17. Mai 2010
1909: Griffith
Seinen ersten Filmauftritt hat D.W. Griffith im Jahr 1907 als Gerichtsangestellter, der einen Projektor und eine Leinwand aufbaut: es wird als Beweisstück ein Film gezeigt. Im Jahr darauf beginnt er, ein eher gescheiterter Dramatiker, für die American Mutoscope and Biograph (als Kulissen-Intarsie regelmäßig im Bild das Kürzel AB) Filme zu drehen. Kurz darauf ist er dann schon der einzige Regisseur und Chef des Unternehmens. 1909 wird sein produktivstes Jahr. Knapp 150 One- und Two-Reeler dreht er und weil jedes einzelne Bild davon der Patentrechte wegen in einer Papierversion bei der Library of Congress landet, sind sie alle erhalten. Auf die eine oder andere Weise greifbar waren für mich davon siebzehn. Das vermittelt einen ganz guten Einblick in die serielle Frühproduktion – für sich, nicht nur als Teil eines für die Filmgeschichte zentralen Korpus, wirklich interessant sind vier, fünf dieser Filme, inklusive das Meisterwerk A Corner in Wheat, mit dem sich Helmut Färber ausführlich beschäftigt hat (ein Buch, ein filmvermittelnder Film; hier eine andere Analyse).
Der Filmwissenschaftler Tom Gunning hat mit seiner Dissertation – D.W. Griffith and the Origins of American Narrative Film – die Theorie und Geschichte des frühen amerikanischen Stummfilms revolutioniert. Er positioniert Griffith (und zwar in der Konzentration auf die frühen Biograph-Jahre 1908 und 1909) dabei zwischen dem nicht primär an Erzählung interessierten «Cinema of Attractions» und der «klassischen» Form des Films der Hollywood-Studios mit seinen perfektionierten und eher unsichtbaren narrativen Langfilm-Formen. Dazwischen steht für Gunning (und die Forschung folgt ihm da im wesentlichen, so weit ich sehe) D.W. Griffith. Der geht seinen eigenen Weg Richtung Langfilm, entwickelt, vor allem in der Montage, gültig bleibende narrative Formen, verfeinert existierende Mittel wie Close-Up und Kamerafahrten, bleibt dabei aber doch im wesentlichen ein Erzähler in der Frontale – und bietet so dem Zuschauer eine historisch spezifische Zwischenposition zwischen Schauwertgenuss und nahtloser identifikatorischer Einbindung ins Geschehen (Gunning erläutert nicht zuletzt die ökonomischen Voraussetzungen der Umstellungen).
Die Unterschiede zwischen den 17 Filmen, die ich sah, sind gewaltig. Ein gestisch hysterisiert agierender Edgar-Allen(sic)-Poe-Darsteller hier, das (recht) subtile Hände- und Fingerspiel in A Corner in Wheat da. Ein melodramatisches Didaktikum wie What Drink Did auf der einen, die allegorische Kontrast- und Kausalmontage wiederum in A Corner of Wheat andererseits. The Sealed Room: schematisches Liebesgeschichtenklischee (mit sadistischem Einschlag). The Country Doctor: Tragödie eines Arztes, den die moralisch richtige Entscheidung seine Tochter kostet. Faszinierend am Country Doctor und in den Filmen von 1909, die ich gesehen habe, einzigartig: Der panoramatische erst hin zum Geschehen, dann wieder heraus schwenkende Panoramablick von Kameramann Billy Bitzer über Connecticut-Landschaft.
Interessant scheint mir, blickt man mal auf die Mise-en-Scène und nicht auf die Montage mit all ihren Suspense-Variationen, wie Griffith den typischen, heute überdeutlich erscheinenden Schauspielstil nutzt, bei dem stets aufs Ausdrücklichste der ganze Körper im Einsatz ist. In aller Regel versteht Griffith dabei, die vom Theater kommende Expressivität in eine Dynamisierung des ganzen Bildraums zu transformieren. Hand-, Arm- Körperbewegungen verweisen nicht nur auf das Innere der Figur und die äußere Interaktion, sondern strukturieren gleichzeitig den frontal und statisch (gemälde- eher als theaterförmigen) kadrierten Raum. Gruppenauftritte sind häufig exzellent choreografiert, kaum einmal steht oder sitzt jemand im Bild einfach herum. Sehr überzeugend dabei der Einsatz von Beobachterfiguren, die nicht immer ins Handeln, aber mit ihren Blicken (etwa als Stellvertreter unseres Blicks) mehr oder minder subtil ins Kräftespiel der Handlungsdeutung eingreifen.