spielfilm

1. März 2013

Ein Lied um Mitternacht The Canine Condition zeigt China 1929-1964 im Arsenal

Von Bert Rebhandl

© Xinhua Film Company

 

Bei den ersten zwanzig Minuten von Ma-Xu Weibangs Song at Midnight (1937) hatte ich mehrfach den Eindruck, so etwas wie das Buch Genesis des Kinos zu sehen: anfängliche Scheidung von Licht und Dunkel, ontologisches (oder eben: lichtttechnisches) Hervortreten lange vor erzählerischem Einsatz. In einem Theater, in dem eine fahrende Truppe erwartet wird, taucht zuerst einmal der Nachtwächter auf; und dann ist da noch eine Figur, die ihr «hideous face» verbirgt, und erst einmal ein langes, wehklagendes Lied singt, eben jenen Song at Midnight, von dem im Titel die Rede ist.

Das Eintreffen der Truppe schafft dann keineswegs ein Gefühl, wieder sicheren Boden in einer gemeinsamen Wirklichkeit erreicht zu haben. Im Gegenteil folgt nur eine der außerordentlichsten Sequenzen, an die ich mich im Kino insgesamt erinnern kann. Der Nachtwächter führt das Ensemble auf das Theater. Der Weg führt durch einen Gang, an dessen Ende das gähnende Nichts (lichttechnisch: das Dunkel) zu warten scheint.

Es ist dann doch nur ein von Spinnweben überwucherter Bühnenraum, der hier allerdings zu einem großen Gespenstertheater der Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert wird. Hier geht einer um, der als Schauspieler (und Sympathisant der Kuomintang) früher davon gesungen hat, dass die Humanität sich von Europa aus weltweit verbreitet, und auch vor dem chinesischen alten Establishment nicht Halt machen wird, dem der Vater der Geliebten von Song Dangping angehört. Für diesen Vater sind Schauspieler «lowlifes», er hetzt ein paar Schergen auf den Sänger, die ihn grässlich entstellen. Sein Leid kann er fortan nur besingen, und zwar von hinter der Bühne.

Ich habe Song at Midnight in einer DVD-Version gesehen, in der die vielen verschiedenen Film- und Tonfragmente, die hier nur notdürftig zu einer Spielfilmhandlung zusammengesetzt wurden, fast miteinander um unterschiedliche Formen der Darstellung von Geschichte, Phantasma, Passion zu kämpfen scheinen (eine Analogie, nachdem mich der Genesis-Gedanke schon einmal verfolgt, wäre auch die Redaktionsgeschichte des Buches Genesis, die ja denkbar kompliziert ist). Man kann gespannt sein, wie das mit der konkreten Filmkopie aussieht, die das Arsenal zeigen wird.

Song at Midnight (Ye bang ge sheng, China 1937, Ma-Xu Weibang) heute 01.03.2013 zur Eröffnung der Reihe Ein Lied um Mitternacht im Arsenal Berlin.