19. Februar 2013
All das Vergangene Lucian Pintilie und Rumäniens «Neue Welle»
Die Menschenschlange vor dem Berliner Zeughauskino in der Dezemberkälte war lang: Nicht alle fanden einen Platz, als zur Eröffnung der zweiten Filmreihe des Rumänischen Kulturinstituts Cristi Mungius Exorzismus-Drama După dealuri (Hinter den Hügeln) seine Premiere hatte. Selbst der rumänische Botschafter ließ es sich nicht nehmen, zur Begrüßung des neben der Bildenden Kunst sicher zur Zeit angesagtesten rumänischen Kulturexports – der «Neuen Welle» des rumänischen Films – zu sprechen. In der Reihe «Rekonstruktion. Filmland Rumänien II» war neben aktuellen Produktionen auch Lucian Pintilies Literaturverfilmung von 1981 De ce trag clopotele, Mitică? (Warum läuten die Glocken, Mitică?) nach Texten des rumänischen Klassikers Ion Luca Caragiale zu sehen.
Der Bezug der Jungen auf Pintilie ist mehrfach zu beobachten. Selbst in den beiden genannten Filmen kann er noch trotz des extremen Gegensatzes der Stoffe aufscheinen – z.B. in der Funktion des Sets: In ihren Aufbauten bieten beide Regisseure Gehäuse, in denen mit unbequemen Geschichten Rumänien sich mit sich selbst auseinandersetzt.
Mungiu nimmt als Stoff einen realen Fall von Exorzismus, den ein Mönchspriester in einem Kloster im Kreis Vaslui in Ostrumänien vor einigen Jahren mit tödlichem Ausgang ausübte. Der Regisseur schrieb das in Cannes prämierte Drehbuch frei nach einem Reportagebuch über den Fall. Die Vermutung aber, dass es sich bei dem Film um eine «Rekonstruktion» handele, lehnt Mungiu ab.
Immerhin konnten die beiden im Zeughauskino anwesenden Hauptdarstellerinnen Cosmina Stratan und Cristina Flutur (mit ihrer ersten Filmarbeit Palme d'Or-Trägerinnen) auf die Frage aus dem Publikum nach den Beziehungen zu den Dorfbewohnern bei den Dreharbeiten durch den trockenen Hinweis auf den künstlich nachgebauten Filmset die außergewöhnliche Detailtreue der Kulissen hervorheben. Durchaus minuziös ist auch Mungius Herangehensweise, er lässt sich zugunsten einer atemberaubenden Intensität seiner physiognomischen Herangehensweise viel Zeit beim Blick auf die Vorgänge im Kloster. Stratan und Flutur verwiesen darauf, dass der Film größtenteils chronologisch gedreht wurde und dadurch sich eine emotionale Spannung aufbaute, die der Darstellung zugute kam. Wie bei Mungiu gewohnt, ist die Sprache und das Eingebettetsein in alltägliche Handlungen, hier vor allem das fast rituelle Arbeiten der Klosterbewohnerinnen, von einer metapherngesättigten Präzision, die das Gezeigte fast dokumentarisch in seinem allmählichen Zeitablauf erscheinen lässt. Es sind daher auch zweieinhalb Stunden, in denen in allen Facetten das Zusammenleben und der Zusammenprall bis zur finalen Katastrophe sich entwickeln können.
Der Konflikt ist deutlich angelegt: Die aus Deutschland zurück gekommene ungeduldige Alina (Flutur) trifft auf ihre Freundin Voichiţă (Stratan) im Kloster, um mit ihr – wie sie es abgesprochen haben – Rumänien zu verlassen. Mit wachsender Verzweiflung sieht sie aber, dass Voichiţă im entstehenden Kloster bleiben möchte – bei «tati», wie sie den Priester nennt. Dennoch geht es in dem Film nicht nur um das Funktionieren eines religiösen Obskurantismus, sondern etwas Universaleres scheint auf, die Freundschaft und Liebe zweier junger Frauen, die beide aus dem Waisenhaus kamen und auf ihre Art nach einem Zuhause suchen. Zudem ist die Lebensweise der in Rumänien zahlreichen KlosterbewohnerInnen selten so eindringlich gezeigt worden. Der Film legt es aber nicht auf naheliegende Polemik an: Vielleicht hatte Mungiu bei seiner vielschichtigen Herangehensweise an den außergewöhnlichen Fall Manès Sperber im Kopf: «Zwischen den Hügeln des karpatischen Vorgebirges, begann ich in kindlicher Vorstellungsweise zu ahnen, dass man zwar die Wahrheit erfahren kann, dass sie sich aber ändert, sobald man sie kennt, und nur noch ein Hinweis bleibt, Wegweiser zu einer andern Wahrheit, die sich hinter ihr verbirgt – Hügel hinter Hügel, hinter Hügeln und keiner von ihnen der letzte.» (Manès Sperber, All das Vergangene).