noir-Flashback. Ein Auto ist die Klippe hinuntergestürzt, am Ufer des Meeres auf den Füßen gelandet, die Protagonisten sitzen und liegen, halb tot der eine (er wird sterben), halb tot der andere (er wird überleben), die Flut kommt, wer sie sind und was ihnen widerfuhr wird als Rückblende erzählt. Es geht um die Zeitung und Geld und Ehrgeizu und Machinationen, das Übliche also, zwei Frauen gibt es, die es aber nicht zu Femme-Fatale-Status bringen. Alles ist B, und als B ist es schön. Die Dialoge, die Bilder, die Darsteller*innen: aus Pappe, aber die Pappe ist ziemlich solide. Einmal hat John Reinhardt, der ansonsten stocknüchtern bleibt und damit nichts falsch macht, eine Idee: Eine Frau empfängt einen Mann an der Tür, Scherenschnitt-Schlagschatten an der Wand, die beim Schließen der Tür von der Schwärze ausgelöscht werden. Dann weiter im Text. Siebzig Minuten, die Zeit wird nicht lang. (63cp)
For You I Die (1947)
Dunkel ist’s und dunkel bleibt es. Erste, lange Szene ein Tunnel, am Ende nur Licht. Hier verbergen sich die zwei auf der Flucht aus dem Knast, zu der einer den anderen nötigen musste. Der Genötigte ist nun auf Bewährung. Ort der Bewährung ein Motel mit Bar, zwei Frauen, eine blond eine brünett, und eine dritte Frau, die Wirtin, die zwischendurch singt, und zwar durchaus ergreifend. Ebenfalls zu Musik aufgelegt: Mischa Auer, der zu Brahms von der Platte vor seinem Trailer dirigiert; gleich darauf ein Auftritt seiner Frau, Kastagnetten und Tanz. Das ist so willkürlich dazwischengestreut, dass die Willkür des Dazwischenstreuens den Charakter des Ganzen verändert. Das ist, die weitestgehende Einheit des Orts hilft dabei, ein Rumhängefilm. Insgesamt bleibt es dunkel, ob Tag oder nicht, lange tut sich recht wenig, außer Rumhängen eben, dann Überfall, Bewährung des Helden, die Polizei kommt und geht wieder, Spannung bleibt auf gute Art eher aus. So finster es ist, im Bild, so sehr die Atmosphäre vom Noir her weht, so sehr will alles doch auf Versöhnung, Verzeihen, Bewährung hinaus. Und auf Liebe natürlich, die Wirtin schafft für Momente ein schützendes Off: And so it ends with a kiss, und was auch immer der Titel behauptet, niemand muss sterben. (75cp)
Open Secret (1948)
«He was playing Hitler, but in the wrong precinct.» Fast letzte Worte des Polizisten über den Mann namens Phillips, der das Alias liebt und Juden und andere Ausländer hasst. In ein Wespennest von Nazis in den Post-War-USA stechen in aller Unschuld die frisch verheirateten Paul und Nancy Lester. Sie wollen nur einen alten Freund Pauls besuchen, der Fotograf ist und der mit Fotos sich in Schwierigkeit bringt; sie erweist sich als tödlich. So wird das Paar zu Honeymoon-Detektiven auf der Suche nach MacGuffins aka Fotobeweisen. Die beiden werden vom ominös-turbulenten Soundtrack-Orchester durch schummrige Hinterzimmer gehetzt, die weder ihre eigenen noch die Suiten sind, in die sie der Hochzeit wegen gehörten; zwischendurch lümmelt die Polizei auf der Couch. John Reinhardt schafft mit dem wenigen Geld, das er sichtlich hat, sinistre Atmosphären, fast mehr noch, bevor sich das Ungute, das in der Luft liegt, als Nazi-Dunkelmann-Ring vor angedeutetem Reiche-Unterstützer-Hintergrund konkretisiert. Dafür setzt in den Momenten, in denen der Kampf sich entscheidet, die Musik einfach aus: Ideologisches Handgemenge ohne Glamour, als käme mitten im Genre die Wirklichkeit kurz mal zu sich. (68cp)
Chicago Calling (1951)
Eine auktoriale Erzählerstimme, die dann schnell ins Off verschwindet, oder besser: in die Straßen von Los Angeles hinein diffundiert. Hier landet in einem Gang, auf einer Treppe der Fokus auf einem Vater, Dan Duryea, mit seiner Tochter. Sie wird, mit ihrer Mutter, die den Mann, der ein Trinker ist, immer noch liebt und dennoch verlässt, in Richtung Chicago verschwinden. Der verlassene Mann ist verzweifelt, es wird, weil er nicht bezahlt hat, die Telefonverbindung gekappt - woran von einem vom Erzähler so gewollten Moment auf den anderen, der Rest seines Lebensglücks hängt. In einem Telegramm berichtet die Mutter, die Tochter habe einen Unfall gehabt, sie werde am nächsten Tag anrufen und von der Lage berichten. Es beginnt eine Odyssee, beinahe neorealistisch in den Straßen gefilmt. Dan Duryea ist auf der Suche nach Geld, findet einen Jungen, schaufelt Steine auf dem Bau, die eine will ihm Gutes, der andere nicht. Ethische Versuchung, Geld wird gestohlen, verloren, wiedergefunden. Das alles auf knappem Raum, die Dialoge sind mehr plump als subtil, dramatischer Höhepunkt ein Beinahe-Selbstmordversuch, endlos scheint das Rattern der Eisenbahn, die den Blick auf das Geschehen verstellt. Am Ende eine Ersetzung, als eine Art Happy End aufs Unglück gesetzt. Vieles, das Leben der Stadt, aber auch das Spiel von Duryea, wirkt, wie nicht ganz unter Kontrolle gebracht, überall steht und schießt etwas über, manchmal krude, manchmal anrührend, nie ganz egal. (74cp)