4. Juli 2010
1919: Maurice Tourneur: Victory
Auf dem Weg vom Buch (ein Roman Joseph Conrads) zum Film (ein Werk Maurice Tourneurs) verliert Victory seine in der Wirtschaftswelt (Kohle) angesiedelte Vorgeschichte und seinen gesellschaftlichen Hintergrund und wird so einigermaßen restlos zum Abenteuerfilm. Unversehens und einfach so befindet sich, wohin er im Roman erst gelangt, Axel Heyst zu Beginn auf der Südseeinsel mit Namen Samburan, eine prä-, nicht, wie im Roman, eine postlapsarische Welt, in dem sich dieser Ort als Paradies nur maskiert. Das Buch hat Conrad kurz vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben, der Film entstand nicht lange danach. Aus einer düsteren Gegenwartsdiagnose wird eine Errettung zweier Individuen durch die Liebe, Befreiung aus den Fesseln der Ideologie, Wiedererichtung des Paradieses.
Das Setting (im Film): Heyst lebt einsam auf seiner Insel, seit zwei Jahren in «vollständiger, undurchdringlicher Einsamkeit». Eine Katze und ein «Boy» gehören zum Haus. Im Haus sind sehr viele Bücher. Es sind die Bücher des Vaters. Heysts Vater war Autor und Axel Heyst liest seine Bücher immerzu. Jedenfalls sehen wir ihn nicht beim Lesen anderer Bücher. Eine Welt der «Schatten», heißt es, in der er da lebt, Schatten der Bücher des Vaters. Gleich zu Beginn sieht man im Auszug aus dem Buch dieses Vaters eine Art Machtwort: «Perfect isolation means perfect peace», siehe oben. Von all dem, dem Machtwort, den Schatten und dem Namen des Vaters also hat der Mann, der einsam auf dieser Insel lebt, sich zu emanzipieren auf dem Weg zum Sieg, den der Titel verspricht. (Fürs Buch, nicht für den Film, verspricht der Titel zu viel: das letzte Wort des Romans lautet, mit gutem Grund, «Nothing!». Das Gemälde zu Anfang des Eintrags, ein Porträt des Vaters, sieht man im Film im Moment, in dem Heyst sich vom Vater löst - die Ähnlichkeit des Porträtierten mit Joseph Conrad ist kaum ein Zufall.)
Nicht fern von der Insel ist ein aktiver Vulkan. Er spuckt Feuer und Rauch, bei Tag und bei Nacht. Surabaya ist der Name der Zivilisation. Dorthin gelangt Heyst mit dem Segelboot. Dort ist ein Hotel, von einem infamen Deutschen namens Schomberg geleitet. Diesen Aufbruch, der nur dazu dienen soll, die letzten Taue zu kappen, zeigt nach der Etablierung der Inselsituation Maurice Tourneur. Anders als das Haus auf der Insel Samburan scheint das Surabaja-Hotel von Anfang an eingefügt in Natur. Das Ankunftsbild setzt eine Regel. Männer, von Palmen gerahmt, Interaktion unter bergenden Stämmen und Zweigen, deren Rahmenfunktion Tourneur wieder und wieder mit schützenden Unschärfen und Schwärzen an den Bildrändern verstärkt. (Vielleicht aber sperrt er seine Figuren mit diesem Mittel zugleich ein; wie Heyst auf seiner Insel, die Freiheit verspricht, auch eingesperrt ist: ins Haus, ins Machtwort des Vaters, umgeben von der stillen See.)
Aufgestört wird Heyst im Surabaja-Hotel aus der Lektüre durch Geräusche von draußen. Vor dem Fenster spielt das Frauenorchester. Auf das Kurkonzert-Treiben von drinnen nach draußen fällt der Blick, die Finger hat er noch im aufgeschlagenen Buch, Heysts. Er liest dann nicht weiter und er gerät aus seiner splendiden Hotelzimmerisolation in Gesellschaft, keineswegs ungestraft, unter Palmen. Sein Blick fällt - schon wieder - nicht ins Buch, sondern auf eine Frau, die von der Ehefrau des Orchesterchefs übel traktiert und vom Ganoven Schomberg übel begehrt wird: Alma, erste Geige. Es entsteht ein Interesse. (Und der Film ist, in Medienkonkurrenz sicherlich auch zu seiner Vorlage, ein Film, in dem aufgeschlagene Bücher niemals zu Ende gelesen werden.)
Man flieht, klandestin, es ist, blau viragiert, Nacht. Der Film tritt nun selbst in eine andere Welt ein. Das beginnt hier, setzt sich aber bis an sein Ende so fort. Zunächst nur die Frau des Frauenorchesterchefs als Umriss vor Licht an der Wand. Jedoch geht die Beleuchtung insegesamt über in viel Chiaroscuro. Das hat mit dem Vulkan und seinem glühenden Ausbruch zu tun. Mehr noch mit einer Truppe sehr unguter Figuren, die jetzt, nach einem Drittel des Films, eingeführt wird. Ein Mr. Jones und seine Schergen, darunter ein Mann namens Ricardo, den kein geringerer als Lon Chaney spielt. In der Tat ist es ein wenig so, als dringe die Atmosphäre aus Mordabsicht und finsterer Leidenschaft, die Chaneys Tod-Browning-Filme ausmachen wird, in die dabei freilich überaus elegant bleibende Maurice-Tourneur-Welt ein. Die Abgründe scheinen in der Bildästhetik nicht verdrängt, sondern: anwesend, aber in der Bannung durch Formen des Lichtspiels, der Komposition und der Stilisierung gelähmt.
Hier der Moment, in dem Schomberg, auf der Suche nach Heyst und dem geflohenen Objekt der Begierde, den unguten Gesellen, die er dann nicht mehr loswird, begegnet. (Ich bin versucht, in der Sonnenbrille, die Mr. Jones fast nie abnimmt, die mise-en-abyme der Bannung des Schattens in stillgestellter Präsenz zu sehen. Der Vulkan, der am Ende von Conrads Roman alles auslöscht, spuckt im Film bezeichnenderweise, mal mehr, mal weniger glühend, freundlich vor sich hin.)
Dunkelfrau/männer
Aufeinander zu bewegen sich nun Inseldrama einerseits (Almas Unglück: allein und vom Mann an ihrer Seite auf einsamer Insel unbegehrt), die Entfaltung böser Intrigen andererseits (Schomberg lügt Mr. Jones etwas vor von Schätzen auf Heysts Insel). Eingespeist in die Erzählung wird ein Flashback, der die Gefährlichkeit von Jones und Gefährten klar formuliert. Da werden Männer erschossen, Genicke gebrochen, Menschen in Feuer geworfen ohne weiteren Umstand.
Die Lektion, die auf Heyst wartet, ist in einer Tafel kurz vor der Halbzeit des Films klar formuliert: «Ich habe nie eine Frau geliebt und nie einen Mann getötet. Und ich hoffe, ich werde beides nie tun.» Alma nähert sich dem wieder väterlich schopenhauerisiserenden Mann, «wie Eva», mit den Waffen der Frau. Den Mann, der da widerstehen könnte, kennt nicht nur die frühe Kinogeschichte eher nicht.
Es landet, die Liebesgeschichte zu retardieren, die Mr. Jones-Bande in böser Absicht mit dem Segelboot in Samburan an. Der finsterste der Drei vom Retardierungs- (und Liebeskatalysator-) Kommondo ist erwartungsgemäß der von Lon Chaney gespielte Ricardo. Er schleicht sich durchs Haus und nähert sich in sehr unsittlicher Absicht Alma von hinten. Erst sehen wir das in einer Subjektiven, dann aber zieht sich die Kamera sehr interessant (und zugleich natürlich auch sehr viel interessierter, als sie tut) hinter den Vorhang zurück und lässt Schemen agieren. Gleich darauf aber Umschnitt und es agiert überaus wehrhaft gegen den Zudringlichen Alma. Hinterher erspielt sie sich trickreich Ricardos Vertrauen. Er entblößt sich und zeigt ihr, was er unter dem Hosenbein hat.
Mr. Jones will Heyst ans Leder. Ricardo will Alma an die Wäsche. Heyst und Jones tun sich zusammen, das doch zu verhindern. Es folgen Schießereien drinnen im Dunkeln und draußen und eine weitere Menschenverbrennung. Der Vulkan bricht, anders als im Buch wie gesagt, nicht aus, um die Insel und alles auf ihr zu vernichten. («Nothing!»)
Stattdessen die Botschaft schrifttafelknapp: Endlich habe ich es verstanden. Liebe und Tod sind die zwei großen Abenteuer des Lebens, das größere der beiden aber ist die Liebe.