17. Februar 2009
Quer durch den Olivenhain Zeugnis der Revolution in Portugal: Torre Bela (1975)
Revolutionäre Zustände sind häufig durch eine Vakanz charakterisiert: Die alte Verfassung gilt nicht mehr, eine neue muss erst geschrieben werden; die alten Herren sind vertrieben worden, die neue Regierungsform ist noch ungewiss. 1974 wird in Portugal die autoritäre Regierung in einem unblutigen Putsch der linken «Bewegung der Streitkräfte» abgelöst. Das Geschehen wird nun durch einen Revolutionsrat bestimmt. Auf dem Land wissen die Leute nicht immer, was nun genau zu tun ist: Welche Gesetze gelten?
Der Film Torre Bela dokumentiert diesen Moment des Übergangs auf einem Landgut nördlich von Lissabon. Der Besitzer, der dem alten Adelsgeschlecht der Braganca angehört, ist zu Beginn noch da, aber auch das Volk ist schon da. Der alte Herr wird noch angehört – er erzählt davon, wie er die Wirtschaft des Guts auf pflegeleichte Pflanzen umzustellen versucht hat, um weniger Leute beschäftigen zu müssen. Den Gegenstandpunkt formuliert eine Frau namens Maria Vitória, die sich laut darüber beklagt, dass auf dem Gut Torre Bella Oliven in den Dreck fielen, während die Menschen in der Gegend hungern.
Was sich eigentlich von selbst versteht, dass das Gut nach dem Fortgang des Fürsten an das Volk fällt, erweist sich in Torre Bela als zögernder, tastender, unsicherer Prozess der Aneignung eines Erbes, das mindestens so sehr über seinen symbolischen Reichtum als über die konkreten Möglichkeiten der Landbewirtschaftung verstanden wird. Thomas Harlan und seine Kameramann Russell Parker sind mitten im Geschehen, sie blicken mit der Menge zu den Rednern auf, gehen zu den Versammlungen und schreiten über die Felder.
Zugleich wird aus der ersten Einstellung (einer langen Flugaufnahme über die Ländereien von Torre Bella) und aus einer späteren, bei der Vertreter der revolutionären Militärs mit einem Hubschrauber landen, die eigentliche Autorenposition von Harlan deutlich: Er kam selbst aus Lissabon, wo er beim Revolutionsrat gewesen war und gefilmt hatte. Die Spannung zwischen der unmittelbaren Teilnahme an einem offenen Prozess und der Beziehung zu der nächsten Ebene der Interpretation und des revolutionären Plans hebt der Film Torre Bela weitgehend zugunsten des Direct Cinemas auf.
Harlan und Parker lassen nicht merken, dass sie Intellektuelle sind, an die sich (nach eigenem Bekunden des Regisseurs in späteren Interviews) das Volk immer wieder mit der Bitte um Rat wendet. Ein zwiespältiger Volkstribun namens Wilson wird zur Verkörperung des Selbstwiderspruchs der revolutionären Menge – sie bedarf der Führung, weiß aus eigenen Stücken nicht immer, was zu tun wäre. Die lange Szene, in der schließlich das Gutshaus besetzt wird, ist enorm aufschlußreich: Die Menschen gehen durch die Räume wie durch ein Museum ihrer Unterdrückung, sie befühlen die Gegenstände des persönlichen Lebens der Herrschaft und probieren unbehaglich deren zurückgebliebene Kleider an.
Am Ende hat der Revolutionsrat andere Pläne. Zwar soll der Großgrundbesitz enteignet werden, wilde Landbesetzungen sind den Generälen aber nicht genehm. Das Volk hatte die Chance, zum Subjekt seiner eigenen Geschichte zu werden, ließ sich aber zwischen den Interessen des lokalen ancien régimes und dem großen revolutionären Plan aufreiben. Thomas Harlan, der Kader, der sich unter die Menge mischte, montierte das Material mit hohem identifikatorischen Potential, aber weitgehend linear. Fredric Jameson spricht in seinem Text über «The Existence of Italy» von einem «objective documentary», das den Schritt zur dialektischen Form nicht macht. (Signatures of the Visible, 188f.) Torre Bela aber möchte nicht klüger sein als das Volk. Das ist nicht die schlechteste Form von Revolutionskino