5. Mai 2023
5 x Tadashi Imai
Nigorie (1953)
Am Ende der ersten Geschichte verabschiedet sich die junge Frau, die aus einer arrangierten Ehe zurück zu ihrer Familie zu fliehen versucht, von dem Rikscha-Mann, den sie, wie sich herausstellt, seit ihrer Kindheit gekannt hat. Zuvor gehen sie hintereinander her, im Gespräch, Großaufnahmen der Gesichter in Bewegung, sie hinter ihm, dann auf gleicher Höhe. Ein kurzer Flashback in der dritten Geschichte, Oriki, die Protagonistin, erinnert sich an einen demütigenden Moment in ihrer Kindheit, als ihr auf dem Weg nach Hause im Inlet of Muddy Water (so einer der englischen Titel des Films) bei einem Sturz die Schüssel mit dem Raus auf den Boden gefallen ist. Nun, in der Gegenwart, beugt sie sich von etwas links in die Mitte des Bildes, der Mann, mit dem sie im Raum ist, verschwindet hinter ihrem Gesicht, macht den Weg frei für die Rückblenden-Erinnerung, die nun folgt. Tadashi Imai ist kein Formalist, vieles ist pragmatisch, Story-dienlich gefilmt, aber in entscheidenden Momenten inszeniert er äußerst präzise. Drei Geschichten der Meiji-Zeit-Schriftstellerin Ichiyo Higuchi sind hier verfilmt, Geschichten von Frauen, von Armut, die Heldin der zweiten Geschichte leidet unter einer launischen Herrin, stiehlt in höchster Not Geld und hat am Ende doch Glück. Ganz anders Oriki, ein Freudenmädchen, das sich aus seiner Lage herauszuheiraten hofft, am Ende aber von der Vergangenheit mit einem anderen Mann eingeholt wird. Ein Femizid mit Selbdstmord des Mannes. Beinahe lakonisch ist der Fund der Leichen gefilmt, umso tiefer sitzt dieser Schock. (78cp)
Night Drum (1958)
Nach Jahren am Hof kehrt der Samurai in die Heimat zurück. Der Ritt durch die Landschaft, die Geschichte ist in Bewegung gesetzt, sie wird bis zum Ende durch das Gegeneinander von statischen Szenen in Räumen und kurzen, wilden Ritten rhythmisiert. Nicht dingfest zu machen, oder nach und nach erst, in Rückblenden, in Augenzeugenberichten, die sich widersprechen, ist ein Gerücht: Tane, die schöne Frau des Samurais, habe ihn, während er am Hof war, betrogen, mit dem Trommellehrer des Sohns. Der Lehrer singt traurige Weisen über die Dinge des Lebens (Liebe und Trauer), langsam schlägt die Trommel in den Händen dazu. Das Gerücht, die Beweglichkeit selbst, kommt dem Zurückgekehrten zu Ohren, er stellt die Frau zur Rede, es werden Recherchen angestellt. Sehr beweglich, in Schnitt und Wahl der Ausschnitte und dem Platzieren von Körpern und von Gesichtern im Kader, sind die Szenen gefilmt, in denen der Verdacht Einzug hält, abgewiesen wird, Perspektivwechsel und Achsensprünge sorgen dafür, dass sich das bei allem Herumsitzen niemals beruhigt. In Rückblenden (auch die nicht unmerklich, eine ungewöhnliche Sternblende einmal) wird aufgerollt, was geschah. Es stellt sich, aus dem Aufrühren der Vergangenheit, die auch ruhen könnte, mit wieder toll gefilmten Ritten dazwischen, eine Ausweglosigkeit her, an deren Ende Gewalt spricht und Schwerter, die Rache, ein brutales System von Klasse und Ehre, in dem das Verzeihen eine Unmöglichkeit ist, die Selbstbestimmung der Frau eine undenkbare Sache. (78cp)
Kiku to Isamu (1959)
Am wohlsten in ihrer Haut fühlt sich die dreizehnjährige Kiku, da ist sie von ihrem ersten Sake betrunken, wenn sie vor den Augen einer wenig glamourösen Wandertheatertruppe halb im Ernst, halb als Parodie selbst formalisierte Theaterrollen spricht und performt. Hier steht sie das erste und einzige Mal im Zentrum bewundernder Blicke. Sonst dagegen wird sie mit Blicken und Worten und Taten traktiert, die abschätzige, exotisierende, offen oder verdeckt rassistische sind: Kiku ist mixed race, Tochter einer Japanerin und eines afroamerikanischen US-Soldaten, stämmig und mit sehr krausem Haar. Die Mutter ist tot, der Vater verschwunden (es gibt nur ein Foto), sie lebt bei der Großmutter mit ihrem Bruder Isamu, er genauso mixed race, die Großmutter hat ständig Schmerzen im Rücken, geht krumm, kann und will sich die Medikamente nicht leisten. Ein befreundetes Paar nebenan, eine Lehrerin, die es gut meint, aber die anderen, die Erwachsenen und auch die Kinder, starren und schmähen und können nicht glauben, dass jemand wie Kiku eine Japanerin sein kann. Beim Dorffest klettert Isamu, eine Verzweiflungstat, an einem Pfahl nach oben und tollkühn am steilen Seil der Artisten wieder nach unten. Er wird dann, als Vorhut für Kiku im Fall des Gelingens, in die Vereinigten Staaten geschickt, der Abschied am Bahnhof zerreißt ihm und der Schwester, der Großmutter und auch uns, schier das Herz. Sein weiteres Schicksal bleibt offen. Für Kiku eine anders offene Wendung der Dinge: Mit ihrer ersten Periode wird sie zur Frau, wendet den schmähenden Kindern den Rücken und geht mit der Großmutter, die sie in der Generationenfolge nun abzulösen bereit ist, in Richtung Berge davon. (77cp)
Adauchi (1964)
Shinpachi Ezaki ist ein Samurai niedrigen Ranges. Seine Tötung eines Höhergestellten in einem illegalen Duell verstößt gegen den Bushido-Code. Die Sache muss aus der Welt geschafft werden, und zwar durch ein legales, öffentliches, von der Institution selbst inszeniertes Duell, dessen Ausgang, als wären wir beim Catchen, vorherbestimmt ist: Ezaki muss sterben, von den sechs Assistenten des Gegners, der ihm den Todesstoß geben muss, unschädlich gemacht. So wird es nicht laufen. Und weit ist bis zu diesem fulminanten Ende der Weg. Bis dahin ist alles: Rückblende und Vorbereitung. Man sieht, was geschah. Man sieht, wie der Zaun um die Stätte des letzten Duells aufgebaut wird. Wie sich die Menge versammelt. Ezaki hat sich zurückgezogen, in ein Kloster. Vertreter der Clans treffen sich, um eine Lösung zu finden. Ziemlich glorios schwarz-weiß sind die Bilder. Statisch, auch wenn Tadashi Imai in die langen Szenen des Sitzens, Redens und Schweigens durch Schnitte maßvolle Perspektivwechsel bringt. Das Format ist so breit, dass viel Zwischenraum bleibt, fürs Betrachten, wenn nicht Versenken. Gegen die Ruhe und Langsamkeit der Vorbereitung gesetzt sind die Gewalt, das Tempo, der rasende Ezaki und die Kamera, die mit ihm die Manege durcheilt. In mehreren Subjektiven verschleiert sich bei seinem Sterben das Bild. Er ist nicht zu retten. Die Verlogenheit des Bushido-Codes aber liegt am Ende offen zutage. (71cp)
Sensou to seishoun (1991)
Die Gegenwart der Erinnerung steht als verbrannter Pfahl mitten in Tokio. Um ihn herum lässt Imai einen familiären Zusammenhang kreisen: Hier hat die Tante der jugendlichen Protagonistin ihre Tochter verloren, im Feuersturm des amerikanischen Bombenangriffs, bei dem 100000 Menschen in Tokio starben (beim Linken Imai fehlt nicht der Hinweis auf vergleichbare Untaten der japanischen Seite). Und hier sitzt nun, Jahrzehnte später, die Tante, nicht mehr bei Sinnen, und erkennt in jedem Kleinkind Keiko, die verlorene Tochter. Eine schulische Essay-Aufgabe setzt das Erinnern in Gang: Der Vater der Protagonistin will zunächst nicht an das Trauma rühren, rückt dann aber doch mit der Sprache heraus. Es folgen schwarz-weiße Rückblenden in die Kriegsjahre, die Liebesgeschichte zwischen der Tante und einem Lehrer, der sich der Einberufung entzieht - er verbrennt den Einberufungsbefehl, hier gerät erstmals fast unmerklich Farbe in das Vergangenheitsbild. Er stirbt, die Tante gebiert das Kind, es geht zurück in die Gegenwart, die Protagonistin bei den Proben einer Folkloretanztruppe, im Gespräch mit der Lehrerin. Der didaktische Zug des Films liegt dabei so offen auf der Hand, dass er keineswegs stört. Die banale Gegenwart und ihre manchmal sogar slapstickhaft-humoristische Shomingeki-Harmlosigkeit kontrastieren scharf mit dem aufwendig inszenierten Schrecken, den Imai in den Vergangenheitsszenen entfesselt; im Ende, das fast glücklich ist, sind das Tragische und eine harmonische Auflösung fast aufwandslos balanciert. Ein Film, der das Furchtbare und das Drollige hart aneinandergefügt, und zwar als populäres Kino gedacht und gemacht, der also mit kleinen, fast bescheidenen Gesten ziemlich Großes vollbringt. (78cp)