spielfilm

1. Februar 2011

Bühne frei Abbas Kiarostami zieht in seinem neuen Film Copie Conforme einen doppelten Boden ein.

Von Florian Krautkrämer

Copie conforme

© MK2

 

Auf den ersten Blick handelt es sich um einen unspektakulären Pärchenfilm der etwas unangenehmen Sorte: James (William Shimell) ist gelehrt, ausgeglichen und philosophisch unterwegs, in Italien aufgrund der Präsentation der italienischen Übersetzung seines kunsttheoretischen Buches; sie ist namenlos, an ihm interessiert, mit Sohn und leicht hysterisch. Der Film begleitet sie an einem Tag, sie haben sich eben erst bekannt gemacht, beim Autofahren, Spazierengehen, Essen und vor allem: Unterhalten. Unterlegt wird das mit einem kunstwissenschaftlichen Diskurs, bei dem es um den Unterschied von Original und Kopie geht: worin liegt der Wert des Originals, wenn die Kopie genau gleich ist, bzw. kann man eine Kopie dem Original vorziehen? Benjamin, das Auratische, Italien, Reden-ohne-Ende, Juliette-Binoche. Soweit-so-klar.

Aber Kiarostami bringt ungefähr in der Mitte des Films einen «Twist» an, wie man in der Ära der «Mind-Game-Films» sagt, und ab da ändert sich alles – und zwar anschließend als auch rückblickend. Die beiden befinden sich da in einem kleinen italienischen Café und haben bereits einige Meinungsverschiedenheiten und eine der klassischen Kiarostami-Autofahrten ohne Schnitt hinter sich. Sie haben sich eben erst kennen gelernt und unterschiedliche Meinungen ausgetauscht, zum Beispiel was Kindererziehung angeht. Und während er kurz zum Telefonieren raus muss, rät die ältere Bedienung, die davon ausgeht, dass die beiden verheiratet seien, ihrem jüngeren Gast, dass man sich nicht streiten solle, das Wichtigste sei doch, dass man einen guten Partner habe, dass man verschieden sei, gehöre sozusagen zum Geschäft. Binoche geht auf das Gespräch ein, ohne klar zustellen, dass sie ja eigentlich kein Paar sind. Sie muss dann auch noch mal telefonieren und anschließend verlassen beide wieder das Café um weiter zu flanieren und zu reden. Es ist nun aber kein Kennenlerngespräch mehr, sondern man knüpft da an, wo die Diskussion mit der Bedienung geendet hat: beide sind nun schon seit 15 Jahren verheiratet, die Meinungsverschiedenheiten nicht mehr die von Menschen, die sich eben kennengelernt haben, sondern die die beiden Eheleute nun schon seit eineinhalb Jahrzehnten ausfechten. Das Ganze geschieht ohne Ansagen, man geht zunächst von einem ironischen was-wäre-wenn-Gespräch der beiden aus.

Da sie aber bis zum Schluss daran festhalten, wird es zu einer zweiten Version der Geschichte. Es ist keine Lola-rennt-alles-zurück-auf-Anfang-Version und auch kein Zeitloch. Die Kontinuität der Begegnung beinahe in Echtzeit bleibt gewahrt, sie setzen ihren Weg durch das kleine toskanische Dörfchen fort, allein die Vorraussetzungen des Gesprächsinhaltes haben sich geändert. Man ist dadurch gezwungen, das folgende Geschehen, als auch das vor dem Cafébesuch permanent zu prüfen, ob sich Hinweise auf ein Spiel finden oder ob es sich wirklich um die selbe erste Ebene handelt, mit der man jeden Film beginnt. Was ist falsch, was echt, was Original und was Kopie? Der Blick auf das Geschehen (oder das Kunstwerk), ist das Thema des Films, die Bewertung des Gesehenen, die niemals nur eine sein kann, sondern maßgeblich vom Vorwissen abhängt. Die Kopie ist nur als Kopie zu identifizieren, wenn man das Original kennt. Und der Wert des Originals nur über die Kopie festzustellen.

Der Blick spielt in vielen Filmen Kiarostamis eine wichtige Rolle. Über die oft langen, feststehenden Einstellungen bekommt die Kamera eine Präsenz, die sie beinahe zum Akteur im Geschehen werden lässt. (Teilweise ist sie das sogar: In Der Wind wird uns tragen nutzt der diegetische Kameramann das Objektiv der außerdiegetischen Kamera als Spielgel zur Rasur, während sich das Kompendium in seiner Sonnenbrille spiegelt.) Besonders deutlich wird das gleich zu Beginn. Der Film eröffnet mit einer Einstellung auf ein leeres Rednerpult. Ein Buch mit dem italienischen Titel des Films ist dort aufgestellt, auf der Tonspur das Geräusch des wartenden Publikums. Dieses passt zu den darüber geblendeten Credits des Vorspanns. Doch noch mit der Abblende des letzten Regie-Credits erscheint in derselben Einstellung der italienische Übersetzer von James' Buch (Angelo Barbagallo) und kündigt die leichte Verspätung des Autors an, der aber noch während seiner kurzen Rede im Saal erscheint. Der Vorspann ist hier etwas mehr als der häufig übliche Introvorspann, bei dem die Credits über die ersten Bilder des Films geblendet werden. Durch die feste Einstellung geht man zunächst von einem Vorspann-Bild aus, eine Einstellung, die extra für die Credits gedreht wurde – hier mit hohem selbstreflexivem Gehalt. Dass eine Figur der Geschichte dann in dieses Bild läuft, ist eine Vermischung der beiden Ebenen, der Diegese sowie der Hinweise auf ihre Herstellung. (Dies ist auch keine Seltenheit, es findet sich bereits beim Vorspann zu Victor Halperins White Zombie (1932)). Bei dem fiktiven Übersetzer handelt es sich zugleich aber auch um den realen Produzenten von Copie conforme, und somit um eine weitere Drehung in diesem Spiel.

Wie Kiarostami arbeitet, zeigt sich dann in der folgenden Szene. Die Ausführungen des Autors über sein Buch werden begleitet von der Inszenierung des Raumes durch den Blick der zwei Protagonisten, die ihn erschließen. Es ist eher die Inszenierung einer Bühne als die eines diegetischen Raumes für einen unsichtbaren Beobachter. Der Einstellung auf die Bühne (aus der Sicht des wartenden Publikums – im Film wie auch im Kino) schließt sich ein direkter Gegenschuss vom Pult ins Publikum an (der Produzent betrachtet sein Publikum und den Auftritt seines Stars). Juliette Binoche wartet zunächst im Hintergrund, setzt sich dann aber in die erste Reihe, als James mit seinen Ausführungen beginnt (hier wechselt die Einstellung auf ihn in eine Nahe). In der folgenden Einstellung auf das Publikum kommt ihr Sohn zu ihr gelaufen und sie bedeutet ihm, in der Ecke zu warten, was er tut und somit einer weiteren Einstellung Raum gibt, der sich dann auch der Gegenschuss auf seine Mutter und auf den Redner anschließen kann. Die Rede wird begleitet von einer gestischen und mimischen Auseinandersetzung zwischen Mutter und gelangweilt wartendem Sohn. Der Sohn wird so zur Motivation der folgenden Einstellungen. Die Gegenschnitte auf James und seine Mutter gehen von seinen Blicken aus, und wir hören nicht, was seine Mutter mit dem Übersetzer bespricht. Aufgelöst wird die Szene dann mit seinem Gang in die Einstellung von Mutter und Übersetzer und dem anschließenden Verlassen des Raums. Seine Mutter folgt ihm und ihr auch die Kamera mit ihrem ersten Schwenk im Film. Dieser formalen Unterbrechung folgt auch eine in den Ausführungen von James: sein Handy klingelt.

Diese inszenatorische Strenge wird beibehalten. Zudem ist der Film symmetrisch konstruiert. Neben der Wendung in der Mitte gibt es zwei ausführliche Kunstinterpretationen sowie von beiden jeweils einen längeren Blick in den Spiegel – und damit in die Kamera, die seinen Platz einnimmt. (Ihr Blick ist das Plakatmotiv.) Und auch das Spiel mit den Credits findet sich am Schluss beim Abspann wieder : James geht ins Bad und blickt in den Spiegel (die Kamera). Nach einem langen und prüfenden Blick verlässt er den Raum wieder und gibt den Blick auf das dahinter liegende Fenster frei, durch das wir auf die vom Abendlicht gefärbte Stadt blicken. Dieser doppelte enunziatorische Bildkonstruktion (Blick in die Kamera, Blick durch das Fenster) wird ein weiteres reflexives Moment hinzugefügt, wenn die Credits dann über diese Einstellung laufen. Allerdings nicht, wie am Anfang über das Bild geblendet, sondern eingepasst in das Fenster, sozusagen nach draußen gelegt. Wie am Anfang wird das Bühnenhafte des Films somit betont, das Spiel im Spiel.

Der Diskurs um Kopie und Original ist dann längst nicht mehr das beherrschende Thema des Films. Es ist aufgegangen in dem des Blicks, der das eine vom anderen zu unterscheiden vermag, der während der vergangenen gut 100 Minuten immer wieder prüfend unterscheiden musste zwischen Diegese und Extradiegese, erster und zweiter Ebene, Sein und Schein. Ohne das Spiel der Unterscheidung wäre Copie conforme ein fader Film. Aber Kiarostami macht auch deutlich, dass die Möglichkeit zur Unterscheidung erst durch die Rahmung gegeben wird, die des Films selbst, aber auch durch die Kadrierung, die Anhaltspunkte und Eingrenzungen erlaubt um das Gesehene in Beziehung setzen zu können. Filme wie The Matrix beuten das Thema spekulativ aus, in dem sie aus der Perspektive der Kopie erzählen, die sich für das Original hält. Aber so ist es ja nicht – auch nicht im Zeitalter sozialer Netzwerke und den angeblich im Netz konstruierten Identitäten. Kiarostami erzählt vom Original ohne Kopie, das sich deswegen dauernd neu erfindet.