6. Juni 2010
1914: Armand Guerra: La commune
La Commune ist ein wichtiger, aber kein sehr guter Film. Man sieht jeder Einstellung an, dass seine Macher gerade ungefähr wussten, wo man eine Kamera hinstellt, so dass auch alle im Bild sind. Ganz und gar statisch meist, Räume als Container für Menschen, die nachstellen, was mehr oder minder und ungefähr wirklich geschah. Auch die Darsteller spielen mit angeklebten Bärten, aufgerissenen Augen, ausgestreckten Armen und überdeutlichem Mienenspiel mehr ihre Idee von Filmschauspiel, als dass man sie wirklich Schauspieler nennen dürfte. Ungelenk wird erzählt und montiert, ein Erzählfluss entsteht nicht. Unfreiwillig komisch fast die Szene, in der - in bizarr wirkendem Schuss/Gegenschuss – die Generäle Lecomte und Thomas hingerichtet werden. Kurz darauf endet der Film: Er erzählt vom Beginn des Aufstands und der Kommune. Die Kämpfe, das Ende erzählt er nicht.
Gedreht hat La commune ein Mann namens Armand Guerra. So hieß er jedoch nicht von Geburt – sondern José Estivalis –, den Künstlernamen hat er sich, ein nom de guerre ganz buchstäblich, selbst gegeben. Geboren in Spanien, nahe Valencia. Als Druckergehilfe arbeitet er, ein Streik sorgt dafür, dass er den Job verliert oder fliehen muss, man weiß nicht genau. 1908 ist er in Paris, dann in Genf. Er ist und/oder wird nun Anarchist. Kreuz und quer durch die Weltgeschichte reist er: Italien, Ägypten, Türkei, Rumänien; sieben Sprachen spricht er, für anarchistische Zeitungen schreibt er, unter dem leicht verschnapst klingenden Anagramm-Namen Silavitse. 1913 ist er zurück in Paris und gründet eine anarchistische Filmproduktion, das Cinéma du peuple. Dies ist ganz sicher einer der ersten Versuche, ein Kino von unten zu machen, mit ganz geringen Mitteln, ein Gegenkino, das linker Gegengeschichte gedenkt. Mindestens drei Filme dreht er für sie, die lange verschollen waren, in den Neunzigern wieder auftauchten und von der Kinemathek in Paris restauriert wurden. La Commune ist einer von ihnen. Sehen kann man ihn auf der bereits erwähnten Website Europa Film Treasures.
Die Geschichte Guerras jedoch ist noch lang nicht zuende. (Ich schreibe sie übrigens komplett ab, und zwar hier) 1915 muss er Paris verlassen, kehrt zunächst zurück in seine spanische Heimat, die zwanziger Jahre verbringt er dann in Berlin. Als Übersetzer von Filmuntertiteln und Drehbüchern, überhaupt dieses und jenes treibend im Kinobetrieb. In Hans Neumanns Verfilmung des Sommernachtstraums spielt er neben unter anderem Hans Albers, Werner Krauss, Valeska Gert und Alexander Granach – einem anderen Linken, dem man dann in Ernst Lubitschs Ninotschka wiederbegegnen kann. 1931 ist Guerra zurück in Spanien, er dreht vor Francos Sieg noch den Film Carne de fieras, 1939 stirbt er im französischen Exil. Hätte es Armand Guerra nicht gegeben, es hätte ihn einer erfinden müssen.
La commune besteht nicht nur aus dem historisch reinszenierenden Teil. Es folgen drei weitere Szenen. Die erste ist dokumentarisch und sie ist auch bewegend. Versammelt sind, gut vierzig Jahre später, die Männer und Frauen, die die Kämpfe und das Ende der Kommune überlebt haben.
Die zweite ist ewigkeitlicher memorial. Man sieht das Mahnmal für die Opfer der Revolutionen am Pariser Friedhof Père Lachaise. Es folgt dann noch eine letzte Einstellung, die alles zusammenbindet. Erinnerung, Zukunftsblick, fliegende Fahne, Schlussbild: Vive la commune!