19. Dezember 2008
Eine Nase von einiger Größe Ist Jessica Schwarz nur die neue Lilo Pulver? Oder doch die endgültige Tony Buddenbrook? Heinrich Breloers neuer Film nach einem vielgelesenen Roman von Thomas Mann versteht am Physiognomischen nur die Kosmetik, und macht sich sonst wenig Gedanken
Ein wenig gegen die Uhr habe ich in den letzten Tagen die Buddenbrooks von Thomas Mann noch einmal gelesen. Ich wollte, solange das noch ging, mit dem Text allein sein. Bei den Jahrestagen ist mir das gelungen. Ich weiß bis heute nicht, wie Gesine Cresspahl aussieht. Die entsprechende Verfilmung habe ich gemieden. Bei Heinrich Breloers Buddenbrooks ging das aus verschiedenen Gründen nicht. Es macht keinen geringen Unterschied, ob ich bei der Lektüre meine eigenen Vorstellungen von einer Figur entwickeln kann, oder ob ich nicht mehr umhin kann, bei Konsul Jean Buddenbrook an Armin Mueller-Stahl, bei Tony an Jessica Schwarz oder bei Christian Buddenbrook an August Diehl zu denken. So ist jede neue Adaption im Grunde eine Enteignung. Der Film von Heinrich Breloer verstärkt nun noch eine schon bei Thomas Mann auffällige Tendenz, eine mögliche Geschichte der Figuren der unhistorischen Typik zu opfern. So sehr die Buddenbrooks als eine Chronik des 19. Jahrhunderts gelten, so wenig gilt dieses Prinzip für die Protagonisten des Buchs. Sie entwickeln sich nicht, sondern werden in der Regel um einen prägenden Moment herum erzählerisch eingefroren.
Bei Antonie (Tony), der Schwester von Christian und Thomas, ist dieser Moment der Sommer in Travemünde, wo sie den Studenten Morten kennenlernt und mit ihm «auf den Steinen» von einer anderen politischen Ordnung schwärmt. Sie wird fortan von Thomas Mann vor allem durch eine bestimmte Körperhaltung des Bestemms charakterisiert: «Und hinaus rauschte sie, indem sie die Schultern ein wenig emporzog, den Kopf zurückwarf und trotzdem das Kinn auf die Brust zu drücken versuchte.» Tony Buddenbrook hat zweimal mit den Männern Pech, woraus das einfachste ironische Mittel erwächst, das der Autor dieser Figur gegenüber hat: Thomas Mann bezeichnet sie, die leidenschaftlichste Buddenbrook des Roman, durchweg mit dem Familiennamen ihres geschiedenen Mannes.
Madame Grünlich, später Madame Permaneder, ist nach ihren schlechten Erfahrungen «keine Gans mehr», aber eben auch keine Buddenbrook. Jessica Schwarz nimmt dieser Figur im Film die ganze Pointe, weil sie nie jung ist (für eine «Gans» ist sie vom ersten Moment an zu alt und zu wissend, sie bekommt auch den spekulativen Geruch ihres Auftritts in Das Parfum nicht mehr so richtig weg), und weil Breloer diese Dialektik des ausgeschlossenen Eingeschlossenseins nicht interessiert, der eine Frau in dieser bürgerlichen Heiratsordnung unterliegt.
Da Breloer es sich nicht nehmen lässt, seine Buddenbrooks in Manier der großen Kostümfilme mit einer Ballszene zu beginnen, wird der ganze Film zu einem Vortanzen längst fraglos gewordener Rollen. So wird Gerda, die musikalische und deswegen implizit dekadente Ehefrau von Thomas Buddenbrook, im Roman immer wieder in ähnlichen Worten beschrieben: «Gerda, seine Gattin, welche unbeweglich in einen Sessel zurückgelehnt und das schöne weiße Gesicht nach oben gewandt, ihre nahe bei einander liegenden, bläulich umschatteten, seltsam schimmernden Augen von den flimmernden Glasprismen des Kronleuchters bannen ließ.» Das ist im Text ein fast schon filmischer Effekt, von dem Breloer aber nur den physiognomischen aufgreift. Léa Bosco hat diese Augen, mehr wird von ihr gar nicht verlangt.
Thomas Mann wollte seine Beschreibungen mit der Leitmotivik in Wagners Musik verglichen wissen, er konnte nicht ahnen, wie nahe er damit schon vor hundert Jahren der Routine heutigen «creative writings» war. Figurenzeichnung lebt von Wiederholungen und minimaler Variation, nur gelegentlich, in den entscheidenden Momenten, kehrt sich das Innere nach außen. Der Film mit seiner Starpolitik kann und will die bisweilen grotesken Deformationen, denen Mann seine Protagonisten unterzieht, nicht mitmachen. Über Christian heißt es: «Er zählte jetzt 33 Jahre, aber er sah weit älter aus. Sein rötlich-blondes Haar war so stark gelichtet, daß fast schon die ganze Schädeldecke freilag. Über den tief eingefallenen Wangen traten die Knochen scharf hervor; dazwischen aber buckelte sich, nackt, fleischlos, hager, in ungeheurer Wölbung seine große Nase …» Kein Maskenbildner wird diese Erscheinung auch nur in Ansätzen in August Diehl finden können, deswegen ist dessen Rolle auch grotesk, aber auf eine andere Weise – er ist tatsächlich am Ende die Übermalung einer literarischen Figur mit einer Überdosis Schminke.
Das Historische, das 19. Jahrhundert, war schon dem Roman äußerlich, in dem es viel mehr um abstrakte Ideen (Nietzsche, Schopenhauer, Wagner) ging als um ein begriffenes Fortschreiten der Zeit. Trotzdem wäre es natürlich interessant gewesen, jetzt – da die eben noch beschworene neue Bürgerlichkeit in der härtesten Rezession seit Kriegsende (1945, nicht 1871) schon wieder unterzugehen droht – eine filmische Version der Buddenbrooks zu sehen, die da eine Idee entwickelt. Aber dazu fällt Breloer nicht viel mehr ein, als dass er das Wettbewerbsmotiv zwischen den Buddenbrooks und den Hagenströms in den Vordergrund räumt, ohne dass er sich richtig Gedanken machen würde, was Konkurrenz in diesem Fall eigentlich bedeutet. Er sieht die Sache ein wenig so, wie Tony Buddenbrook sie sieht, also rein an Äußerlichkeiten interessiert. Das Naturzyklische, das ihm Thomas Mann damit unterjubelt, räumt er nicht aus.
Vermutlich ist das eine konsequente Position für einen Film, der selbst nicht der Konkurrenz unterliegt, sondern als konglomeriertes Großprojekt allenfalls an sich selbst scheitern kann, dabei aber doch die ganze Landschaft für eine Weile zudeckt. Als Reflex auf das Scheitern wird es dann sicher bald wieder heißen, dass der Roman eben unverfilmbar ist. Gerade das stimmt aber nicht, denn Breloer hat das Verfilmbare, im Wesentlichen: das Physiognomische, des Romans ja doch verfilmt, wenn er es auch stark beschönigt hat. Ich werde nun die Enteignung selber enteignen und mir die Buddenbrooks von 1959 ansehen, mit Lilo Pulver in der Rolle der Tony. Ein Tonikum, da bin ich mir sicher.