27. Dezember 2013
Cukor, Siodmak, Rossellini Sehtagebuch
Der Vater trägt Spitze am Leib, auf dem Schiff von Marseilles Richtung London. Monkley (Cary Grant spricht Cockney) führt Betrügerisches im Schilde, an Bord und vor allem beim Zoll. Und Sylvia ist Sylvester (ist ein Springteufel ist Katherine Hepburn), eine strategisch begründete, sich verselbständigende Geschlechterverwirrung, die Kuss- und andere Verbindungen und queere Situationen in großer Zahl herstellt. Hysterisierung ist die Devise, Zwischenmenschliches ist Tanz, Schlag, Betrug. Das Lachen bleibt einem stecken, aber weniger im Hals als im Hirn (oder irgendwo auf dem Weg dorthin). Man sieht ungläubig zu beim Irrsinn auf Treppen, die zu Bühnen werden, im Park, wo eine Betrugsszene gespielt wird, erst recht dann in der cornishen Wildnis, wo ein Auftritt als Auftakt zu einer Liebesszene (mit Hindernis) einfach mal wiederholt wird. Alles ist Probe, alles ist Spiel - und alle wissen beim Spielen ums Theatrale. Übrigens: Boulevard. Plausibilitäten sind sehr egal, ein Sprung (geografisch), ein Sturz (in den Tod), ein Kuss (noch einer), das alles im Zickzack der Wege, der Intentionen, der Genres, rein in das Kleid, raus aus dem Kleid, Erkenntnis dämmert im Zug nach Paris. Komödienende mit zweien, die sich kriegen, aber nicht ihnen gilt das letzte Bild, sondern dem Dritten, der sich scheckig lacht - nicht seines Schicksals wegen, sondern ob der Absurdität des Ganzen, die er nun hinter sich hat. (83cp)
George Cukor, Sylvia Scarlett, USA 1935
***
Der Teufel trägt kein Bärtchen, er ist vielmehr blond, stark, stupide (Mario Adorf). Es wird (1957) nach Verbrechen geforscht (1944), und zwar nicht zuletzt unter der Tapete. Dabei wäre alles so schön: das Essen bereit, die Frau sieht gut aus und man hat gemeinsame Interessen, im Polizeidienst. Aber der Mörder. Aber die Nazis, erst sieht es so aus, als koinzidierten auch hier die Interessen, dann aber nicht. Dieser Mörder, ein veritables Sonnenscheinchen von Serienkiller, ist eine seltsam verschobene Vergangenheitsaufarbeitungschiffre. In ihm verkörpert sich die Unsicherheit, wie man sich zwölf Jahre nach dem Ende vom gut gedeckten Tisch aus und vor der neuen Tapete dem nähern soll, was da war. Das Buch nach einer wahren Geschichte (oh ja) aus einer Illustrierten (ach so) betreibt einigen Aufwand, Hütchen aufzustellen, um die das alles herumkurvt. Als wichtiges Hütchen figuriert etwa da ein Nazi von schneidiger Figur, ein bisschen Goebels, klar prä-Christoph-Waltz, aber geht ein bisschen in diese Richtung: Faszinosum, das Böse. Robert Siodmak inszeniert das sehr elegant, Zeichen des Verfalls, Putz bröckelt von der Decke, Tausendjähriges Reich kurz vor dem Exitus, der Kamera fällt dazu manches ein, das gekonnt ist. Weil Melodram mit hinein soll und ein Kriminalfall, weil die Sache mit der Schwachsinnigen-Eugenik kurz sehr heikel zu werden droht, bewegt sich alles im Rösselsprung, vor, seitwärts, zurück. Die perverseste Szene: Der unpolitische Mörder droht eine versteckte Jüdin zu töten. Das stärkste Bild gibt es am Anfang, es ist von dem, was dann folgt, seltsam gelöst: ertrinkender Mann greift nach einem Stamm, der nicht hält, sondern sinkt und sinkt, das alles so langsam, als wäre es der Einsicht in die Unabwendbarkeit eines Schicksals geschuldet. (62cp)
Robert Siodmak, Nachts, wenn der Teufel kam, BRD 1957
***
«Bleib hier. In diesem Zimmer bist du sicher.» Spricht die Liebende zum Geliebten. Spricht das Kammerspiel zum Historienfilm. In den Historienfilm schließen Buch und Regie dies Liebespaar wie ins Zimmer im Innern eine Weile lang ein. Gut gehen kann das nicht, Türen öffnen sich, Türen schließen sich – und der sichere Raum wird zum tödlichen, weil sich die Liebe zur Frau und die Liebe zur Freiheit in keiner Dialektik zusammendenken lassen – sie lassen sich nur über Verrat, Verzweiflung und das doppelte Opfer tragisch verbinden. Er, Pietro Missirilli, will die Freiheit, sie, Vanina Vanini, will ihn und ist eine Fürstin nach Stendhal. Um die Vermittlung von Privatraum und Öffentlichkeit geht es seinerseits dem Film, er übersetzt es in den unauflösbaren Konflikt zwischen Liebe und Politik, aber auch in Formen der Versammlung und der Bewegung: Zwanzig Jahre rund nach der französischen Revolution. Ein neuer Papst wird gewählt, alles strömt nach Rom, die Carbonari kämpfen um die Unabhängigkeit. Für Rossellini geht es dabei aber nicht um die Historie (als solche, was immer das wäre), nicht (nur) um das Liebespaar in seinen privaten Zimmern, sondern immer auch und sicher nicht zuletzt um kleine Grüppchen am Rande, im Innern der Kutsche, bewegliches Personal vorne, hinten, seitwärts. Das aber heißt: Diese Grüppchen, die Abwege, die Hintergedanken, die Seitenfiguren, alles gehört mit ins Bild, auch wenn das Personal und andere Anwesende immer wieder aus dem Zimmer gedrängt werden, andere ins Zentrum streben. Und vielleicht ist die Bewegung selbst das Wichtigste, unendlich fluide ist Szene für Szene gefilmt. Und noch zum Tor, das sich für immer schließen wird, rennt, rennt, rennt am Ende die Heldin. (74cp)
Roberto Rossellini, Vanina Vanini, Italien 1961