19. April 2010
1899: Lumière: Serpentinentanz
Reine Bewegung als Figurenvektor im Raum, festgehalten auf Film: das wäre dann Tanz im Bewegungsbild. Eine Form von Abstraktion also – von Darstellung, Narration, tieferer Bedeutung wird, so gut es geht, abstrahiert. (So ganz geht es nie.) Farbe als weiteres von Bedeutung abstrahierendes Moment, kommt hier früh dazu, als Bild-für-Bild-Handkoloration.
Der Film der Lumières ist Remake oder Imitat. Man sieht hier nicht die Erfinderin des Serpentinentanzes Loie Fuller, die als eine der Gründungsfiguren des modernen Tanzes gilt – und das heißt nicht zuletzt: als aus dem Ballett befreite, sich befreiende Figur. (Eine große Tänzerin im technischen Sinn war sie nicht.) Bewegtkleid und Bewegtbild produzieren hier einen besonderen Effekt – und es ist darum kein Wunder, dass man eine ganze Reihe von sehr frühen Filmen findet, die Serpentinentänze zeigen. Darunter auch Loie Fuller, die Erfinderin selbst, deren berühmte Bühnen-Lichteffekte die Kolorierung sichtlich nachzuahmen versucht (ein Edison-Film aus dem Jahr 1896).
Gerade die flüchtige Kunst Tanz, sollte man denken, ruft danach, auf Film festgehalten zu werden. Es gibt aber nicht viele Filmzeugnisse des frühen modernen Tanzes. Im Falle der Isadora Duncan etwa muss man sich mit diesem lächerlichen Freiluft-Schnipsel begnügen.
Von Vaslav Nijinski, für die Rekonstruktion von dessen skandalmitentfachender Sacre du Printemps-Choreografie beinahe sogar die Ansicht von Jan Kounens Coco Chanel & Igor Stravinsky zu sehen lohnt, gibt es buchstäblich keine Sekunde auf Bewegtbild (bei Youtube findet man ein paar Fakes; apropos Fakes: auch dieser Film mit dem späten Nietzsche hat seinen Reiz).