12. August 2022
5 x Lewis Seiler
Career Woman (1936)
Die Wahrheit und die Rhetorik treten auf vor Gericht. Erst die Rhetorik: Staranwalt Barry Conant (Michael Whalen), der für die Jury den Todkranken spielt. Ein Biss in den Käse bringt Evidenz. Dann die Wahrheit, im Publikum erst, auf die des Performers Blick unweigerlich fällt: Carroll Aiken (Claire Trevor). Als Anwältin, die zum Studium in die Großstadt ging, kehrt sie nun in ihre Kleinstadt zurück. In Dorfgeflüster-Montagen zerreißen die Menschen, dürr, hager, vorurteilsbeladen, sich über die Karrierefrau, die sie sich nicht anders als hochnäsig vorstellen wollen, das Maul. Hochnäsig ist sie jedoch nicht, großzügig schon: Sie schenkt einem Mauerblümchen ein Kleid, sie gesteht dem Mann, ein Mauerblümchen auch er, ihre heimliche Liebe, er revanchiert sich durch Gegengeständnis. Ihr Vater sieht es, droht, kontrastschattenreich wird das Bild, erstaunlich intensiv atmosphärisch der Film. Draußen Regen, drinnen Gewalt: Er nimmt den Gürtel und peitscht sie. Sie nimmt die Bürste und schlägt ihn. Er stürzt, er stirbt, sie kommt vor Gericht. Die Wahrheit, die Karrierefrau, macht vor der rein männlichen Jury keinen Stich. Rauscht die Rhetorik herein, lässt eine hinreißende Dorfbeschimpfung vom Stapel, zieht Hass auf sich, öffnet der Wahrheit, der Frau so das Feld. Langer Schlussmonolog, Großaufnahme Trevor, die spricht und spricht und spricht. Liebes-Happy-End Nummer eins vor Gericht. Nummer zwei wenig später: Rhetorik und Wahrheit gehen ein Bündnis ein, und zwar, wie es sich gehört, zugleich strategisch und echt. (76cp)
It All Came True (1940)
Gleich zu Beginn ist einer tot. Gangster, Flucht, ernste Sache, so scheint es. Der Mörder, es ist Humphrey Bogart, schlüpft unter in einer von zwei alten Damen geführten Pension. Hier wird ihn niemand vermuten, hierhin hat ihn der moralisch untadelige Pianist Tommy Taylor geführt, unter diesem Dach lebt auch die Frau, die er liebt, und sie liebt ihn auch, aber das alles braucht noch ein bisschen, Ann Sheridan spielt sie, formidabel ist kein Ausdruck dafür, wie sie das tut. Überhaupt ist in dieser Pension (und im Film und seinen Geschichten, deren Allegorie das Haus dann auch nocht ist) sehr viel mehr Platz, als man denkt. Es gibt einen etwas dementen älteren Herrn, der periodisch nachfragt, wann seine verstorbene Frau, deren Gemälde groß an der Wand hängt, denn kommt. Zwischendurch singt Ann Sheridan, am Klavier von Tommy Taylor begleitet. Hoch komisch wird eine kleine Revue, pathetischer Gedichtvortrag, Humphrey Bogart lacht gackernd und leidet sich windend als Gast auf der Couch, Ann Sheridan sitzt gleich daneben. (Gerne würde er was von ihr wollen, aber es ist leider klar, dass er als Mörder am Ende nicht davonkommen kann.) Auftritt Magier (Felix Bressart), vage römisch gekleidet, dazu der Hund, der sich nicht mit der Nebenrolle begnügt. Dreierlei also mindestens, Gangster-Garn, Komödie und auch Revue-Film. Spätestens, als Bogart die marode Pension rettungshalber in einen Nacht-Club verwandelt - und plötzlich ist im Wohnzimmer auch noch Raum für eine Bühne, eine Vielzahl von Tischen und mancherlei mehr, es ist geradezu märchenhaft, wie sich das Haus immer erweitert -, übernimmt die Musik, übernehmen Auftritt, Tanz und Gesang, etwa eine Choreografie älterer Damen endgültig das Kommando. Da ist Bogart in etwas hineingeraten, das sich traumwandlerisch und hinreißend albern immerzu vom einen ins andre verwandelt. So schnell geht das, so unversehens, man verwandelt sich nur zu gern ständig mit. (80cp)
The Big Shot (1942)
Im Moment der Windstille, des kurzen Glücks, bevor dann kommt, was kommen muss, sitzt Humphrey Bogart, Duke Berne, The Big Shot, in einem Schaukelsessel - in einem der gar nicht so seltenen komischen Momente ist er zuvor darin hintenübergekippt. Nun sitzt er, die Frau, die er liebt, brutzelt etwas am Herd (es wird am Ende verkohlen), diese Frau liebt auch ihn, so sehr sogar, dass sie seinetwegen den Anwalt verlässt, der ihn als Verteidiger in den Knast gebracht hat (es ist, wie man sieht, kompliziert). Nun aber sitzt er noch, zwischen der einen Flucht und der anderen, rasant sind sie alle, Seiler (oder die Second Unit) haben da ziemlich tolle Action-Sequenzen gedreht, nun aber sitzt er im Schaukelsessel, blickt auf das Feuer im Kamin und das Feuer im Kamin blick auf ihn, Humphrey Bogart, zurück. Genauer gesagt: Die Kamera sitzt im Kamin, man sieht die Begrenzung, man sieht durch das Feuer, man sieht, als briete er über dem Feuer, Bogart dahinter. Sehr eigenwillige Einstellung, auch sonst ist dieser nicht über die Maßen zusammenhängende Film ein gelegentlich spektakuläres Kino der einzelnen Attraktionen: Da ist zum Beispiel eine Überblendung von Gefängnis und Gitter, ziemlich experimentell ins Leere gestellt. Da ist die Flucht aus dem Knast, ein Mitausbrecher namens The Dancer, der tatsächlich die ganze Zeit tanzt, als säße ihm der Jitterbug im Genick, tritt erst im Gefängnistheater in einer (uff) Minstrel-Show auf, Duke Berne führt als Beleuchter das Spotlight; draußen dann ist es das Spotlight der Wachen, das den Dancer an der Mauer einfängt: Schüsse, der Tod. Noir-Routinen, auf unerwartete Weise punktiert. (70cp)
Whiplash (1948)
In medias Boxkampf: Ein Mann bekommt einen Schlag auf den Kopf, Schnitt an den Strand, es setzt die Erinnerung ein an bessere Zeiten. Michael Gordon (Dane Clark) versucht sich als Künstler, hat zur Freude der umstehenden Kinder eine Skulptur aus Sand geformt, in der Bar hängen Bilder, die er gemalt hat. Der Plot, der sich mit dem Umständemachen ziemlich temporeich wenig Umstände macht, kommt in Gang, als eine Unbekannte (Alexis Smith) ein Brandungs-Bild kauft. Sie versteht den Mann, sie singt, es funkt, sie verschwindet. Und zwar vom kalifornischen Meer nach New York. Wiederbegegnung in einem Club. Sie singt, er folgt, sie erweist sich als Braut eines bedeutenden Gangsters, Ex-Boxer im Rollstuhl (Zachary Scott). Der erkennt den Konkurrenten, aber auch dessen Box-Talent, Michael Gordon wird zum Star, und zwar, sehr schön, unter dem Künstlernamen (im doppelten Sinn) Mike Angelo. Verwicklung, da ist der trunksüchtige Bruder der Braut, Arzt mit vermeintlichem Operationsfehlerhintergrund. Es schließt sich der Kreis, Rückkehr zum Boxkampf des Anfangs, Madison Square Garden, Küsse, Schüsse, ein Sturz mit dem Rollstuhl hinunter in den Verkehr. Ein Film, der nie nicht unterhaltsam ist, zwischendurch als (mehr als nur) comic relief Auftritte von Eve Arden als etwas unbegreiflicherweise gefriendzonete Freundin von Michael. Über Geschmack lässt sich nicht streiten, das Tempo ist und bleibt hoch. (70cp)
Over-Exposed (1956)
Das Kino macht sich Bilder von anderen Medien, konkret: von Fernsehen und Fotografie. Das Medium dieser Bilder ist eine Blondine, Cleo Moore, die, kaum in der Stadt, bei einer Razzia aufs Polizeirevier kommt. Schicksalbegegnung mit einem alten Fotografen, einst sehr erfolgreich, nun zu oft betrunken. Er nimmt sie auf und will nichts weiter von ihr. Das wird betont, hier und auch später, wenn andere Männer sich nähern und Sex vielleicht wollen, jedoch nicht bekommen. Der Fotograf nimmt die junge Frau in die Lehre, macht aus ihr Lila Crane (sie trägt einen weniger eingängigen Namen), man sieht gleich: Es ist auch eine ins fotografische Metier verschobene Hollywood-Star-Geschichte. Lila Crane macht Karriere als Club-Fotografin. Höhepunkt des Films ist der Auftritt des anderen Mediums: eine Fernseh-Show. Die Moderatorin ruft an bei Crane, der Film framet sich nun über Minuten als diese Show, darin als mise-en-abyme der Fernseher (im Fernsehstudio), der die Fotografin im Rahmen einer Home-Story zeigt. Zwar muss Lila Crane vom Pfad der karrieretechnisch in Kauf genommenen Zwielichtigkeit zur Ehe und zur seriösen News-Agency finden, zwar verirrt sich der Plot zu diesem Zweck kurz in Richtung Gangstertum und Schießerei. Jedoch besteht an der Aufrichtigkeit, dem strahlenden Können der Heldin kein Zweifel, sieht der Film auch in ihrem Aufstiegswillen nicht das Problem. Domestiziert werden muss sie, bestraft werden nicht. (70cp)