japan 5/7

5. Oktober 2022

5 x Akio Jissôji

Von Ekkehard Knörer

Mandara

© Arrow Video

 

Yoiyami semareba (1969)

Die erfolgreiche Karriere beim Fernsehen, vor allem als Regisseur vieler Ultraman-Folgen, war Jissôji nicht mehr genug. Er zieht sich zurück, mit diesem 45-Minüter ganz buchstäblich in einen einzigen Raum. Drei junge Männer, eine junge Frau, erst diskutieren sie über erfolgreiche Pop-Songs, dann geht es um den Ernst des Lebens, Bewährung, Leben und Tod. Einer hat die Idee zu einer törichten Mutprobe: Er öffnet den Gas-Hahn, wer am längsten durchhält, ist der Gewinner. Ein Kammerspiel, ja, ein Gas-Kammer-Spiel, das Drehbuch von Nagisa Oshima entblödet sich nicht, seine Protagonisten sich in Parallele und Kontrast zum Todeslager wähnen zu lassen. Die Intensität, auf die sie mit ihrem Spiel hinaus wollen, diese Intensität analysiert Jissôji weniger, als dass er sie mit allen filmischen Mitteln seinerseits heraufzubeschwören versucht. Viel Dunkelheit und Schwarz im Schwarz-Weiß, Close-Ups, Schweißfilm auf dem Gesicht, Schweißtropfen, zunächst Pop-, dann ins Atonale gehende Streichermusik. Entscheidungssituationen auf Leben und Tod, Anspannung, gefilmte Postpubertät. (62cp)

 

Mujo / This Transient Life (1970)

Sinnsprüche über das Leben und seine Vergänglichkeit, schwarz auf weiß, this transient life. Drei Häuser, eines mit Vater und Mutter und zwei Kindern, die nicht in die Konvention der Welt hinaus wollen; eines, in dem ein Bildhauer lebt mit Sohn und viel jüngerer Frau; das dritte ist ein buddhistisches Kloster, hier ist der Mönch. Immerzu, unaufhörlich, jederzeit und stets in Bewegung: die Kamera; und wenn nicht bewegt, dann gerne verkantet. Kaum je erreicht der Film das, was sonst der Normalzustand wäre. Blicke, Fahrten nach oben, zur Seite, Verfolgung der Figur, Eigenbewegung, Verstellen des Blicks, bewusste Komposition, Häuserkante, Oberlippe, auch da, wo nichts geschieht, geschieht immer etwas. Die Bilder schwarz-weiß, und zwar sehr. Körper im Bild, an denen die Bewegung der Blicke haftet, mal mit festern Zügeln, mal so lose, dass sich der Raum selbst, die Komposition selbst, die Bewegung selbst in den Vordergrund schieben. Da sind aber auch Yuri und Masao, Schwester und Bruder. Da setzen sie sich die Nō-Masken auf, fremde Gesichter, jagen einander durch das Vaterhaus, Mutterhaus. Er greift nach ihr, erst mit Gewalt, dann gibt sie sich hin, der Inzest ist der Bruch mit allen Regeln, aus dem Masao eine buddhistische Philosophie zu machen versucht; Frauen verachtend sah man ihn schon mit einer Prostituierten, er nimmt, was er kriegt, er übertritt alle Regeln und redet sich ein, er bringe so Farbe ins Leben der andern. Der Mönch sieht zu, der Sohn des Bildhauers sieht zu, Ersatzlüste, und auch wir sehen zu, den Händen auf nackter Haut, auch die Netzhaut der flottierenden Kamera scheint auf der Suche nach einer eigenen Form von Nacktheit zu sein. Und doch ist da vor allem der Eindruck der Suche, des Hetzens, ein Riss aus der Verankerung, der sich längst verselbständigt hat, so dass der Bruch aller Regeln fast nicht ins Gewicht fällt. Dazu laut, eher schroff als harmonisch, Streichmusik immer wieder, der Bogen ahmt die Ruhelosigkeit der Kamera nach, oder die Kamera imitiert den Streichinstrumentbogen. Dazu ein schrilles Klingeln, wieder und wieder; als ob irgendjemand hier, bei dieser alle Ebenen durchwirkenden Schlaflosigkeit, noch geweckt werden müsste. Eher ist der ständige Drang und Andrang der Bilder, Töne, Kanten und Bogenstriche auf die Dauer etwas ermüdend. (65cp)

 

Mandara (1971)

Partnertausch in einem Motel am Meer, die Architektur ist brutalistischer Caligari, schräge Wände, Beton, nackte Körper im Weißen, schrille Orgeltöne dazu. Die Männer sind enttäuschte Revolutionäre, die Räume werden von versteckten Kameras beobachtet, dahinter ein Sektenführer und seine Sekte, die Bilder selbst sind jissôjiistisch deformiert: ein fischäugiges Unten, unter die Decke gehängt, aus dem Lot, Hauptsache dezentriert. Der Plot ist ähnlich unzugänglich verzogen, es kommt zu Vergewaltigungen am Strand, zu Vergewaltigungen im Caligari-Motel, draußen ist Feuer und Tanzen, schwarz-weiß sind die Bilder, dann wieder in Farbe. Es ist eine ästhetisch geschlossene Atonalitäts-Komposition, dazu steht der postpubertäre Sektendialog um Zeit und Eros, eine brutale, aber schwer nachvollziehbare Ideologie, noch einmal schräg. Politische Lesarten denkbar, dafür aber reichlich viel Lust am Zeigen expliziter Gewalt; und kein Sinn, der das abfängt. Spät kehrt das Schrillen aus Mujo wieder, spät Feuer, Auszug, Prozession, Sack und Pack in der Natur unterwegs, am Strand, gestrandet, wie Fische an Land. (55cp)

 

Arietta (1989)

Es wird die Vorgeschichte einer weiblichen Leiche erzählt: Nackt liegt sie da, sie hatte Sex vor ihrem Tod, Schlaglichter, Schnitte, die Polizei sammelt Spuren, die Bilder, von verwaschener Früh-Video-Nicht-Qualität sind von Anfang an aus den Fugen. Nur 52 Pinku-Minuten lang ist der Film, es geht nach dem Mord zurück. Die Frau, die gestorben sein wird, ist verwitwet, mit kleinem Kind, kann die Miete nicht mehr bezahlen, sucht einen Job. Ein furchtbarer Spießrutenlauf, zu spät, zu alt, zu unqualifiziert. Die Kneipe, die sie nimmt, zahlt schlecht, sie wird des Diebstahls verdächtigt, gedemütigt, sie landet schließlich als Prostituierte bei einer S/M-Agentur. Abstoßend sind die Männer, mit denen sie es zu tun bekommt, abstoßend sind die Bilder, zwischendurch geht auch der Buddhismus immer wieder in Rauch auf, der Menschenhass, der zum Ausdruck kommt, ist vom Menschenhass als Ausdruck des Regisseurs- und Drehbuchautors-Weltbilds nur um die Haaresbreite noch zu unterscheiden, dass nicht das Subjekt, sondern ein soziales System zur Ursache der Perversion der Subjekte, die Verlorene sind oder demütigen müssen, erklärt. Aber ob das nicht eine Ausrede dafür ist, aus einem Verständnis von Konsequenz heraus, das weniger sehend als blind macht, keine Hoffnung haben zu wollen? (70cp)

 

Murder on D Street (1998)

Da ist ein Fälscher, der im Auftrag einer Frau klassische SM-Zeichnungen fälscht, und zwar doppelt. Er greift dafür ins richtige Leben, erst eine junge Frau, dann er selbst stehen, hängen, liegen ihm, brutal festgezurrt, dafür Modell. Da ist die Buchhandlung, in der seine Auftraggeberin pornografische Literatur antiquarisch vertreibt. Eine Stunde lang werden Räume, das Zeichnen, verschnürte Körper in Szene gesetzt. Dann geschieht ein Mord, Edogawa Rampos Detektiv Kogoro Akechi beginnt zu ermitteln, kommt mit einem Assoziationstest, den die Polizei nicht versteht, dem Täter auf die Spur. Zusammengehalten, wenn nicht zusammengezwungen wird das von Jissojis ästhetischem Programm: eine Welt mit Lichtspuren- und Streifen im Dunkeln, gekantet sind die Winkel, als wären nicht nur die Körper in den Bildern, sonder auch die Bilder von dieser Welt schief aufgehängt. Stimmungsmalerei, exquisit morbid, die Tonspur schlägt dazu quer, mit Schlägen zum Beispiel, die Kontakt zur Diegese zu suchen scheinen, aber nicht finden. Dieses ästhetische Programm, die Dunkelmalerei, ist gekonnt und konsequent durchgeführt, auch wenn der Verdacht sich aufdrängt, dass sich so manches in sie einspeisen ließe, das nicht unbedingt von sich aus danach verlangt. (68cp)

 

Mujo / This Transient Life

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