7. März 2012
Attische Unklarheit NS-Film: Fronttheater (1942) von Arthur Maria Rabenalt
Wenn der Führer in den Krieg ruft, dann trennen sich die Wege der Männer und der Frauen. Die Männer müssen an die Front, die Frauen bleiben daheim und sorgen für den Nachschub. In Arthur Maria Rabenalts Propagandafilm Fronttheater, der im September 1942 in die Kinos kam, ist Berlin noch beinahe eine normale Stadt. Das bedeutet, dass die berühmte Schauspielerin Lena Andres, verehelichte Meinhardt, ein vergleichsweise müßiges Leben führen kann. Sie trägt einen grotesken Pelz durch die Stadt, während ihr Gatte, der Arzt Dr. Paul Meinhardt (René Deltgen) an der Front an den Fliegerabwehrkanonen eingesetzt wird. Lena (Heli Finkenzeller) hat sich nach der Eheschließung gegen ihren geliebten Beruf entschieden, und sich ins Privatleben zurückgezogen, wie sie ihrem Mann innig versichert: «Du hast gesiegt auf der ganzen Linie. Ich werde nicht mehr spielen.» Doch auch im trauten Heim hat sie noch Starqualität, sodass Paul bei ihrem Anblick im Wohnzimmer sagen kann: «Dieses Bild will ich mit nach draußen nehmen.»
Draußen, das ist zuerst einmal die Westfront, wo «der Engländer aus allen Rohren schießt – es hilft ihm nichts». Der Krieg macht sich nur nachts bemerkbar, wenn wieder einmal ein paar feindliche Flugzeuge vom Himmel geholt werden müssen; darüber hinaus sitzen die Soldaten an der Felsküste, lesen ein Buch oder spielen Akkordeon, zu ihren Füßen ein Hund. Und dann bekommen sie auch noch Kultur geboten: «In diesem Kriege schweigen die Musen nicht.» Dafür sorgt zum Beispiel die Truppe des Theatermachers Langhammer, die mit Kabarett und Revue, aber auch mit Klassiker-Material zu unterhalten weiß: «Wir sind hier im Krieg wie ein Soldat und wie ein Arbeiter in der Fabrik.» Als eine Hauptdarstellerin kurz vor einer vierwöchigen Tournee aus Liebeskummer absagt, kann Lena, die schon die längste Zeit unbedingt kriegswichtige Dinge tun möchte, schließlich nicht anders. Sie fährt mit. Ihre Rolle: die Minna von Barnhelm.
In diesem ersten Teil ist Fronttheater noch ein sehr konventionelles Liebesdrama mit einem getrennten Paar, bei dem Rabenalt einen gefühligen Moment der Nähe inszeniert, von dem nur das Publikum weiß: Während eines Fliegeralarms auf freiem Feld eines Nachts blickt Lena hinauf in das Dunkel, in das die Kanonen feuern, und denkt an ihren Mann. «Vielleicht schaut er auch gerade hinauf.» Meinhardt, ganz in der Nähe, schaut natürlich auch hinauf, denkt dabei aber an Berlin, das vor der Bombenlast verschont werden soll, mit der die englischen Flugzeuge unterwegs sind. Auch die Musen sind dadurch gefährdet, das bringt Lena aber eher in Parenthese zu einer schwärmerischen Bemerkung zum Ausdruck: «Ein Stückchen Bühne und das Publikum», das ist für sie das Größte, «nur das Dach darf einem halt nicht auf den Kopf fallen».
Diese Gefahr ist in Fronttheater auch deswegen gering, weil dieser Film noch ganz trunken ist von den Siegen von 1940. So ist das Motiv der europäischen Expansion Nazideutschlands von entscheidender Bedeutung: In Biarritz, also im Ultima Thule vor dem spanischen Franquismus, bekommt Lena eine Ahnung davon, was es heißt, «wie Gott in Frankreich» zu leben. Da zieht sich das Unheil aber schon zusammen, denn sie hat ihrem Mann von ihrem Bühnencomeback nichts gesagt, und als der sie bei einem unerwarteten Heimaturlaub in Berlin nicht vorfindet, ist der Bruch eine klare Sache. Ohnehin muss er nun nach Osten, zum Glück folgt auch die Compagnie Langhammer in diese Richtung, und so kann Fronttheater in der zweiten Hälfte einen ungeahnten Aufschwung nehmen. Denn Osten bedeutet hier nicht Russland, sondern Griechenland, und Minna von Barnhelm passt unter dieser Sonne fast noch besser: «Es ist gar kein so großer Weg von der lessingschen bis zur attischen Klarheit.»
Karsten Witte hat in einem ausführlichen Text über Hans Schweikarts Das Fräulein von Barnhelm (1940) herausgearbeitet, welche Bedeutung Lessings Komödie im «Dritten Reich» hatte, vor allem aber, welche Umdeutung der Major Tellheim erfährt: «Er ist nicht länger ein durch die Kriegserfahrung gebrochener Skeptiker, den Minna, seine geliebte Frau, zur Vernunft bringen könnte. Er wird zur Siegernatur, die sich kurzfristig in eine Liebeskomödie verrennt.»
Bei Rabenalt bleibt Meinhardt/Tellheim eine schwach ausgeprägte Figur, er ist eigentlich nur der Vorwand für das Manöver das Translatio, das hier stattfindet – und das Fronttheater zu einem wichtigeren unter den NS-Propagandafilmen macht. Denn die Vorstellung, während derer sich die Liebessache klärt, findet an einem besonderen Ort statt: im Dionysos-Theater auf den Abhängen der Akropolis (es könnte auch das Odeon des Herodes Atticus sein, das seit den 1930er Jahren wieder bespielt wurde, ganz genau konnte ich das nicht ausnehmen).
Hier wird also ein Legitimierungsmotiv erkennbar: Deutschland belebt das Erbe des antiken Griechenlands neu, was zur gleichen Zeit an der nördlicheren Ostfront schon geschieht, muss dabei ausgeblendet bleiben. Die lessingsche Skepsis wird in eine technische Triumphgeste überführt: Von Athen bis Narvik (Expansion Nordsüdachse) sind Hörer in einer Radio-Live-Schaltung bei Minnas Versöhnung mit «Tellheim» dabei, die Radiosendemasten treten an die Stelle der ebenfalls vertikalen Fliegerabwehrgeschosse, aus Granaten werden Signale, aus einer Waffengattung wird ein Massenmedium.
Fronttheater müsste man idealerweise in einem Double Feature mit Werner Herzogs Lebenszeichen zeigen, der den hier betriebenen Klassikerschwindel aufklärt: Der Altphilologe Becker findet keine «Klarheit», und der Soldat Stroszek nur die einer «titanischen» Zeichenhandlung: «Ich habe mir die Sache der Menschen zu eigen gemacht». Das darf man direkt als Widerlegung von Rabenalts Film sehen, der noch glaubte, ein verbrecherisches System könnte sich durch Open-Air-Theater zu Höherem sublimieren, wenn nur erst einmal der Erdkreis zu Ende erobert ist. In Kreta schießt zu diesem Zeitpunkt aber schon «der Engländer» quer.
Fronttheater wird am 7.3.2012 um 20.00h im Zeughaus-Kino in Berlin im Rahmen der Reihe Unter Vorbehalt gezeigt. Einführung: Anna Frank